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Vince Ebert extrapoliert: Was wäre, wenn Wissenschaft moralisch wäre?

Ist wissenschaftliche Erkenntnis "gut" oder "böse"? Der Wissenschaftskabarettist Vince Ebert macht sich Gedanken über objektive Wissenschaft.
Der Kabarettist Vince Ebert

Vor ziemlich genau einem Jahr schrieb ich an dieser Stelle einen Text über Elektromobilität. Ich versuchte zu berechnen, wie viel Strom wir zusätzlich benötigen würden, wenn alle Autos in Deutschland elektrisch fahren würden. Es war der am zweithäufigsten gelesene Artikel auf "Spektrum.de" im Jahr 2017. Neben der vielen positiven Resonanz gab es auch eine Menge Kritik. Ich hatte übrigens weder geschrieben, dass ich E-Autos für Unsinn halte, noch, dass ich an Verbrennungsmotoren festhalten würde, wenn es denn wirklich realisierbare Alternativen gäbe.

Doch die Diskussion über die technische und logistische Umsetzung glitt recht oft in eine quasireligiöse Debatte über "Gut" und "Böse" ab, und ich war oftmals sehr verwundert über den zum Teil beleidigten Unterton, als hätte ich einige Leser persönlich angegriffen. Ich erwähne das deshalb, weil derzeit viele wissenschaftliche Diskussionen unter moralischen und ideologischen Gesichtspunkten geführt werden. Egal, ob es um Glyphosat, um Diesel-Grenzwerte, um Gentechnik oder um die Energiewende geht: Sobald irgendeine Stimme aus dem üblichen Meinungskonsens ausschert, packt eine nicht geringe Zahl von gebildeten Menschen die Moralkeule aus.

Natürlich sollten fachliche Fehler oder wissenschaftliche Ungenauigkeiten aufgedeckt und kritisiert werden. Und selbstverständlich sollte man auch mit Leuten, die pseudowissenschaftliche "Fake News" in die Öffentlichkeit tragen, hart ins Gericht gehen. Das Problem an moralischen Argumenten ist jedoch die Abkehr von einem sachlichen, wissenschaftlichen Diskurs.

Das ist sehr deutlich an der Diskussion um den Klimawandel zu sehen. Dass Menschen ihren Anteil am Klimawandel haben, gilt inzwischen als wissenschaftlich unbestritten. Wie groß dieser Anteil aber ist; ob in der Zukunft wirklich eine Klimakatastrophe eintritt und falls ja, wie sie sich genau auswirkt; ob die derzeitigen politischen Klimaschutzmaßnahmen die richtigen sind oder ob vielleicht andere Herangehensweisen viel effektiver und klüger wären – all das ist wissenschaftlich nicht eindeutig zu beantworten.

Spätestens seit Einstein wird die Wertefreiheit der Wissenschaft immer wieder diskutiert. Denn mit seinen Erkenntnissen konnte die physikalische Welt revolutioniert, aber eben auch die Atombombe gebaut werden. Doch nicht er war derjenige, der über die Verwendung entschieden hat. Diese Entscheidung trägt letztendlich unsere Gesellschaft. Wissenschaft sollte der Versuch sein, Wahrheiten zu finden oder sich diesen zumindest anzunähern. Die Frage nach der Moral ist da erst mal sekundär. Würde man beispielsweise herausfinden, dass Porschefahrer im Schnitt einen niedrigeren IQ hätten als die Besitzer eines Fiat Panda, so wäre diese Erkenntnis nicht diskriminierend oder unmoralisch. Statistische Daten – so sie seriös erhoben werden – sind erst mal wertneutral. Was man mit diesen Erkenntnissen dann anstellt, ist freilich eine ganz andere Frage.

Die Methode der Wissenschaft ist deswegen so erfolgreich, weil sie gerade nicht an moralische Autoritäten gebunden ist und weil sie unideologisch an Fragen herangeht, deren Antworten uns vielleicht verstören oder sogar ärgern könnten. Wer dagegen eine wie auch immer geartete Moral vor den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess stellt, verhindert in letzter Konsequenz Erkenntnis. Denn er belegt die Erforschung von unliebsamen Hypothesen mit einem Tabu. Darüber hinaus sollte sich Wissenschaft auch nicht um Konsensmeinungen scheren. Wären 99 Prozent aller Mediziner der Meinung, dass der Wirkmechanismus der Homöopathie funktioniert, dann änderte diese überwiegende Mehrheit nichts daran, dass die Aussage trotzdem falsch ist. Über die Gesetze der Naturwissenschaft kann man nicht demokratisch abstimmen.

Wer sich in der Wissenschaft auf die Moral beruft, um unliebsame Fragen zu verhindern, handelt unseriös. Denn eine unangenehme Erkenntnis ist immer besser als ein angenehmer Irrtum. Sie aus ideologischen Gründen totzuschweigen, nutzt keinem. Wer also Wissenschaft in "gewollte" und "ungewollte", in "ethische" und "unethische" unterteilt, handelt im Kern wissenschaftsfeindlich und antiaufklärerisch. Wissenschaftler sollten herausfinden, was wirklich hinter den Dingen steckt. Das Moralisieren können sie getrost anderen überlassen.

Wer mehr über den Wissenschaftskabarettisten erfahren möchte, findet weitere Informationen und Tourtermine seiner Bühnenshow "Zukunft is the Future" unter www.vince-ebert.de.

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