Mäders Moralfragen: Wer hat Angst vor dem bösen Alien?
In der TV-Serie »Star Trek« landen die ersten Außerirdischen am 5. April 2063 auf der Erde, zehn Jahre nach dem Ende des Dritten Weltkriegs. Es sind Vulkanier: seltsame Leute, aber freundlich und aufgeschlossen. Sie wären nicht gekommen, wenn nicht vorher der erste Mensch mit Überlichtgeschwindigkeit durch das Sonnensystem geflogen wäre. Denn was wollen die Vulkanier mit primitiven Außerirdischen wie uns, die nicht ins Weltall reisen können?
Nach dem ersten Kontakt kriegen die Menschen bei »Star Trek« die Kurve. Sie schließen sich zu einer Weltgemeinschaft zusammen. Sie schaffen das Geld ab und streben stattdessen nach persönlicher Reife. Im 22. Jahrhundert gründen sie mit den Vulkaniern und zwei weiteren Zivilisationen die friedliche, aber wehrhafte Föderation der Planeten. Der Kontakt zu rationalen und friedliebenden Wesen wie den Vulkaniern hilft der Menschheit also, ihre althergebrachten Streitigkeiten zu überwinden und sich endlich ein Paradies zu schaffen.
Doch es hätte auch anders kommen können. Nur weil sich eine Zivilisation nicht durch Atomkrieg oder Umweltzerstörung selbst vernichtet, bevor sie ins All aufbricht, muss sie noch lange nicht friedlich sein. Unsere Sciencefiction-Szenarien sind so gut wie jede andere Überlegung zu den Motiven der Aliens: Man stelle sich nur vor, die kriegerischen Klingonen wären schneller gewesen als die Vulkanier. In der »Star-Trek«-Welt des mittleren 21. Jahrhunderts hätten sie sicher als Erste geschossen und damit die menschlichen Generäle und Warlords provoziert. Oder denken wir an die Maschinenwesen der Borg, die möglichst viele intelligente Lebewesen an ihr kollektives Bewusstsein anschließen wollen. Im »Star-Trek«-Universum sind sie im 21. Jahrhundert glücklicherweise noch weit weg von der Erde.
Wo Hawking Recht hat, hat er Recht
Deshalb haben Forscher wie Stephen Hawking Recht, wenn sie davor warnen, Aliens auf uns aufmerksam zu machen. Wir wissen nicht, was die Außerirdischen im Schilde führen. Sie könnten uns kolonisieren, wie es einst die Europäer in Nord- und Südamerika taten, sagte Hawking vor einigen Jahren. Die Befürworter einer aktiven Suche nach Aliens bemühen hingegen den Gedanken, der schon in der »Star-Trek«-Version des ersten Kontakts steckt: Wenn sich unsere Perspektive weitet, weil wir nicht mehr das Zentrum des Universums sind, sondern Teil von etwas Größerem, dann werden wir Menschen endlich über uns hinauswachsen.
Als aktive SETI (Search for Extra-Terrestrial Intelligence) bezeichnet man das Aussenden von Botschaften, während man bei der passiven SETI nur nach Signalen von Aliens Ausschau hält. Inzwischen sind rund 3000 Exoplaneten nachgewiesen worden, und es werden ständig mehr – da ist es doch wahrscheinlich, dass irgendwo eine zweite Erde existiert. Sollten wir bei der Suche nach anderen intelligenten Lebewesen nicht alle Mittel ausschöpfen, wenn uns der Kontakt derart bereichern könnte, anstatt uns zu verstecken?
Eine ähnlich hoffnungsvolle Position vertritt auch der Zukunftsforscher Anders Sandberg von der University of Oxford, obwohl er gerade in einem Fachartikel dafür argumentiert hat, dass wir wahrscheinlich allein sind im Universum. Sandberg befürchtet zwar, dass unsere Abschätzungen über die Chance, einen Alien zu treffen, viel zu optimistisch sind. In seinem Fachartikel diskutiert er die so genannte Drake-Formel. Er kommt zum Schluss, dass wir mit einer Wahrscheinlichkeit von mindestens 53 Prozent und vielleicht sogar 99,6 Prozent die einzige intelligente Zivilisation in der Milchstraße sind. Aber in einem (schon etwas älteren) TEDx-Vortrag, kommt er trotz seiner Skepsis zu einem positiven Schluss: »Wir sind für das Leben und das Bewusstsein im Universum verantwortlich«, sagt er. Und: »Wir können die Sterne mit Leben füllen.«
Die oberste Direktive ist schon heute sinnvoll
Man kann Sandbergs Szenario aber auch zynisch kommentieren: Wenn wir wirklich allein sein sollten im All, dann können wir wenigstens keine anderen Zivilisationen töten. Denn in Stephen Hawkings Warnung steckt noch ein zweites Argument gegen die aktive Suche nach Außerirdischen: Mit dem Hinweis auf die Kolonisierung Nord- und Südamerikas stößt er uns auf die Frage, wie wir Menschen auf den ersten Kontakt reagieren würden. Wären wir uns der Grenzen des gegenseitigen Verständnisses bewusst? Im Kinofilm »Arrival« ist sich die Sprachwissenschaftlerin zum Beispiel nicht sicher: Haben die Aliens von Waffen oder von Werkzeugen gesprochen? Der Colonel will nicht warten, sondern antwortet gleich, er habe genug erfahren. Und was wäre, wenn uns die Außerirdischen technisch unterlegen wären? Würden wir das ausnutzen? Die Geschichte der Menschheit zeigt: Es steckt auch ein bisschen Klingonen- und Borg-Mentalität in uns. Die Föderation der Planeten gibt sich bei »Star Trek« im 22. Jahrhundert als oberste Regel, alle Zivilisationen in Ruhe zu lassen, die noch nicht mit Überlichtgeschwindigkeit fliegen können. Das ist eine kluge Idee, weil schwer abzuschätzen ist, wie weniger entwickelte Zivilisationen auf den Kontakt reagieren würden. Es wäre sinnvoll, wenn wir diese Regel schon heute auf uns selbst anwenden würden. Leider ist das ein unrealistischer Gedanke.
Denn wenn man die oberste Direktive ernst nimmt, müsste man streng genommen sogar die passive SETI verbieten. Es reichen schließlich ein paar dumme Menschen, die eine Botschaft aus dem All beantworten, bevor sich die Staaten der Welt überlegen können, wie sie darauf reagieren wollen. Wollen wir wirklich für alle unsere Mitmenschen die Hand ins Feuer legen? Im preisgekrönten Roman »Die drei Sonnen« von Liu Cixin nehmen verbitterte Chinesen den Kontakt auf, die sich an der Menschheit rächen wollen. Auf Seiten der Aliens antwortet ein Horchposten, bevor seine Regierung von der Nachricht der Menschen erfährt. Er stellt sich als Pazifist vor, und er versucht, das Schlimmste zu verhindern: »Es ist euer Glück, dass ich als Erster die Botschaft von eurer Zivilisation erhalten habe. Ich warne euch ...«
Die Moral von der Geschichte: Aliens der Galaxis, hört nicht auf diese Zivilisation!
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