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Meinels Web-Tutorial: Wie das Internet zur größten Mediathek der Welt wurde

Zum ruckelfreien Streamen braucht es mehr als nur eine schnelle Datenverbindung. Erst einige Schlüsselinnovationen machten die Allgegenwart von Onlinevideos möglich.
Fast zwei Drittel des Internetverkehrs entfallen auf die Übertragung von Videos

Fast zwei Drittel des gesamten Internetverkehrs entfallen heute auf die Übertragung von Videos. Ob über die beliebten Streamingdienste rund um Netflix oder umfangreiche Mediatheken großer Fernsehsender, ob über die bekannten Videoplattformen wie Youtube oder Social Media – Videodaten sind längst zum beliebtesten Medium im Netz avanciert, und das Angebot wächst stetig.

Einige imposante Zahlen mögen die Bedeutung von Videoübertragung über das Internet verdeutlichen: Der Streaming-Pionier Youtube verzeichnet heute über zwei Milliarden monatliche Nutzer. Das bedeutet, dass etwa ein Viertel der Weltbevölkerung Youtubevideos schaut, das meistgesehene Video auf der Plattform ist das Musikvideo »Despacito«, es wurde über sechseinhalbmilliardenmal geklickt. Pro Minute werden rund 500 Stunden (!) an neuem Videomaterial hochgeladen. Auf Netflix werden täglich 140 000 Stunden an Filmen und Serien gestreamt. Wollte man alle dort verfügbaren Videos am Stück schauen, bräuchte man derzeit über vier Jahre. Noch drastischer sind die Zahlen beim Branchenprimus Youtube. Fast 40 Prozent des Internetverkehrs gehen auf das Konto der Plattform. Würde ab heute kein weiterer Content mehr hochgeladen, dann bräuchte man 60 000 Jahre, um sich alles anzuschauen.

Die großen Online-Videoplattformen haben mit ihren vielfältigen Angeboten das Konsumverhalten vieler Menschen nachhaltig verändert. Im Web muss man sich nicht mehr an die rigiden Programmabläufe analogen Fernsehens halten, sondern kann »on demand« genau die Sendungen schauen, die einen interessieren, und das wann und wo man möchte. Sogar Liveübertragungen über digitale Plattformen sind inzwischen gang und gäbe. 2019 überstieg die Nutzung von Onlinemedien erstmals diejenige des regulären TVs, mit stark zunehmender Tendenz. Auch auf den sozialen Medien sind Videodateien zum beliebtesten Content geworden.

Damit das alles möglich werden und sich unsere Medienlandschaft so sehr verändern konnte, brauchte es neue Verfahren zur Übertragung von kontinuierlichen Audio- und Videodaten. Klassischerweise arbeiten Internetdienste nach dem Schema: erst Daten übertragen, dann Daten nutzen. Bei Multimediadaten ist dieser Ansatz nicht sinnvoll, da es sich hier um riesige Datenmengen handelt und deshalb der durch die Übertragung entstehende Zeitverzug bis zur Wiedergabe nicht tolerierbar ist. Insbesondere gilt das für Liveübertragungen, die nach dem klassischen Muster überhaupt nicht möglich sind. Daher wurde ein Verfahren entwickelt, dass die Medienwiedergabe bereits ermöglicht, noch während die Datenübertragung läuft. Dieses Verfahren wird als »Mediastreaming« oder einfach nur »Streaming« bezeichnet.

Welche clevere Technik steckt hinter dem Begriff TCP/IP? Wie bekommt man Videos ins Netz? Und warum erscheint uns das Internet aus einem Guss, obwohl es aus Milliarden unterschiedlicher Rechner besteht? Das und mehr beleuchtet Informatikprofessor Christoph Meinel alle drei Wochen bei seinem Blick hinter die Kulissen des World Wide Web.
Alle Folgen gibt es hier: »Meinels Web-Tutorial«

Damit eine ruckelfreie Wiedergabe von Audio- und Videodaten noch während der Datenübertragung möglich wird, muss beim Empfänger der Multimediadaten ein »Wiedergabepuffer« installiert sein. Das ist notwendig, weil auch Multimediadaten in viele einzelne Datenpakete verpackt über das Internet transportiert werden und auf Grund schwankender Verkehrslasten und stellenweiser Netzüberlastungen unregelmäßig eintreffen, ein Phänomen, das als »Jitter« bezeichnet wird. Ohne entsprechende Ausgleichsmaßnahmen wäre ein kontinuierliches Medienerlebnis beim Nutzer nicht möglich. Der »Puffer« ist ein linearer Kurzzeitspeicher beim Multimediaclient des Nutzers, in den auf der einen Seite die zeitlich unregelmäßig eintreffenden Datenpakete einlaufen und auf der anderen Seite die als Nächstes wiederzugebenden Dateneinheiten ausgegeben werden, so dass eine kontinuierliche Wiedergabe als flüssiges Video möglich ist.

