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Hatts dufte Welt: Wenn die Nase blind wird

Man kann blind werden oder taub – nicht mehr riechen zu können, hat keinen eigenen Namen. Weil es nicht so schlimm ist? Nasenblinde sehen das ganz anders.
Die Nase

Wer den Geruchssinn verloren hat, vermisst viel: den Duft von Flieder im Frühling, vom Meer oder von frisch gemähten Wiesen, den Geruch des geliebten Menschen und den herrlichen Geschmack des Lieblingsessens oder -weins. Denn wer nicht mehr riechen kann, schmeckt auch nichts mehr. Eine ganze Welt ohne Düfte. Auch ohne eigenen Körpergeruch, besser gesagt: ohne dass ich ihn wahrnehme.

Vielleicht stinke ich? Oder habe Mundgeruch? Nasenblinde waschen sich teils mehrmals täglich oder benutzen viel zu viel Parfüm, weil die Nase sie nicht mehr warnen kann. Weder vor Schweißgeruch noch vor verdorbenem Essen oder wenn die Milch überkocht. Nicht selten geht ein verlorener Geruchssinn mit einem reduzierten Sozialleben einher, manche Betroffene leiden sogar unter Depressionen.

Der Verlust des Geruchssinns heißt Anosmie. Sie ist nur ganz selten angeboren und kaum bei jungen Menschen anzutreffen. Dann meist, weil Hindernisse in der Nase die Duftmoleküle auf ihrem Weg zu den Riechzellen blockieren. Das können Polypen oder durch Allergie bedingte Schwellungen sein, aber auch eine Krümmung der Nasenscheidewand. Man kann sich unsere Nase wie einen Turm vorstellen, durch den die Luft von unten nach oben strömt.

Warum die Nase ausfällt

In der obersten Etage gibt es ein Turmzimmer mit 30 Millionen Riechzellen, zu dem die Tür nur einen Spalt weit offen steht. Aus der Atemluft kann also bloß eine kleine Probe entnommen und über die Riechzellen geleitet werden. Jede Schwellung oder Krümmung führt dazu, dass die Atemluft komplett an der Riechschleimhaut vorbeigeleitet wird.

Das kennt jeder von einer Erkältung: Wenn der Schnupfen mit seinen Adenoviren zuschlägt, dann ist alles dicht. Kein Geruch dringt durch den zähen Schleim, das leckerste Essen ist vollkommen geschmacklos. Meist klingen die Beschwerden schnell wieder ab. Auch chemische Stoffe oder Medikamente (manche Antibiotika, fast alle Zytostatika) können die Nase vorübergehend ausschalten. Nach Absetzen der Therapie kommt das Riechen normalerweise vollständig zurück.

Bekannt ist, dass Raucher ein signifikant schlechteres Riechvermögen haben, weil Tabakrauchtoxine die Riechzellen schädigen. Zum Glück normalisiert sich der Geruchssinn innerhalb weniger Monate, wenn man sich entschließt, mit dem Rauchen aufzuhören.

Diese wundersame Heilung findet statt, weil es unterhalb unserer Riechzellen eine Schicht von Stammzellen gibt, die beim Menschen regelmäßig und lebenslang alle etwa vier bis sechs Wochen die gesamten Riechzellen komplett erneuern. Dank dieser Stammzellen stellt sich das Riechvermögen nach einer Schädigung oder einem Schnupfen wieder ein. Bis sich die Stammzellen allerdings vollständig erneuert haben, kann es ein Jahr oder sogar länger dauern.

Stille Reserve im Untergrund

Gelingt es jedoch den Schnupfenviren, die Stammzellen zu befallen und abzutöten, dann gibt es keine Chance auf eine Erneuerung – und bis heute keine therapeutische Möglichkeit, diesen Menschen zu helfen. Inzwischen wissen wir, dass bei etwa zehn Prozent der schweren Erkältungen das Riechvermögen nicht zurückkehrt. Eine chronische Entzündung der Nasennebenhöhlen kann ebenfalls zu einem kompletten Riechverlust führen.

Früher trat eine Geruchsblindheit häufig nach Autounfällen auf. Wenn der Kopf gegen die Windschutzscheibe prallte, zerriss die Verbindung der Riechzellen zum Gehirn. Dank des Airbags sind solche Traumata sehr selten geworden. Doch auch bei Sturzverletzungen mit Schädel-Hirn-Trauma oder einem harten Schlag auf den Hinterkopf kann die Verbindung zwischen Nase und Gehirn zerstört werden oder das Riechzentrum Schaden nehmen.

Während manche Menschen also nichts mehr riechen, leiden einige unter einer stark erhöhten Empfindlichkeit, sogar Überempfindlichkeit gegenüber Duftstoffen (Hyperosmie). Die Intensität der Düfte macht ihnen genauso zu schaffen wie anderen die Unempfindlichkeit. Daneben gibt es Störungen in der Geruchsverarbeitung im Gehirn, die zu einer komplett veränderten Wahrnehmung von Duftreizen führen. Dann riecht Orangensaft plötzlich nach Benzin oder Lösungsmittel – ein Phänomen, das Experten Parosmie nennen.

Vor allem die ständige Wahrnehmung von schlechten, üblen Gerüchen, die so genannte Kakosmie, stellt für Menschen eine enorme Belastung dar. Selbst die Wahrnehmung von Gerüchen, ohne dass überhaupt Duftmoleküle vorhanden waren, also ohne Geruchsreiz (Phantosmie), kommt vor. Sie geht häufig mit einer psychiatrischen Erkrankung einher.

Auch die Nase altert

Die Verarbeitungszentren von Duftinformationen im Gehirn können ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen werden. So sind alle neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer, ALS und Parkinson im Endstadium fast immer mit einem kompletten Riechverlust verbunden. Bei Parkinson kann man ein reduziertes Riechvermögen bereits zehn Jahre vor anderen Krankheitssymptomen messen und damit den Riechtest als frühen diagnostischen Marker für diese schwere Erkrankung nutzen. Das bedeutet aber keineswegs, dass jeder, der mit zunehmendem Alter schlechter riechen kann, automatisch an Parkinson leidet. Umgekehrt gilt jedoch: Wer im Alter immer noch gut riechen kann, braucht sich keine Sorgen zu machen, dass er eine neurodegenerative Erkrankung hat.

Die häufigste Ursache einer Geruchsblindheit ist nämlich das Alter. Etwa ab dem 60. Lebensjahr sind wir alle nicht verwundert, wenn wir eine Brille benötigen oder ein Hörgerät, aber dass auch das Riechvermögen schlechter wird, daran denken nur wenige. Wissenschaftliche Analysen haben gezeigt, dass etwa fünf Prozent der Bevölkerung an einer nahezu kompletten Geruchsblindheit leiden und knapp 20 Prozent von einem reduzierten Riechsinn (Hyposmie) betroffen sind. Bei den über 80-Jährigen hat sogar fast jeder zweite sein Riechvermögen praktisch vollständig eingebüßt.

Ursache dafür ist die nachlassende Kapazität der Stammzellen, neue Riechzellen zu bilden. Doch diesem Prozess sind wir nicht hilflos ausgeliefert. Wer frühzeitig mit dem richtigen Training beginnt, kann sein Riechvermögen nicht nur verbessern, sondern auch länger erhalten und gleichzeitig »Gehirnjogging« machen.

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