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Lobes Digitalfabrik: Wenn Fake News Leben kosten

Wissenschaftler wollen mit datenanalytischen Prognosetechniken Krankheiten vorhersagen. Doch die Werkzeuge tragen zum Teil selbst zu deren Verbreitung bei.
Ebolawarnschild

Vor ein paar Jahren versuchte Google mit dem Big-Data-Dienst »Flu Trends« den Verlauf von Grippewellen zu prognostizieren. Ein Algorithmus analysierte Suchbegriffe wie »Heiserkeit» oder »Fieber», die mit Grippesymptomen korrelieren, und glich diese mit realen Krankheitsdaten ab. Die Modelle unterschätzten jedoch das Ausmaß der H1N1-Schweinegrippe, die Grippesaison 2012/2013 dagegen wurde massiv überschätzt – hier schlugen die Algorithmen Alarm und meldeten eine drohende Epidemie.

Das Problem war damals, dass die Modelle von einem linearen Verlauf der Gesellschaft ausgingen. Hinzu kam, dass die Daten selbst »infiziert« waren. Nicht jeder, der nach Grippesymptomen googelt, hat auch tatsächlich eine Grippe. Und nicht jeder, der an einer Grippe erkrankt ist, googelt. Der Dienst wurde mittlerweile eingestellt.

Trotzdem hegen Datengurus eine Obsession, mit datenanalytischen Prognosetechniken den Verlauf von Krankheiten vorherzusagen. Wenn man weiß, wie eine Epidemie verläuft, so die Theorie, könnten schneller Präventivmaßnahmen eingeleitet und Menschenleben gerettet werden. Bei der Ebola-Epidemie im Jahr 2014 starben mehr als 11 000 Menschen. Wissenschaftler der Massey University in Neuseeland haben bereits ein mathematisches Modell entwickelt, das mit Hilfe eines maschinell lernenden Algorithmus die Flugbewegungen von Fledermäusen vorhersagt, die womöglich als Auslöser der Pandemie in Betracht kommen. Doch es gibt Grund zu der Annahme, dass die technisch-medialen Werkzeuge, mit denen Datenwissenschaftler den Verlauf von Krankheiten vorhersagen wollen, selbst zu deren Verbreitung beitragen.

Fake News können tödlich sein

Auf dem Höhepunkt der Ebola-Epidemie wurden in sozialen Netzwerken gezielt Fake News verbreitet, welche die Epidemie als Fiktion oder Erfindung des Westens bagatellisierten. »Ich glaube nicht an Ebola«, zitierte die »Washington Post« den Fahrer eines Entwicklungshelfers in Sierra Leone. Das andere Extrem zeigte sich in den USA: Dort wurde via Facebook die Falschnachricht verbreitet, wonach die Bewohner der texanischen Kleinstadt Purdon unter Quarantäne gestellt wurden, nachdem angeblich ein Verdachtsfall in einer Familie gemeldet wurde. Die Meldung war frei erfunden. Während man in den USA mit dem Schrecken davonkam, zerstörte die Epidemie in Westafrika ganze Existenzen.

Scharlatane verbreiteten über soziale Netzwerke Videos über vermeintliche Wunder- und Heilmittel wie das Essen roher Zwiebeln oder von Kokosnüssen, die angeblich die Symptome linderten. Die Wirkung von Falschnachrichten ist ebenso toxisch wie die Epidemie selbst.

Eine Untersuchung der Wissenschaftler Joachim Allgaier und Anna Lydia Svalastog kommt zu dem Ergebnis, dass die Verbreitung von Falschnachrichten bereits Menschenleben kostete. In Nigeria starben mindestens zwei mit Ebola infizierte Einwohner, weil sie die falschen Therapien anwandten.

Der damalige nigerianische Informationsminister Labaran Maku musste eine offizielle Warnung des Inhalts herausgeben, dass das Trinken von Salzwasser Ebola nicht heile. Die Wissenschaftler konstatieren: »Der Ausbruch eines biologischen Virus korrespondiert mit dem Ausbrechen informationeller Viren, die Gerüchte enthalten.« Man müsste wie früher auf den Zigarettenpackungen Meldungen in sozialen Netzwerken mit Warnhinweisen versehen: »Der Gesundheitsminister warnt: Der Konsum von Fake News kann tödlich sein.«

Grassierende »Misinfodemien«

Die Ebola-Epidemie ist nicht das einzige Beispiel aus der Praxis, wo Fake News zu Gesundheitsschäden führen. In vielen westlichen Ländern sind Masern wieder aufgetreten. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gab es allein im Jahr 2018 in Europa 41 000 Neuinfektionen von Kindern und Erwachsenen. Auch in den USA wurden Fälle gemeldet.

Eine zentrale Ursache für die steigenden Masernfallzahlen ist die zunehmende Impfverweigerung, welche in Teilen in Falschinformationen im Netz begründet liegt. 75 Prozent aller mit Impfungen korrespondierenden Pinterest-Posts diskutieren den nachweislich falschen Zusammenhang zwischen Masernimpfung und Autismus.

Fake News immunisieren nicht nur gegen Objektivität und Wahrheit, sondern unterminieren auch das Vertrauen in das Gesundheitssystem. Die Gesundheitsexperten Nat Gyenes und An Xiao Mina sprechen von einer »Misinfodemie«, einer Epidemie von Falschinformationen, die sich wie ein Virus über das Internet verbreitet und Menschen mit Gerüchten infiziert. Die Frage ist: Wie impft man mündige Bürger gegen Fake News? Soziale Netzwerke waren schon immer ambivalent. Doch womöglich sind sie weniger ein Therapeutikum als eine Informationsepidemie, über deren Risiken und Nebenwirkungen man sich bewusst sein sollte.

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