Ruckelfrei dank Puffer

Wenn ein Stream startet, dann füllt sich zunächst der Puffer mit den ersten Sekunden des anzuschauenden Videos. Sobald das geschehen ist, kann die Wiedergabe beginnen, indem die Videodaten aus dem Puffer heraus »abgespielt« werden. Bei der Wiedergabe leert sich der Puffer um die bereits wiedergegebenen Dateneinheiten, und es entsteht Platz für die Zwischenspeicherung der nächsten Sekunden des Videos. So kann in den meisten Fällen garantiert werden, dass selbst wenn die Datenübertragung aus dem Internet mal besser und mal schlechter läuft, die Ausgabe aus dem Puffer für die Wiedergabe flüssig und gleichförmig geschehen kann. Stockt die Datenübertragung einmal derart, dass sich der Puffer nicht so rechtzeitig füllt, wie das zur kontinuierlichen Multimediawiedergabe notwendig wäre, dann kommt es zum berühmten »Ruckeln« oder Stocken des Videos. Erst wenn die Datenübertragung wieder besser wird und sich der Puffer erneut gefüllt hat, wird dann die Wiedergabe fortgesetzt.

Üblicherweise werden Datenpakete über das TCP-Protokoll übertragen, um mit dessen Quittierungs- und Retransmissionsmechanismen sicherzustellen, dass keine Datenpakete verloren gehen oder vertauscht werden. Dieses Vorgehen ist aber bei der Übertragung von Multimediadaten zu ineffizient. Denn einerseits blähen die komplexen Validierungsmechanismen die Datenpakete auf, und andererseits ist der Verlust einzelner Datenpakete durchaus verkraftbar. Verlorene Datenpakete äußern sich in Videos in der Regel durch winzige Grafikfehler im Bild, die den Gesamteindruck kaum stören. Daher nutzen die für das Streaming zuständigen Anwendungsprotokolle RTP (Real-time Transport Protocol) und RSTP (Real-time Streaming Protocol) anstatt TCP das viel einfachere UDP-Protokoll zur Datenübertragung.

Die fehlenden Absicherungsmechanismen werden in schlanker Version von den Real-Time-Protokollen bereitgestellt, zum Beispiel über die Verwendung von Sequenznummern, Zeitstempeln und Codierung, so dass der einlaufende Strom von Datenpaketen beim Empfänger richtig geordnet werden kann. Damit die Mediendaten vom Zuschauer über den Webbrowser angeschaut werden können, brauchen ältere Browser Plug-ins, neuere Browser bringen die Fähigkeit heute von Haus aus mit. Wenn man auf mobilen Endgeräten oder smarten Fernsehern streamen möchte, braucht es so genannte native Apps, die für das jeweilige Betriebssystem optimiert sind und für die korrekte Decodierung und Wiedergabe sorgen.

Neben dem Streaming auf Basis der Real-Time-Protokolle gibt es die Möglichkeit, direkt über das Webprotokoll HTTP zu streamen. Normalerweise geht das nicht, weil über HTTP alle Daten klassischerweise erst ausgeliefert und dann wiedergegeben werden. Deshalb wurde über einen so genannten progressiven Download das »HTTP-Pseudostreaming« entwickelt. Dabei werden Mediendaten, die der HTTP-Server schickt, empfangen und stückchenweise in eine temporäre Datei des Nutzers kopiert. Von dort aus wird dann die Wiedergabe gestartet, sobald ausreichend Daten übermittelt wurden. Im Hintergrund läuft der Download der temporären Daten weiter, und der vollständige Datensatz wird sukzessive ausgeliefert.

Pseudostreaming funktioniert auch in abgesicherten Netzwerken

Ein großer Vorteil des HTTP-Pseudostreaming besteht darin, dass es nicht über die typischen RTP/RSTP-Ports läuft, die in Unternehmensnetzwerken aus Sicherheitsgründen oft geblockt werden. So wird Streaming auch in sicheren Netzwerken ermöglicht. Der Nachteil dieses Verfahrens ist allerdings, dass zwischendurch die Medienqualität nicht angepasst werden kann, sondern der Download bei veränderter Qualitätsstufe neu gestartet werden muss. Auch Live-Streaming im echten Sinne ist so nicht möglich, da nur vollständige Dateien vom Webserver ausgeliefert werden können, also dort vor der Übertragung komplett vorliegen müssen.

Streaming über die Real-Time-Protokolle oder über HTTP hat sich als so effektiv für die Übermittlung und das Abspielen enormer Datenmengen bei nur geringer Zeitverzögerung herausgestellt, dass auch Liveübertragungen von Sendungen, Sportveranstaltungen und anderen Events über das Internet immer populärer werden. Durch den niederschwelligen Gebrauch von Endgeräten aller Art – vor allem aber des Smartphones – mit integrierten Mikrofonen und Videokameras ist es inzwischen praktisch jedem möglich, selbst aufgenommene Videos über Multimediaplattformen oder Social Media (live) zu streamen und ins Internet zu stellen. Insofern haben die digitalen Technologien ganz entscheidend dazu beigetragen, dass die Hürden für die Publikation von multimedialen Formaten über das Internet gewissermaßen eingerissen sind. Quasi alle können kinderleicht eigene Videos aufzeichnen und publizieren. Das Phänomen der Influencer und der Durchbruch von Social Media wäre anders nicht denkbar – mit all seinen bekannten Vor- und Nachteilen. Doch dazu in den nächsten Beiträgen mehr.

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