Die fabelhafte Welt der Mathematik: Die mathematisch perfekte Snackschale
An einem Abend in diesem Sommer saß ich mit einer Freundin in einer schönen Weinbar in Den Haag. Wir bestellten etwas zum Knabbern und bekamen eine riesige Schale Oliven vorgesetzt – und ein winziges Behältnis, das an ein Schnapsglas erinnerte, um die Kerne zu entsorgen. Meine Freundin und ich schauten uns verwirrt an. Wie sollten die Kerne all dieser Oliven in diese kleine Schale passen?
Das Problem lässt sich glücklicherweise recht einfach mit Mathematik lösen. Da Oliven und ihre Kerne ungefähr gleich geformt sind, muss man nur das Verhältnis ihrer Volumina berechnen. Die Schale für die Früchte und die für die Abfälle sollten dann dasselbe Verhältnis aufweisen, damit die Kerne in letztere hineinpassen.
Sowohl Oliven als auch ihre Kerne haben näherungsweise die Form eines Ellipsoids, einer Art in die Länge gezogene Kugel. Dessen Volumen lässt sich mit einer simplen Formel berechnen: πa2b, wobei a dem halben Durchmesser und b der halben Länge entspricht, ähnlich wie bei einer Ellipse. Eine typische Olive hat demnach ein Volumen von drei bis vier Kubikzentimetern, ein Kern hingegen von etwa 0,23 Kubikzentimetern. Damit ist der Kern 13- bis 17-mal kleiner als die gesamte Frucht.
Da es selten gelingt, das gesamte Fleisch einer Olive vom Kern zu entfernen, können wir mit der größeren Schätzung weiterrechnen, also dass der Kern etwa einem Dreizehntel einer Olive entspricht. Damit sollte es also genügen, wenn das Abfallgefäß ungefähr 13-mal kleiner ist als die Schale, in der die Oliven serviert werden.
In der holländischen Weinbar hatte die Schale mit den Oliven einen Durchmesser von etwa zwölf Zentimetern (wir hatten eine wirklich große Portion Oliven). In die halbkugelförmige Schale passte also ein Volumen von etwa 450 Kubikzentimetern. Für die Kerne genügt dementsprechend ein Dreizehntel davon, also ein Gefäß mit einer Füllmenge von 35 Kubikzentimetern – was weniger ist als die Abmessung eines typischen Schnapsglases. Und tatsächlich: Alle Olivenkerne passten an diesem Abend locker in das dafür bereitgestellte Gefäß. Ob die Bedienungen in der Bar das zuvor ausgerechnet hatten oder sich auf Erfahrungswerte beriefen, habe ich leider nicht herausfinden können.
Pistazien sind komplexer als Oliven
Allerdings lässt sich diese Berechnung nicht für jeden Snack so einfach durchführen. Angenommen, meine Freundin und ich hätten keine Oliven, sondern Pistazien bestellt. Diese Steinfrucht (ja, Pistazien sind tatsächlich Früchte und nicht Nüsse) sind von lästigen Schalen umgeben, die man erst öffnen muss, um an den leckeren Inhalt zu gelangen. Pistazien gehören zu meinen Lieblingssnacks – und jedes Mal verschätze ich mich, wenn ich ein Behältnis für die anfallenden Abfälle bereitstelle. Meist reicht mir der Platz nicht aus.
Die kompliziertere Form der Pistazienschalen stellt zugegebenermaßen aber auch eine Herausforderung für das Augenmaß dar. Sie ähneln kleinen, ausgehöhlten Booten, und wenn man sie unachtsam in ein Behältnis wirft, dann stapeln sie sich nicht fein säuberlich, sondern liegen teilweise kreuz und quer übereinander und verbrauchen unnötig viel Platz. Wie viel Volumen sollte man für Pistazienschalen also einplanen?
Diese Frage haben sich die beiden Physiker Ruben Zakine und Michael Benzaquen vom Institut Polytechnique de Paris im Juni 2024 gestellt, die ihre Forschungsthemen gern in der Cafeteria besprechen und dabei Pistazien essen. Die optimale Packungsgröße einer Form zu berechnen, ist aus mathematischer Sicht eine extrem komplexe Aufgabe. Eine exakte Antwort gibt es meist nur für Kreise oder Kugeln – und selbst da stellt sich das Problem als derart kompliziert heraus, dass eine der größten mathematischen Auszeichnungen, die Fields-Medaille, im Jahr 2022 für Fortschritte auf diesem Gebiet vergeben wurde.
