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Springers Einwürfe: Wie die Impfskepsis wächst

Massenimpfungen versprechen ein Ende der Corona-Pandemie – vorausgesetzt, die Gegnerschaft nimmt nicht überhand.
Twitter- und Facebook-Apps auf einem Smartphonebildschirm

Abstand halten! Hände waschen! Alltagsmaske tragen! Immer mehr Menschen sind der drei AHA-Regeln müde, und ganz vertreiben lässt sich das Coronavirus so eh nicht. Doch unterdessen hat eine weltweite und historisch einmalige Forschungskampagne gleich mehrere Impfstoffe bereitgestellt, welche die begründete Hoffnung auf ein absehbares Ende der Seuche wecken.

Der Haken an der Sache ist nur, dass viele Europäer und Nordamerikaner sich nicht impfen lassen wollen. Wenn deren Anteil an der Bevölkerung einen gewissen Wert übersteigt, vermag kein noch so potentes Vakzin das Virus auszurotten.

Wie kommt es eigentlich zur Ausbreitung von Impfskepsis? Das hat der Physiker und Komplexitätsforscher Neil F. Johnson von der George Washington University in Washington, D. C., am Beispiel der Masern­epidemie von 2019 untersucht. Er versammelte ein Team von Informatikern, Politologen und Gesundheitsforschern, um aus dem globalen Pool der rund drei Milliarden Facebook-Nutzer diejenigen 100 Millionen herauszufischen, die zu der Frage, ob man sich impfen lassen solle, irgendwelche Meinungen äußerten oder mit Hilfe des Gefällt-mir-Buttons bewerteten.

Auf den ersten Blick mutet das Ergebnis eher beruhigend an: In einem Meer von Unentschlossenen (74 Millionen) schwimmt zwar eine Minderheit von 4 Millionen erklärten Impfgegnern, ihnen gegenüber befinden sich aber immerhin knapp 7 Millionen dezidierte Impfbefürworter. In deren Übergewicht spiegelt sich offensichtlich die in den verschiedenen Medien geleistete Aufklärungsarbeit wider.

Beunruhigend wird das Bild, wenn man die Meinungscluster, ihre Vernetzung und ihre Ausbreitung genauer unter die Lupe nimmt. Die Impfbefürworter bilden zwar große, dafür wenige und relativ isolierte Gruppen, während sich die Skeptiker sehr mobil zwischen den Unentschlossenen umherbewegen und intensiv mit diesen interagieren. Die hochgradige Vernetzung fördert den Vormarsch der Impfskepsis, während die Befürworter in ihren separaten Clustern mehr oder weniger unter sich bleiben und so den falschen Eindruck gewinnen, ihre Meinung herrsche unangefochten. In der Tat wuchsen manche Gruppen von Impfgegnern im Lauf der Masernepidemie um das Dreifache, die der Befürworter hingegen nur selten auf das Doppelte.

Wie kommt das? Das Argumentieren gegen die Impfskepsis droht an deren Vielgestaltigkeit zu scheitern: Mancherorts herrscht Misstrauen gegen die Apparatemedizin, anderswo wird das Profitstreben der Pharmakonzerne verurteilt, wieder andere Gruppen propagieren »alternative« Heilmethoden oder vermeintlich immunstärkende Wundermittel, überall kursieren Anekdoten über Impfschäden, und »die da oben«, ob Politiker oder Mediziner, machen doch ohnedies, was sie wollen.

Wie die Forscher um Neil F. Johnson betonen, verschwindet in dem Fall die minoritäre Meinung keineswegs mit der Zeit von selbst. Ihren Modellrechnungen zufolge wachsen zwar die Cluster der Befürworter – die der Impfgegner vergrößern sich allerdings schneller. In etwa zehn Jahren, so der alarmierende Befund, schneiden sich die beiden Kurven, und von da an haben die Skeptiker Oberwasser.

Gewiss, die Modelle der Studie sind grob vereinfacht und mit Vorsicht zu genießen. Jedenfalls räumen sie mit der Illusion auf, die in den sozialen Medien kursierenden Abstrusitäten ließen sich allein durch die Überzeugungsarbeit vor allem der Massenmedien aus der Welt schaffen. Mit Facebook, Twitter und Co entsteht eine kompakte Gegenöffentlichkeit, die tendenziell ihre eigene Wirklichkeit erzeugt.

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