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Vince Ebert extrapoliert: Was, wenn die Menschheit komplett rational wäre?

Wenn Entscheidungen anstehen, wird der Mensch erstaunlich gefühlig. Was zeigt: Genau genommen ist unserem Gehirn die Wahrheit vollkommen wurscht.
Vulkanier-Gruß

Was wäre, wenn …

wir Menschen komplett rationale Wesen wären? So ähnlich wie die Figur des Mr. Spock in der Serie Star Trek. Das halbvulkanische Spitzohr handelte stets nach den Regeln der Logik und ließ sich nicht von Emotionen und Gefühlen leiten.

Als rational denkender Physiker war ich lange Zeit davon überzeugt, wir Menschen seien im Kern vernunftgeleitete Wesen. Heute weiß ich: Das stimmt nicht ganz. Erst gestern habe ich zwei Minuten lang auf einen Stuhl eingebrüllt, weil ich mir das Schienbein daran gestoßen habe – und wenn mein Computer Zicken macht, bin ich persönlich von ihm enttäuscht.

Wir Menschen können die kompliziertesten Probleme lösen und über die komplexesten Sachverhalte nachdenken, wir können abwägen, berechnen, analysieren wie kein anderes Lebewesen – nur um zum Schluss auf alle Fakten zu pfeifen und uns trotzdem anders zu entscheiden.

Dazu machte vor einigen Jahren der Psychologe Alexander Todorov einen Test: Er zeigte seinen Studenten einen kurzen Augenblick Porträtfotos von jeweils zwei ihnen unbekannten Männern und forderte sie dann auf, spontan zu entscheiden, welche der beiden Person in ihren Augen kompetenter wirkte. Was die Studenten nicht wussten: Bei den Paarungen handelte es sich um reale Politiker, die bei unterschiedlichen Wahlen gegeneinander antraten. Das verstörende Ergebnis: In 70 Prozent aller Fälle entsprachen die Entscheidungen der Studenten dem tatsächlichen Wahlgewinner! Die Vermutung liegt nahe, dass der Politiker nicht deshalb gewählt wurde, weil er womöglich tatsächlich kompetenter als sein Gegner war, sondern weil er den Wählern lediglich kompetenter erschien.

Selbst bei so etwas Wichtigem wie einer politischen Wahl spielen für uns Rationalität und logische Argumente offenbar eine untergeordnete Rolle. Vernunft kann uns davor bewahren, als kompletter Idiot dazustehen, aber sie wird uns nicht davon abhalten, unsere Stimme einer Flachpfeife mit tollem Haarschnitt zu geben.

Hätte Steve Jobs den Menschen als rationales Wesen eingeschätzt, hätte er Dell gegründet

In den allermeisten Fällen hat das Gefühl, das eine Person, ein Produkt oder eine Entscheidung bei uns hervorruft, wesentlich mehr Gewicht als objektive Fakten. Auf dieser Erkenntnis basiert unter anderem der Erfolg von Apple. Hätte Steve Jobs den Menschen als rationales Wesen eingeschätzt, hätte er Dell gegründet. Wenn alle Kunden rational wären, würden sie den objektiv besten Computer kaufen und die schlechten floppen lassen.

Aber so entscheiden wir nicht. Als Familie fahren wir nicht etwa in den Urlaub, weil das kleine, stickige Appartement in der lauten Seitenstraße von Rimini so unfassbar erholsam ist, sondern weil in jedem Urlaub die Gefühle aller anderen Urlaube enthalten sind. Gute Gefühle sind das Einzige, hinter dem wir in Wahrheit her sind.

Der Grund liegt vermutlich in unserer evolutionären Prägung. In der Steinzeit konnte man es sich oft nicht leisten, ewig lang rationale Argumente gegeneinander abzuwägen. Man musste sich auf sein Gefühl, seinen ersten Eindruck verlassen. Wenn Sie vor 150 000 Jahren als männlicher Homo sapiens an ein Wasserloch gekommen sind und auf einen fremden Artgenossen trafen, mussten Sie vier simple Fragen beantworten: Männlich oder weiblich? Wenn weiblich, paarungsbereit oder nicht? Wenn männlich, Freund oder Feind? Wenn Feind, stärker oder schwächer? Innerhalb von Sekundenbruchteilen mussten Sie eine klare Entscheidung treffen. Sonst gab es nichts mehr zu entscheiden. Kein Meeting, kein Coaching, keine Mediation, kein Telefonjoker. Vier simple Fragen, eine Entscheidung.

Und dann kam Starbucks. Zehn, zwölf Entscheidungen, nur um einen blöden Kaffee zu bekommen. Ein Vorgang, bei dem der Frühmensch wahrscheinlich schon nach der Frage "Tall, grande oder venti?" die Steinaxt gezogen hätte.

Evolutionsbiologisch ist unser Gehirn nicht primär für die Wahrheitsfindung konstruiert. Genau genommen ist unserem Gehirn die Wahrheit vollkommen wurscht. Es hat sich nicht entwickelt, um herauszufinden, ob die Erde eine Scheibe, eine Kugel oder ein Rotationsellipsoid ist, sondern um in einer überschaubaren Gruppe von 30, 40 Menschen inmitten von Bäumen, Felsen und Säbelzahntigern überleben zu können – und nicht einer Welt mit Handy-Tarifen, Körperfettwaagen oder mobilen Brezelverkäufern, die in Kassel-Wilhelmshöhe zusteigen.

Ein gewisses Maß an Irrationalität steckt in jedem von uns. Denn unser Hirn rechnet nicht, es will sich einfach nur wohlfühlen. Das führt zu Alkoholsucht, Musikhören und Finanzkrisen.

Würde es rechnen, würde es – wie das Gehirn von Mr. Spock – nur den Regeln der Logik und der Mathematik gehorchen, wären wir nichts weiter als eine Maschine – ohne Emotionen, ohne Versuchungen, ohne Glaube und Selbstbetrug. Wir würden funktionieren. Aber es gäbe dann auch keinen Raum für verrückte Ideen, für Illusionen und für Neues. Unsere Irrationalität ist das Geheimnis unserer Kreativität und Fantasie. Es ist unsere Unvernunft, die darauf besteht, dass nicht wir uns der Welt anpassen, sondern dass die Welt sich gefälligst uns anpassen soll. Oder wie es Ludwig Wittgenstein treffend formulierte: "Wenn die Menschen niemals etwas Dummes täten, geschähe auch nichts Vernünftiges."

Wenn Sie noch mehr über die Zukunft wissen wollen, besuchen Sie doch Vince Eberts neues Kabarettprogramm "Zukunft is the future". Termine und Tickets unter www.vince-ebert.de

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