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Freistetters Formelwelt: Was wir der arabischen Wissenschaft zu verdanken haben

Islamische Gelehrte haben mit ihren Übersetzungen dafür gesorgt, dass die Texte der Antike im »dunklen Mittelalter« Europas nicht verloren gingen. Doch das beschreibt die Leistung der arabischen Wissenschaft nur unzureichend.
Islamischer Gelehrter bei der Arbeit

Hat man einen sphärischen Spiegel und zwei Punkte A und B irgendwo im Raum: Wie findet man dann einen Punkt P auf dem Spiegel, so dass ein Lichtstrahl darüber von A nach B reflektiert wird? Diese Frage aus der geometrischen Optik ist alt und wurde schon im 2. Jahrhundert von Ptolemäus gestellt. Benannt ist sie aber nach einem Wissenschaftler, dessen Name in der Öffentlichkeit nicht so bekannt ist, wie er eigentlich sein sollte: Abu Ali al-Hasan ibn al-Haitham oder kurz Alhazen.

Dieser arabische Forscher fand im 11. Jahrhundert eine Antwort auf die gestellte Frage. Bei seinem geometrischen Lösungsansatz musste er unter anderem die Summe von vierten Potenzen bilden, was er mit dieser ebenfalls von ihm entdeckten Formel erledigte:

Summe von Quadraten und Kuben

So zumindest sieht sie in moderner Notation aus, Alhazen hat sie damals nicht mit Symbolen, sondern mit Worten formuliert. Nichtsdestotrotz war es die erste Formel dieser Art, denn bis dahin kannten Mathematiker nur Gleichungen, um die Summen von Quadraten und Kuben zu berechnen. Alhazens Ansatz ließe sich sogar erweitern, um die Summe beliebig hoher Potenzen zu berechnen, was er selbst aber nicht getan hat. Er benötigte nur die vierten Potenzen, um im Zuge seiner Lösung das Volumen eines Paraboloids zu berechnen.

Was Alhazen damals tat, kann man durchaus als Vorläufer der erst im 17. Jahrhundert von Isaac Newton beziehungsweise Gottfried Wilhelm Leibniz entwickelten Integralrechnung betrachten. Und auch in anderer Hinsicht hat Alhazen die wissenschaftlichen Ergebnisse der Neuzeit vorweggenommen.

Sein Hauptwerk ist das siebenbändige »Kitab al-Manazir« oder »Buch der Optik«, in dem er die Vorstellungen von Euklid und Ptolemäus widerlegt, nach der das Auge eine Art von Strahlen aussendet und so die Welt für uns sichtbar macht. Er zeigt, dass das Auge stattdessen Lichtstrahlen von den Dingen empfängt und das Licht sich entlang gerader Linien ausbreitet. Er führte diverse Experimente mit Linsen und Spiegeln durch und untersuchte auch die Funktion des Auges selbst. Das heute nach dem Deutschen Ewald Hering benannte Heringsche Gesetz der seitengleichen Innervation zur Beschreibung schneller Blicksprünge des Auges findet sich schon mehr als 800 Jahre zuvor im »Kitab al-Manazir«.

Das Besondere an Alhazens Optik war nicht nur seine sehr detaillierte Untersuchung der Funktionsweise des Auges, sondern auch sein Versuch, das Auge mathematisch als abstraktes optisches System zu erklären. Er war ein Verfechter der experimentellen Methode, um die Welt zu verstehen, und rief seine Schüler dazu auf, die Texte anderer Forscher nicht kritiklos hinzunehmen, sondern »von allen Seiten« zu hinterfragen.

Alhazen erforschte die Brechung von Licht in der Atmosphäre der Erde und die scheinbare Größenänderung des Mondes, je nachdem wie hoch er am Himmel steht. Er untersuchte den Ursprung von Farben, Regenbogen und Vergrößerungsgläsern (als deren Erfinder er gilt). Neben seiner umfassenden optischen Forschung war Alhazen aber auch Mathematiker und Astronom. Obwohl er Anhänger eines geozentrischen Weltbilds war, war er doch auch ein Kritiker der ptolemäischen Epizykeltheorie, die er für zu fehlerhaft und zu abstrakt hielt – und mit eigenen mathematischen Modellen verbesserte.

In der üblichen Darstellung der Wissenschaftsgeschichte betrachten wir die arabischen Forscher des Mittelalters meist nur als diejenigen, die mit ihren Übersetzungen der Werke der Antike dafür sorgten, dass diese uns Europäern nicht verloren gingen. Die arabischen Gelehrten waren aber viel mehr als das: Sie waren nicht nur simple Archivare, sondern eigenständige Forscher. Die beeindruckenden Arbeiten von Abu Ali al-Hasan ibn al-Haitham sind dafür der beste Beweis.

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