Die perfekte Packung von Pistazienschalen zu berechnen, ist daher völlig unmöglich. Doch glücklicherweise waren Zakine und Benzaquen nicht an optimalen Szenarien interessiert, die im echten Leben sowieso nur selten eine Rolle spielen. Sie wollten herausfinden, wie der nicht ideale Fall ist – wie viel Platz achtlos weggeworfene Pistazienschalen verbrauchen. Dafür bietet sich ein Experiment an.
Ich vermute, die Durchführung des Laborversuchs war nicht ganz uneigennützig: Die Forscher nutzten dafür 613 Pistazien, die sie in einen zwei Liter umfassenden gläsernen Zylinder füllten, um ihr Volumen zu bestimmen. Anschließend schälten sie die Früchte und gaben sie in denselben Zylinder (was sie mit dem leckeren Inhalt der Pistazien anstellten, erzählen sie in ihrer Veröffentlichung leider nicht). Die Schalen brauchten 73 Prozent des Volumens ganzer Pistazien. Nachdem die Forscher den Zylinder 20 Sekunden lang geschüttelt und rotiert hatten, um die Schalen zu verdichten, nahmen sie nur noch 57 Prozent des Volumens ein.
Um etwas mehr über die Anordnung der Pistazienabfälle herauszufinden, haben die beiden Forscher ihre Ergebnisse mit bestehenden Kenntnissen zu nicht sphärischen Packungsproblemen verglichen. 2010 hatten Forschende um Matthieu Marechal von der Universität Utrecht untersucht, wie sich schalenförmige Objekte anordnen. Sie hatten dafür Experimente mit Kolloiden und Computersimulationen durchgeführt und verschiedene Phasen (säulenförmig geordnet bis völlig chaotisch) charakterisiert, die unter anderem von der Dichte der Anordnung abhängen. In der geordneten Phase ist die Dichte beispielsweise sehr hoch. Die schalenförmigen Objekte sind dann fein säuberlich ineinandergestapelt und bilden lange Säulen. In der chaotischen Phase liegen sie hingegen kreuz und quer übereinander und verbrauchen sehr viel Platz.
Pistazienschalen befinden sich irgendwo zwischen Ordnung und Chaos
Zakine und Benzaquen verglichen ihre Ergebnisse mit jenen vom Team um Marechal: Die von ihnen ermittelte Dichte der Pistazienschalen entspricht einer Art Zwischenphase, in der geordnete und chaotische Zustände koexistieren. Das ergibt Sinn, urteilen die beiden Physiker in ihrer Veröffentlichung. Wenn man die Pistazienschalen im durchsichtigen Zylinder näher betrachtet, dann lässt sich erkennen, dass sie teilweise ungeordnet herumfliegen, sie sich aber an anderen Stellen ineinanderstapeln.
Zu guter Letzt haben Zakine und Benzaquen noch die Masse der Pistazienschalen mit ihrem Inhalt verglichen. Die 613 Pistazien brachten insgesamt 820 Gramm auf die Waage – 381,1 davon machten die Schalen aus und 438,9 Gramm die Früchte selbst. Demnach sind nur 54 Prozent einer Pistazie essbar. Dieses Wissen »könnte sich als nützlich erweisen, wenn man die Preise von geschälten Pistazien mit denen von ungeschälten vergleicht«, schreiben die beiden Physiker. Dabei dürfe man aber nicht den Spaß außer Acht lassen, der sich beim Schälen ergibt, betonen sie.
Für unseren Abend in der Weinbar bedeutet das: Hätten meine Freundin und ich die halbkugelförmige Schale mit einem Volumen von etwa 450 Kubikzentimetern voller ungeschälter Pistazien bestellt, dann hätten wir einen zweiten Behälter mit einem Fassungsvermögen von mindestens 260 Kubikzentimeter gebraucht – und das auch nur, wenn wir die Pistazienschalen verdichtet hätten. Hätten wir sie einfach nur lose hineinwerfen wollen, dann wäre ein Volumen von knapp 330 Kubikzentimeter nötig gewesen; also ein kleines Bierglas. Eher unpraktisch, wenn man in einer Weinbar ist.
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