Freistetters Formelwelt: Wie lässt sich eine Sturzflut vorhersagen?
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Die Gefahr eines Hochwassers ist allen Menschen bewusst, die in der Nähe von Flüssen mit entsprechendem Potenzial leben. Sogar abseits der Gewässer kann es zu Überschwemmungen kommen. Bei so einer Sturzflut sorgt Starkregen (oder der Bruch eines Damms) für das plötzliche Auftreten großer Wassermengen. Wie sich eine Sturzflut entwickelt, hängt nicht nur von der Wassermenge selbst ab, sondern auch von der Oberfläche, auf die sie trifft. Trockener Boden kann Wasser schlecht aufnehmen, und wenn die Erdoberfläche durch unsere Infrastruktur versiegelt ist, kann es oft gar nicht abfließen. Oder anders gesagt: Es fließt dann dort ab, wo man nicht damit rechnet.
Eine solche Sturzflut mathematisch zu beschreiben, ist kompliziert. Man braucht sowohl meteorologische Daten und ein hydrologisches Modell des Bodens, das Landnutzung, Bodenart, Bodenfeuchte und so weiter sehr kleinräumig erfasst, als auch geografische Daten über das Abflussverhalten des Wassers. Und dann muss man noch einen Weg finden, die Gefahr zu quantifizieren. Das kann man mit dieser Formel machen:
Die Abkürzung SFGF steht für Sturzflutgefahrenfläche. Eine Oberfläche gilt dann als gefährdet, wenn Menschen sie nicht mehr sicher begehen können oder Fahrzeuge aufschwimmen und abdriften. Mathematisch ist das in der Formel durch die Fließgeschwindigkeit v, die Wassertiefe z und den spezifischen Durchfluss q (das Produkt von v und z) dargestellt.
Wenn das Wasser der Sturzflut schneller als mit 1,5 m⁄s strömt, wenn es tiefer als 0,3 m ist oder der Durchfluss größer als 0,2 m3⁄ms, dann gilt eine Fläche als gefährdet. Der Sturzflutindex (SFI) selbst wird aus dem gefährdeten Anteil berechnet. Keine oder nur eine geringe Gefahr besteht, wenn der SFGF-Anteil in einer Region unter 0,5 Prozent beträgt. Bis zu zwei Prozent bestätigt eine mäßige Gefahr, zwischen zwei und fünf Prozent eine erhebliche bis große Gefahr und darüber eine sehr große Gefahr.
Simple Skala, schwere Mathematik
Diese simple Skala mit ihren vier Stufen lässt sich gut zur Gefahrenkommunikation einsetzen. Die mathematisch-wissenschaftlichen Hintergründe einer Sturzflut dagegen sind enorm komplex. Man muss zuerst die fragliche Region hydrologisch modellieren, also berechnen, wo sich überhaupt Wasser ansammeln kann. Dazu braucht es lokale und aktuelle Daten über die Bodenfeuchte, über die Art des Bodens selbst, seine landwirtschaftliche oder anderweitige Nutzung, und so weiter. Daraus lässt sich in einem nächsten Schritt anhand der geografischen Gegebenheiten berechnen, wohin das Wasser abfließen und mit welcher Geschwindigkeit es das tun wird. Mit diesen Daten kann man schließlich die Sturzflutgefahrenflächen bestimmen und daraus in einem letzten Schritt eine Karte erstellen, die die Region entsprechend des Sturzflutindex einfärbt.
Für die potenziell betroffenen Menschen ist die Wissenschaft hinter dieser Berechnung eher zweitrangig. Für sie ist nur der SFI selbst von Bedeutung. So wie es jetzt schon Karten und Datenbanken gibt, die die Gefahr durch Hochwasser oder Waldbrände darstellen, könnte in Zukunft der SFI darüber informieren, wann das Risiko einer Sturzflut besteht. Einsatzkräfte und Katastrophenschutz könnten sich gezielt vorbereiten; langfristig kann man der Gefahr vorbeugen, indem zum Beispiel kritische Flächen entsiegelt werden.
Bis das in der Praxis funktioniert, braucht es allerdings nicht nur die passende Mathematik, sondern vor allem jede Menge Daten, um das System zu testen und zu kalibrieren. Daran wird derzeit noch gearbeitet. Angesichts der durch den menschengemachten Klimawandel immer öfter auftretenden extremen Wetterereignisse werden wir in Zukunft vermutlich (und leider) noch viel vom Sturzflutindex hören.
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