Storks Spezialfutter: Weniger für die Tonne
In der Coronakrise haben sich in den vergangenen Monaten etliche Maßstäbe verschoben: Was der Staat seinen Bürgern in einer ernsten Lage alles zumuten kann. Oder wie attraktiv der Park um die Ecke in Wirklichkeit ist und wie sehr man jeden Quadratmeter Balkon und jeden Rasenstreifen zu schätzen wissen kann. Und wegen der vielen Hamsterkäufer war die Freude unangemessen groß, wenn man so ein banales Produkt wie Klopapier ergattert hat.
Überhaupt der Einkauf: Um den Kontakt zu anderen auf ein Mindestmaß zu beschränken, ist aus vielen kleinen Kleckereinkäufen ein wöchentlicher Großeinkauf geworden. Bei der Rückkehr warteten meine Kinder schon ganz aufgeregt. Fast wie auf einer einsamen Insel, wo das Postschiff nur einmal im Monat vor Anker geht und dann den Tag zum Festtag macht. Sie stürzten sich auf die großen Einkaufstüten und jubelten über einzelne Sachen, die es schon ein paar Tage nicht mehr gab: Süßigkeiten und Eis natürlich. Aber auch Eier und Käse und Obst.
Eine winzige Einschränkung im Konsumverhalten hat schon gereicht, um aus Lebensmitteln, die ständig und überall zur Verfügung stehen, wieder etwas Besonderes zu machen. In der Praxis sah das dann so aus, dass ich noch etwas stärker als sonst darauf geachtet habe, keine Lebensmittel wegzuwerfen. Ein Jogurt, dessen Mindesthaltbarkeit schon eine Woche abgelaufen ist? Passt schon! Eine Paprika, die schon ein paar weiche Stellen hat? Kann man ja rausschneiden.
In »Storks Spezialfutter« geht der Umweltjournalist Ralf Stork diesen Fragen einmal im Monat auf den Grund.
Im Prinzip versuche ich das auch sonst so zu halten. Nur war ich in den intensivsten Coronawochen – wie wahrscheinlich viele andere auch – noch ein bisschen konsequenter darin.
Hoffentlich bleibt diese frische Wertschätzung lange erhalten, auch trotz des Überbietungswettbewerbs in Sachen Normalisierung, der in den Ländern derzeit läuft. Denn wenn wir in naher Zukunft acht oder neun Milliarden Menschen ernähren müssen, ist die Frage der Lebensmittelverschwendung von großer Bedeutung: Rund ein Drittel aller Lebensmittel landet nach Schätzungen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen nicht auf dem Teller, sondern in der Tonne. In Deutschland und anderen Industrienationen liegen die größten Verluste nicht bei der Ernte oder dem Transport, sondern beim Handel und vor allem beim Verbraucher. Durchschnittlich 75 Kilogramm Lebensmittel schmeißt jeder Deutsche pro Jahr in den Mülleimer. Damit sind die Verbraucher für mehr als die Hälfte der Lebensmittelverschwendung in Deutschland verantwortlich.
Es gibt seit Jahren Kampagnen, die auf das Problem aufmerksam machen, und sogar Geschäfte, die nur Lebensmittel (und andere Artikel) anbieten, die sonst weggeworfen würden. Trotzdem ist die Menge der weggeworfenen Lebensmittel nicht kleiner geworden. Der Wohlstand ist schuld.
Meist gilt: Je reicher der Haushalt, desto mehr landet im Müll
Dass es einen Zusammenhang zwischen dem Einkommen, das einem Haushalt für den Einkauf zur Verfügung steht, und dem Ausmaß der Verschwendung gibt, haben niederländische Wissenschaftler Anfang 2020 nachgewiesen. Logisch, wer sich ohne Probleme immer neue, frische Lebensmittel kaufen kann, dem ist es am Ende nicht so wichtig, ob die Sachen, die schon im Kühlschrank liegen, bald schlecht werden oder nicht.
Der Handel könnte eine wichtigere Rolle bei der Verringerung der Menge weggeworfener Lebensmittel spielen – und das, obwohl er selbst nur für vier Prozent der Verschwendung verantwortlich ist. Mit einfachen Mitteln ließe sich das Bewusstsein der Verbraucher für das Problem schärfen: Waren, deren Mindesthaltbarkeit bald abläuft, werden bereits jetzt gekennzeichnet und zu reduzierten Preisen angeboten. Würden die Supermärkte zusätzlich noch spezielle Bereiche einrichten, in denen alle Lebensmittel mit Schönheitsfehlern oder kurzer Haltbarkeit angeboten werden, wäre die drohende Lebensmittelverschwendung noch sichtbarer. In Dänemark ist das dank des Engagements der Aktivistin Selina Juul in vielen Geschäften bereits der Fall.
Eine andere Idee aus Dänemark ist eine App, die Imbisse und Restaurants in der Nähe zeigt, die bald schließen. Hungrige Gäste können sich dort dann ein Gericht, das sonst weggeworfen worden wäre, zu einem günstigen Preis abholen.
In einem kleinen Land wie Dänemark ist es viel leichter, die Bevölkerung für eine Initiative gegen Lebensmittelverschwendung zu mobilisieren als in Deutschland. Aber vielleicht führt die zwischenzeitliche Konsumeinschränkung ja im kleinen Maßstab zu mehr Sensibilität für das Thema Lebensmittelverschwendung. Das wäre dann wenigstens mal eine positive Folge der großen Krise.
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