Storks Spezialfutter: Alles eine Frage der Haltung
Als ich klein war, bin ich mit meiner Mutter immer ganz gerne zum Einkaufen gegangen. Der Supermarkt war als Attraktion nicht schlecht. Noch besser aber war das Nachbargrundstück, wo auf einer kleinen Wiese zwei Ponys standen, die man am Zaun streicheln konnte. Das war Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre in der Nähe von Hannover. Die Transformation des ehemals landwirtschaftlich geprägten Dorfs zum Beamtenvorort war noch nicht ganz abgeschlossen. Auch am Ende unserer Straße – auf der Rückseite eines alten Bauernhofs, aber von drei Seiten schon umzingelt von der Einfamilienhaussiedlung – gab es noch eine richtige Weide, mit Platz für 20 Kühe. Mehr als einmal büxten die Rinder aus und kamen bis in unsere Einfahrt. Eines Tages standen dann auf der Ponywiese ein zweiter Supermarkt und kurz darauf auf der Kuhweide ein paar neue Einfamilienhäuser.
Die Rinder hätten einfach umziehen können. Raus aus der neu entstehenden Siedlung, rein in die landwirtschaftlichen Flächen außerhalb des Dorfs. Aber genau wie ihre Weide verschwanden auch die Kühe für immer aus dem Blickfeld. Nicht nur bei uns im Ort, deutschlandweit. Und das lag nicht daran, dass die Deutschen plötzlich weniger Fleisch aßen und Milch tranken und deshalb weniger Nutztiere brauchten. Im Gegenteil. Mitte der 1980er Jahre wurde so viel Fleisch gegessen wie nie zuvor und nie danach. Knapp 65 Kilogramm pro Person und Jahr. Tiere wurden also noch gebraucht.
In »Storks Spezialfutter« geht der Umweltjournalist Ralf Stork diesen Fragen einmal im Monat auf den Grund.
Sie verschwanden trotzdem aus der Landschaft, zum einen, weil hier zu Lande immer weniger Rinder gehalten wurden, von knapp 21 Millionen 1980 sank ihre Zahl auf aktuell elfeinhalb Millionen. Zum anderen haben sich auch die Betriebsstrukturen dramatisch verändert: Vor 60 Jahren gab es 4,8 Millionen landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland. Heute sind es nur noch 270 000. Mit dem Höfesterben geht eine Konzentration der Viehbestände einher. 1970 hatte ein Bauer im Durchschnitt sieben Milchkühe, heute sind es 64. Für die größeren Herden fehlt meist die entsprechend große Weidefläche in Hofnähe. Auch deshalb schafft es heute nur noch ein Drittel der Rinder überhaupt auf die Weide. Die Zahl der so genannten Mutterkühe, die mit ihren Kälbern zumindest den Sommer, manchmal jedoch auch ganzjährig, auf der Weide stehen, gibt das Statistische Bundesamt gar nur mit rund 640 000 an.
Dabei hätte es nicht nur für das Tierwohl Vorteile, wenn die Tiere ins Grüne kämen. Ein Teil der Landschaft lässt sich gar nicht anders nutzen als zur Weidehaltung oder Heugewinnung. Grünland macht immerhin etwa ein Drittel der landwirtschaftlichen Flächen aus. Vor allem aber kann auch die Natur profitieren. Wo große Pflanzenfresser auf der Weide stehen, ist die Artenvielfalt an Pflanzen, Insekten und Vögel besonders groß.
Allein deshalb sollte es so viele Tiere auf der Weide wie möglich geben, viel mehr jedenfalls als derzeit der Fall. »Wir könnten deutlich mehr Tiere in der Landschaft haben. In den Mittelgebirgen zum Beispiel gibt es viele Grünlandflächen, die brachfallen«, sagt auch Jürgen Metzner, Geschäftsführer des Deutschen Verbands für Landschaftspflege. Das Problem: »Weidetierhaltung ist extrem arbeitsaufwändig und lohnt sich wirtschaftlich unter den derzeitigen Bedingungen häufig nicht.«
Die geplante Gemeinwohlprämie könnte Anreize schaffen
Eine Möglichkeit, das zu ändern, sieht Metzner in einer so genannten Gemeinwohlprämie. Das heißt, die Landwirte bekommen keinen pauschalen Zuschuss pro Hektar Fläche, die sie bewirtschaften, sondern werden für die gesellschaftliche Leistung entlohnt, die sie erbringen, etwa im Natur- und Artenschutz. »Erst einmal kann eine geplante Weidetierprämie, die das Bundeskabinett Mitte April beschlossen hat, ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung sein«, sagt Metzner.
Nach den Gesetzentwürfen zur nationalen Umsetzung der künftigen Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik sollen Landwirtinnen und Landwirte pro Jahr 30 Euro je Schaf oder Ziege und 60 Euro je Mutterkuh erhalten – unter der Bedingung, dass die Tiere regelmäßig auf der Weide stehen. Es gibt bereits Beispiele aus der Praxis, in denen auch Kommunen die Halter von Weidetieren unterstützen. Das bayerische Altmühltal ist bei Touristen unter anderem deshalb beliebt, weil es eine alte Kulturlandschaft ist, die durch Beweidung mit Schafen erhalten wird. Weil sich die Schäferei vielerorts nicht mehr lohnt, werden die Schäfer von den Gemeinden unterstützt, zum Beispiel durch das Bereitstellen von Weide- oder Pferchflächen.
Eine geplante Weidetierprämie und ein bisschen kommunale Unterstützung für einzelne Betriebe ändern noch nichts an den Parametern des landwirtschaftlichen Systems. Aber immerhin zeigen sie exemplarisch, wie eine Landwirtschaft aussehen könnte, die mehr will und kann, als nur große Mengen Fleisch, Milch oder Getreide zu produzieren. Und die genau deshalb von der Gesellschaft geschätzt wird – und angemessen bezahlt!
Ich persönlich würde es jedenfalls sehr begrüßen, wenn es wieder mehr Weidetiere in der Landschaft gäbe. Das wäre nicht nur gut für das Wohl der Tiere und für den Artenschutz. Auch wir Menschen würden profitieren, wenn wir wieder direkt mit Rindern und anderen Tieren in Kontakt treten könnten. Vielleicht würden wir durch den Kontrast der Haltungsbedingungen sogar kapieren, dass wir in Sachen Nutztierhaltung und Fleischverbrauch weit über unseren Verhältnisse leben und dass es höchste Zeit ist, das zu ändern.
Schreiben Sie uns!
3 Beiträge anzeigen