Duftwirkungen ohne Nase: Wenn Düfte direkt ins Blut gehen
Düfte, die wir mit der Nase wahrnehmen, werden sehr subjektiv bewertet. Wir verbinden damit angenehme Erinnerungen oder auch unangenehme Erlebnisse. Denn die Duftinformationen und die dabei erlebten Emotionen werden im Hippocampus – also im Gehirn – fest als Erinnerungen abgespeichert. So kann ein Duft je nachdem, in welcher Situation wir ihn kennen gelernt haben, unterschiedliche Wirkungen bei jedem Menschen auslösen.
Doch nun haben Wissenschaftler gezeigt, dass Düfte auch bei Menschen, die ihren Geruchssinn auf Grund einer Erkrankung oder eines Unfalls vollständig verloren haben, weiterhin Wirkungen zeigen können, und sogar jedes Mal reproduzierbar die gleichen. Wie ist das möglich? Noch dazu ohne funktionsfähige Riechzellen in der Nase? Forscher konnten zeigen, dass Duftmoleküle, die wir einatmen, essen, trinken oder auf die Haut reiben, direkt in unser Blut gelangen und so in den ganzen Körper transportiert werden können. Auf diese Weise kommen sie mit allen Zellen unserer Körpergewebe in Kontakt – von der Peripherie bis zum Gehirn.
In der Außenmembran aller Zellen, vor allem aber der Nervenzellen, gibt es verschiedene Rezeptorproteine, zum Beispiel Sensoren für Temperatur, pH-Wert, Druck, elektrisches Potenzial oder Hormone und Neurotransmitter. Gerade von den Neurotransmittern weiß man, dass sie durch verschiedene chemische Stoffe (Pharmaka) sehr stark in ihrer Funktion verändert werden können – entweder empfindlicher oder unempfindlicher werden.
Unsere Arbeiten zeigen, dass auch Duftstoffe, die über das Blut in unserem Körper verteilt werden, eine wichtige Rolle als Modulatoren von Neurotransmitterrezeptoren spielen. Damit beeinflussen sie die physiologischen Funktionen wie unser Verhalten. Im Gegensatz zu den subjektiven Wirkungen von Düften über die Nase und ihre Aktivierung von Gehirnarealen sind die Effekte der Duftstoffe im Blut, rein pharmakologisch bedingt, reproduzierbar und bei jedem Menschen gleich.
Die Sensoren sind überall
Wir haben uns in den letzten Jahren vor allem mit dem so genannten GABA-Rezeptor im menschlichen Gehirn beschäftigt. Sein Name stammt vom Neurotransmitter Gamma-Aminobuttersäure, der ihn aktiviert. Er wird von Gehirnzellen hergestellt und immer dann freigesetzt, wenn die benachbarten Gehirnzellen in ihrer Aktivität gehemmt werden sollen, also zum Beispiel in Ruhe, im entspannten Zustand oder im Schlaf.
Der GABA-Rezeptor kann von verschiedenen chemischen Stoffen moduliert werden. Sie bewirken, dass der natürliche Neurotransmitter stärker wirkt, der Mensch also müder oder entspannter wird. Hierzu zählen alle klassischen Schlaf-, Beruhigungs- und Narkosemittel, etwa Valium, Barbiturate, Propofol, aber auch Alkohol, die alle über das Blut ins Gehirn gelangen und dort eine schlaffördernde, beruhigende, angstlösende oder narkotisierende Wirkung haben. Wir konnten inzwischen mehr als 30 Duftstoffe identifizieren, die ebenfalls an die GABA-Rezeptoren andocken und so als Beruhigungs- oder Schlafmittel wirken. Dazu gehören Duftkomponenten aus der Gardenienblüte oder dem Lavendel. In manchen Fällen ist der Duftstoff sogar stärker wirksam als Valium.
Werden die GABA-Rezeptoren hingegen blockiert, beispielsweise durch Menthol oder Cineol aus dem Eukalyptus und der Minze oder durch Beta-Asaron aus der Kalmuspflanze, bleibt der Mensch wach und aktiv. Dies wussten im Übrigen schon die alten Ägypter. Sie setzten Kalmus im Räucherwerk der Tempel zur Belebung ein und kannten auch bereits die beruhigenden Düfte aus dem Weihrauch und verschiedenen Blütenpflanzen.
Gegen Krampf und Übelkeit
Interessant für Reisende, die zum Beispiel auf einer Kreuzfahrt unversehens in raue See geraten, oder für Menschen, denen es beim Autofahren schlecht wird, ist die Wirkung von Duftstoffen, die den Neurotransmitterrezeptor für Serotonin im Gehirn beeinflussen. Der ist nämlich hauptsächlich für Reiseübelkeit und Seekrankheit zuständig. Statt der üblichen Pharmaka können ihn auch Duftstoffe aus der Lakritze oder aus Ingwer blockieren, das konnten wir in Experimenten beobachten. Lakritzbonbons oder Ingwerstäbchen, das wissen passionierte Kreuzfahrer, werden auf dem Schiff immer nach dem Essen angeboten und sind – gerade auch für Kinder – eine gute Alternative zu Pflastern oder müde machenden Pillen.
Auch der Azetylcholinrezeptor ist chemisch modulierbar. Er kommt vor allem auf unseren Muskeln vor und sorgt dafür, dass der Muskel mit einer Kontraktion reagiert, wenn der Neurotransmitter Azetylcholin aus den Nervenendigungen freigesetzt wird. Wir konnten vor Kurzem zeigen, dass Chinin diesen Rezeptor blockieren kann. Chinin stammt aus der Chinarinde und kommt in hoher Konzentration auch in Tonic Water vor. Wer also abends ein Tonic Water trinkt, kann die gerade im Alter zunehmenden nächtlichen Wadenkrämpfe reduzieren oder sogar ganz abstellen. Einreiben mit Lavendelöl verstärkt die Effekte noch zusätzlich.
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben