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Freistetters Formelwelt: Wie lange reicht das Öl noch?

Auf diese Frage gibt es keine eindeutige Antwort. Dafür aber eine mathematische Formel – diese ist allerdings nicht unumstritten.
Ölförderanlagen in Kalifornien
Erdöl wird schon lange gefördert. Doch wann ist Schluss damit? Eine Antwort darauf zu finden, ist schwer.

Im September 2023 hat die Internationale Energieagentur prognostiziert, dass die globale Nachfrage nach Öl, Gas und Kohle nur noch bis zirka 2030 wachsen und danach absinken würde. Die Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) hat darauf erwartungsgemäß verschnupft reagiert: Es gäbe keinen Grund, von einer sinkenden Nachfrage auszugehen – so etwas zu behaupten, sei ideologiegetrieben und nicht faktenbasiert.

Und tatsächlich ist es nicht einfach, so ein Fördermaximum zu bestimmen. Einerseits hängt dieses von der Menge des zu fördernden Rohstoffs ab – und man kann zwar abschätzen, wie viel noch in der Erde vorhanden ist; das Ausmaß aber nicht exakt bestimmen. Andererseits spielen auch die Nachfrage, die technologische Entwicklung und gesellschaftliche oder politische Rahmenbedingungen eine Rolle.

Einer der ersten, der sich mit dieser Frage mathematisch auseinandergesetzt hat, war der US-amerikanische Geologe Marion King Hubbert. 1962 verfasste er einen Bericht mit dem schlichten Titel »Energy Ressources« für die National Academy of Sciences. In der Einleitung weist er auf das erstaunliche Wachstum der letzten Jahrzehnte hin, insbesondere in den USA. Dörfer wuchsen zu großen Städten, Wälder und Prärie wurden zu landwirtschaftlich genutzten Flächen und eine Agrargesellschaft hat sich zu einer Industrienation gewandelt. Wir haben gelernt, so Hubbert, »dauerhaftes Wachstum als die normale Ordnung der Dinge« zu sehen. Aber wie lange kann das noch so weitergehen? Damit beschäftigt er sich auf den nächsten 142 Seiten und dabei findet sich folgende Formel:

Sie beschreibt, wie sich die Fördermenge eines Rohstoffs im Lauf der Zeit verändert. QD ist die kumulierte Produktion zu einem gewissen Zeitpunkt t und mit Q hat Hubbert die insgesamt verfügbare Menge des Rohstoffs bezeichnet (a und b sind Konstanten, die angepasst werden können). Aus mathematischer Sicht ist das eine Variation der logistischen Kurve. In ihrer Anwendung auf die realen Bedingungen in der Welt steckt aber sehr viel mehr drin.

Die legendärsten mathematischen Kniffe, die übelsten Stolpersteine der Physikgeschichte und allerhand Formeln, denen kaum einer ansieht, welche Bedeutung in ihnen schlummert: Das sind die Bewohner von Freistetters Formelwelt.
Alle Folgen seiner wöchentlichen Kolumne, die immer sonntags erscheint, finden Sie hier.

Schon 1956 hatte Hubbert auf einer Konferenz sein Konzept eines Fördermaximums vorgestellt und Aufsehen erregt, weil er den Höhepunkt der amerikanischen Erdölförderung für das Jahr 1970 in Aussicht stellte. Damit behielt er Recht, zumindest bis heute. Hubbert hat sich bei seiner Analyse vor allem auf die geologischen Faktoren und die konventionelle Erdölförderung bezogen; mittlerweile wird zudem unkonventionelles Öl in großen Mengen gefördert, zum Beispiel aus Teersand, einer Mischung aus Quarzkörnchen und Erdöl. Man hat Methoden wie das hydraulische Fracking entwickelt, um Erdöl zu gewinnen, das früher unzugänglich war. Das alles konnte Hubbert nicht berücksichtigen. Die Fördermaxima, die durch seine Kurven zuerst korrekt beschrieben wurden, stellten sich später als falsch heraus. In Kanada begann die Ölproduktion beispielsweise ab den frühen 1970er Jahren zu sinken, stieg jedoch ab den 1990er Jahren wieder steil an, nachdem man unkonventionelle Fördermethoden einsetzen konnte. Auch bei den globalen Fördermaxima verschätzte sich Hubbert mit seinen Methoden.

Mittlerweile spielt natürlich der Klimaschutz eine wichtige Rolle. Selbst wenn noch jede Menge Erdöl, Kohle und Gas gefördert werden kann, bedeutet das nicht, dass wir das tun sollten. Es mag unserer menschlichen Natur widersprechen; aber nur weil ein Rohstoff vorhanden ist, müssen wir ihn nicht zwingend nutzen. Es gibt heute genug Alternativen. Was für Hubbert noch die »normale Ordnung der Dinge« war, darf aus Sicht des 21. Jahrhundert gern in der Vergangenheit bleiben.

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