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Psychologie mit Ernst: Wenn die Dinge sprechen lernen

Die Vermenschlichung von Gegenständen erreicht eine neue Qualität: Wir können jetzt mit einigen von ihnen interagieren. Was steckt dahinter, wenn wir eine Beziehung zu leblosen Geräten aufbauen?
Ein Lautsprecher schallt aus einem Smartphone

Wann haben Sie das letzte Mal Ihren Computer beschimpft? Waren Sie sauer auf ihn, weil ein Text auf unerklärliche Weise "verschwunden" ist oder weil er manchmal ungebeten in eine andere Schriftgröße wechselt? Und haben Sie Ihr Auto schon mal gelobt (oder ihm einen Tritt verpasst, wenn es Sie im Stich gelassen hat)? Keine Sorge: Damit wären Sie nicht allein. Drei Viertel der Befragten in einer Studie haben angegeben, dass sie ihren Rechner beschimpfen oder gar verfluchen, wenn er Probleme macht.

Und in einer anderen Studie zeigte sich, dass auch das Auto für viele Menschen fast den Rang eines Familienmitglieds einnimmt. Als man Versuchspersonen aufforderte, die "Persönlichkeit" ihres Wagens zu beschreiben, fiel es ihnen hinterher schwer, sich einen Verkauf oder einen Umstieg auf ein anderes Auto auch nur vorzustellen. Die anthropomorphisierenden, also vermenschlichenden Beschreibungen vertieften die Bindung noch. In Schwaben spricht man ja nicht umsonst vom "Heilig's Blechle" und pflegt es besonders liebevoll.

Es ist kein neues Phänomen, dass Menschen ihre Dinge behandeln, als wären sie lebendige Wesen. In gewissem Maß vermenschlichten wir schon immer einen Teil der Gegenstände um uns herum (bei Haustieren wird das noch offensichtlicher). Es scheint ein durchaus menschlicher Zug zu sein, enge, persönliche Beziehungen zur Dingwelt aufzubauen. Nur warum ist das so?

Magisches Denken: Eine besondere Form von Projektion

Der Philosoph Hartmut Böhme hat in seiner gründlichen Analyse "Fetischismus und Kultur. Eine andere Theorie der Moderne" beschrieben, wie der Fetischismus aus "primitiven" Kulturen in die westliche Kultur eindrang und dort zu einer universellen Erscheinung wurde: Wir legen etwas in tote Dinge hinein, das sie buchstäblich belebt. Das heißt, wir laden – anscheinend völlig irrational – Gegenstände mit Wünschen und Gefühlen auf. Psychoanalytiker sehen das als eine besondere Form von Projektion. Dieser psychische Zugriff auf die Dingwelt, der dem magischen Denken von Kindern gleicht, geht weit über den traditionellen Animismus hinaus, bei dem Menschen vor allem in der sie umgebenden Natur lebendige Wesen sehen oder sie sogar vergöttern.

Die westlichen Kulturen sind dem Fetischismus auch deshalb so schnell erlegen, weil der technische Fortschritt eine Entzauberung der Welt eingeleitet hat. Die Schattenseiten der Aufklärung – Versachlichung und Verdinglichung aller Beziehungen – führte schließlich zu wachsender Entfremdung. Je mehr der Kapitalismus die Arbeits- und Konsumbedingungen prägt, desto stärker regt sich der Wunsch, diesen Verlust an Wärme zu kompensieren.

Für diese Annahme spricht, dass schon die Beziehung zum eigenen Handy sozialen Schmerz lindern kann: In einem Experiment neigten Studenten, die sich sozial ausgeschlossen fühlten, dazu, die Zahl ihrer Facebook-Freunde deutlich zu übertreiben. Erstaunlicherweise hatten sie das nicht nötig, nachdem sie sich auf Aufforderung des Versuchsleiters intensiv mit ihrem Handy beschäftigt hatten. Es erschien ihnen offenbar wie ein guter Freund. In einer durchrationalisierten, individualisierten und verdinglichten Moderne suchen wir Nähe und Vertrautheit eben dort, wo wir sie kriegen können – in den Dingen.

Fetischobjekte im Haushalt: Mehr als nur nützlich

Ob Andenken, Möbel, Geräte, Apparate, Haustiere, Fahrzeuge oder Kunstgegenstände: Von diesen Dingen haben wir in den westlichen Gesellschaften inzwischen mehr als jemals zuvor. Wir mögen keine Jäger mehr sein, aber irgendwie sind wir alle Sammler und häufen Sachen an, von denen wir uns meist nur schwer wieder trennen können. Erst recht, wenn sie uns etwas bedeuten, das über Nützlichkeit hinausgeht. Hartmut Böhme erkennt "immer extremere Fetischierungsstrategien in der Werbung und der Warenästhetik, in der Mode und in Subkulturen".

Marketingstudien belegen diese Beobachtung des Philosophen: Offenbar reagieren Menschen sehr klar auf das anthropomorphisierende Design beliebter Fetischobjekte. Eine Studie bei deutschen Autokäufern zeigte, dass Autos mit "lächelnden" Kühlergrills und mit schlitzartig "zusammengekniffenen" Augen (Scheinwerfern) den Verkauf steigern können – je nachdem, ob die Kunden eher ein freundlich oder einschüchternd guckendes Gefährt wollen.

Die Vermenschlichung unserer Beziehungen zu den Dingen des täglichen Lebens hat seit Kurzem eine neue Qualität erreicht: Wir können ganz real mit einigen dieser Dinge interagieren, sie ansprechen. Sie antworten uns meist mit weiblicher Stimme: Das sprechende GPS im Auto war der Vorläufer dieser Entwicklung, Apples "Siri" ist inzwischen für Millionen eine verlässliche Gefährtin im Alltag, und Amazons "Alexa" macht sich als Problemlöserin und immer freundliches Dienst-Mädchen unentbehrlich. Man könnte sagen, wir sind von den so genannten protosozialen Beziehungen zu Gegenständen übergegangen zu parasozialen Beziehungen – so wie wir sie schon lange zu bestimmten Fernsehserienfiguren entwickelt haben.

Ein App-Entwickler berichtete, dass sein zweijähriger Sohn, nachdem er mit Alexa gesprochen hatte, auch mit anderen Dingen im Haushalt das Gespräch zu suchen begann. Sie antworteten (noch) nicht. Immerhin: Eine sprechende Kaffeemaschine soll bald auf den Markt kommen.

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