Springers Einwürfe: Wie wir zusammenfinden
Die Welt, in die Kinder hineinwachsen, ist von sozialen Unterschieden geprägt. Wer das Glück hat, aus »guten Verhältnissen« zu stammen, hat es in der Regel später leichter als jemand, der mit dem Stigma der Armut aufwächst. Lässt sich unter diesen Bedingungen überhaupt annähernde Chancengerechtigkeit herstellen?
Kein Mensch ist eine Insel. Um die individuelle Verbundenheit mit anderen Menschen zu charakterisieren, hat der französische Soziologe Pierre Bourdieu (1930–2002) den Begriff des sozialen Kapitals geprägt. Wer im Lauf seines Lebens Freunde gewinnt, kollegiale Kontakte oder geschäftliche Beziehungen knüpft, der akkumuliert soziales Kapital – und je nachdem wachsen seine Aussichten auf privaten und beruflichen Erfolg.
Nur: Wie lässt sich das quantifizieren? Für Kapital im üblichen Sinn bildet sein Geldwert die Messgröße. Bloß wie misst man den Grad gesellschaftlicher Verbundenheit?
Den Versuch hat ein US-Team um den Stanford-Wirtschaftswissenschaftler Raj Chetty unternommen. Als Datenbasis dienten 21 Milliarden »Freundschaften«, die gut 72 Millionen Menschen in den USA auf dem sozialen Netzwerk Facebook eingegangen waren. Die Forscher analysierten die Verbindungen nach dem Vernetzungsgrad (inwiefern sind die Freunde des Nutzers wiederum untereinander befreundet), nach dem ehrenamtlichen Engagement der Einzelnen sowie nach der Messgröße der »ökonomischen Verbundenheit«.
Das letztere Kriterium erwies sich als entscheidend. Es drückt das Ausmaß aus, in dem eine wohlhabende Person mit ärmeren Menschen befreundet ist oder umgekehrt. Es heißt ja nicht ohne Grund: Gleich und Gleich gesellt sich gern. Jemand, der – um Soziologendeutsch zu gebrauchen – über einen gehobenen sozioökonomischen Status verfügt, tauscht sich vorzugsweise mit seinesgleichen aus, und für finanziell schwächer Gestellte gilt sinngemäß dasselbe.
Was fördert den Austausch?
Gäbe es von dieser Regel keine Ausnahmen, dann wäre die Ungleichheit zementiert. Die Chance, dass eine gewisse soziale Mobilität herrscht und wenigstens ansatzweise eine Durchmischung der Einkommensschichten stattfindet, hängt somit von der Größe der ökonomischen Verbundenheit im oben definierten Sinn ab.
Nachdem Chettys Team im ersten Teil der Untersuchung dieses Ergebnis gesichert hatte, fragte es sich in einem zweiten Artikel: Was prägt den schichtenübergreifenden Austausch? Wie kann man ihn fördern?
Den analysierten Facebook-Daten zufolge stößt die Durchmischung auf zweierlei Hindernisse: institutionelle und habituelle. Zum einen sind manche Einrichtungen an sich sozial weniger durchlässig als andere. Die Auswertung für die USA bescheinigt beispielsweise den Kirchen, egalitärer zu sein als Schulen in gut situierten Stadtvierteln. Ähnliches ließe sich wohl für Europa über Vereine und Parteien sagen, in denen jeder und jede, ob arm ob reich, gleichermaßen willkommen ist – zumindest auf den ersten Blick.
Denn wie die Forscher finden, trügt der Schein. Selbst wenn die Institution von sich aus keine Barrieren aufstellt, etablieren sich in ihr die in der Gesamtgesellschaft üblichen Gegensätze, und anstatt dass über Einkommensgrenzen hinweg neue Freundschaften entstehen, gesellt sich drinnen wie gehabt Reich zu Reich und Arm zu Arm.
Die ökonomische Verbundenheit steigt nicht von selbst, betonen die Autoren der Studie. Zum Beispiel sollten Schulen gezielt Lehrer aus unterprivilegierten Schichten einsetzen und Stadtplaner Wohnbezirke entwerfen, die weder Slumbildung noch Gentrifizierung zulassen. Und Politiker sollten Begegnungen zwischen Menschen organisieren, die normalerweise kaum ein Wort miteinander wechseln.
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