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Freistetters Formelwelt: Wie bahnt sich Wasser den Weg nach unten?

Der Boden unter unseren Füßen ist mehr als nur das, worauf wir stehen. Ganz besonders dann, wenn es dort auf einmal feucht wird.
Ausgetrocknetes Flussbett
Je nach Beschaffenheit des Bodens läuft Wasser mehr oder weniger schnell ab und versickert.

Als Astronom bin ich geneigt, nach oben zu den Sternen zu schauen. Der Blick nach unten kann aber genauso spannend sein. Dafür muss man gar nicht unbedingt an Bodenschätze denken, an Vulkanismus oder die Vielfalt an Lebewesen, die sich dort eingerichtet haben. Auch ein nüchterner physikalischer Blick auf die Eigenschaften des Bodens selbst kann faszinierend sein. Das zeigt folgende Formel:

Diese Gleichung beschreibt die Form der so genannten Wasserspannungskurve. Um sie zu verstehen, müssen wir uns mit dem Porenwasser beschäftigen. Das klingt zwar wie etwas, was man in der Kosmetikabteilung des Drogeriemarktes kaufen kann, ist aber ein Begriff aus den Geowissenschaften. Man bezeichnet damit das Wasser, das sich in den kleinen Hohlräumen des Bodens beziehungsweise Gesteins befindet. Je feiner, zahlreicher und zusammenhängender die Poren im Boden sind, desto höher kann das Wasser darin aufsteigen.

Die legendärsten mathematischen Kniffe, die übelsten Stolpersteine der Physikgeschichte und allerhand Formeln, denen kaum einer ansieht, welche Bedeutung in ihnen schlummert: Das sind die Bewohner von Freistetters Formelwelt.
Alle Folgen seiner wöchentlichen Kolumne, die immer sonntags erscheint, finden Sie hier.

Man beschreibt die Effekte, die Wasser in einem porösen Medium festhalten können, durch das Matrixpotenzial ψ. Es hängt mit der Menge an Wasser im Boden zusammen, wobei θs die Menge an Wasser bezeichnet, die bei vollständiger Sättigung enthalten ist. θr ist der Restwassergehalt, also die Menge an Wasser, die so stark im Boden gebunden ist, dass sie etwa von Pflanzen nicht mehr aufgenommen werden kann. In so einem Boden würden sie zu verwelken beginnen, sofern kein neues Wasser von außen zugeführt wird.

Sieht man sich den Verlauf der Wasserspannungskurve an (die Parameter α und n beschreiben Eigenschaften des Bodens und der Poren; sie müssen experimentell bestimmt werden), lässt sich erkennen, was passiert, wenn ein Boden feuchter wird oder austrocknet. Das Wasser versickert zuerst aus den größeren Poren; in den feineren Hohlräumen wird es dagegen stärker zurückgehalten. Der Wasseranteil des Bodens sinkt so lange, bis nur noch das stark gebundene »Totwasser« vorhanden ist, das sich nicht mehr aus den Poren hinausbewegen lässt. Gelangt dagegen immer Wasser in den Boden, erreicht die Menge des gespeicherten Wasservolumens einen Maximalwert, der für jede Bodenart charakteristisch ist. Bei einem vorgegebenen Matrixpotenzial ist der Verlauf der Wasserspannungskurve unterschiedlich, je nachdem, ob man eine Entwässerung oder Bewässerung betrachtet (sie zeigt also einen Hysterese-Effekt). Das liegt unter anderem daran, dass ein Boden zuerst aus den groben Poren entwässert wird; gleichzeitig wird wegen der Kapillarwirkung Wasser aber zuerst von den feinen Poren aufgenommen.

Heftige Niederschläge mit dramatischen Konsequenzen

Eine der wichtigsten Eigenschaften, die sich aus der Wasserspannungskurve ableiten lässt, ist die Wasserspeicherfähigkeit unterschiedlicher Bodenarten. Sandiger Boden kann Wasser leicht an Pflanzen abgeben; Böden aus Lehm oder Ton können dagegen in trockenen Perioden mehr Wasser zurückhalten. Die Menge an Wasser, die ein Boden aufnehmen und speichern kann, spielt selbstverständlich auch eine wichtige Rolle, wenn es um extreme Wetterereignisse und Überschwemmungen geht.

Ob eine bestimmte Region von Überflutungen bedroht ist, hängt demnach auch von der Beschaffenheit des Bodens vor Ort ab. Sollte dieser Boden aber versiegelt sein – ist also verbaut, asphaltiert oder künstlich verdichtet –, dann kann dort fast gar kein Wasser mehr eindringen. Das hat nicht nur negative Folgen für den Grundwasserspiegel, sondern vor allem für die Menschen, die hier leben. Denn das Wasser, das auf versiegelte Flächen trifft, muss irgendwohin. Anstatt vom Boden aufgenommen zu werden, fließt es entlang der Oberfläche ab. Die durch die Klimakrise vermehrt auftretenden Starkregenfälle haben durch versiegelte Böden immer dramatischere Konsequenzen. Um dieses Problem zu lösen, braucht man allerdings nicht nur Mathematik, sondern vor allem Bagger, die die Böden wieder entsiegeln.

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