Freistetters Formelwelt: Goethes magische Zahl
Im Klassiker »Faust« von Johann Wolfgang von Goethe wird der titelgebende Doktor Faustus von Mephisto in eine Hexenküche gebracht, um sich dort einer Verjüngungskur zu unterziehen. Statt Wellness und Spa gibt es von der ansässigen Hexe allerdings ein wenig obskure Mathematik. Die berühmten Verse des »Hexeneinmaleins« lauten:
Du mußt verstehn!
Aus Eins mach' Zehn,
Und Zwei laß gehn,
Und Drei mach' gleich,
So bist Du reich.
Verlier' die Vier!
Aus Fünf und Sechs,
So sagt die Hex',
Mach' Sieben und Acht,
So ist's vollbracht:
Und Neun ist Eins,
Und Zehn ist keins.
Das ist das Hexen-Einmal-Eins!
Alle Folgen seiner wöchentlichen Kolumne, die immer sonntags erscheint, finden Sie hier.
Faust fallen zu diesem Zahlenwirrwarr nur die Worte »Mich dünkt, die Alte spricht im Fieber« ein. Tatsächlich kann man die Hexenrechnung jedoch mathematisch sinnvoll aufdröseln. Und zwar mit einer »magischen Zahl«, die durch diese Formel definiert wird:
In dieser Gleichung geht es um »magische Quadrate«, also eine quadratische Anordnung natürlicher Zahlen, bei der die Summe der Zahlen in jeder Zeile, in jeder Spalte und in jeder Diagonale gleich ist. Diese Summe wird »magische Zahl« des Quadrats genannt und ist durch obige Formel gegeben. Wenn ein Quadrat eine Kantenlänge von n Zahlen hat, dann müssen insgesamt die Zahlen von 1 bis n2 eingetragen werden, und die Summe jeder Zeile, Spalte und Diagonale ist durch Sn gegeben.
Quadrate mit einer Kantenlänge von 0 und 1 kann man ignorieren; der erste Fall existiert nicht und der zweite ist trivial: Die jeweiligen magischen Zahlen wären 0 und 1. Ein magisches Quadrat mit einer Kantenlänge von 2 hätte eine magische Zahl von 5, kann aber aus den Zahlen 1, 2, 3 und 4 nicht gebildet werden. Der erste realistische Fall ist folglich ein magisches Quadrat der Kantenlänge von 3, und genau das kann man in Goethes Hexeneinmaleins finden.
Eine Bauanleitung in Versen
Die ersten zwei Zeilen sagen uns, dass wir einem Kästchen neun weitere hinzufügen sollen. Wir haben jetzt also ein leeres magisches Quadrat vom Format 3 x 3 – und ein zusätzliches Kästchen, um das wir uns später kümmern. Die 2 sollen wir nun laut Hexenanweisung »geh'n« lassen, das heißt, sie wandert von ihrer Position im zweiten Kästchen in das dritte. »Die Drei mach gleich«, wird uns dann gesagt: Wir machen sie gleich in das Kästchen hinter der 2 und verlieren auch noch die 4, schreiben sie also nicht auf.
Dort, wo nun in der Folge 5 und 6 kommen sollten, schreiben wir 7 und 8 hin, denn »So spricht die Hex'«. Und dann ist es schon vollbracht! Wir haben nun ein magisches Quadrat, in dem in der ersten Zeile eine 2 an letzter Position steht. In der mittleren Zeile finden wir die 3 und die 7, mit einer Lücke dazwischen. Und in der letzten Zeile steht die 8 am Anfang.
Das reicht, um die restlichen Zahlen so einzutragen, dass die entsprechenden Summen überall die magische Zahl von 15 ergeben. Die neun Ziffern bilden zusammen ein magisches Quadrat (»Die Neun ist eins«), und das zehnte Kästchen streichen wir wieder (»Und Zehn ist keins«).
Man kann natürlich darüber streiten, ob Goethe mit diesem Vers wirklich die Konstruktion eines magischen Quadrats beschreiben wollte. Die Literaturwissenschaft hat das auch mit großer Begeisterung getan. Doch Goethe war immerhin nicht nur Dichter, sondern auch an Naturwissenschaft interessiert. Er hat ebenso geforscht wie geschrieben, und man kann davon ausgehen, dass ihm die hinter den magischen Quadraten stehende Mathematik bewusst war.
Die ist außerdem noch längst nicht ausgereizt: Das magische Quadrat aus dem Hexeneinmaleins ist das einzig mögliche dieser Art für 3 x 3 Zahlen und war schon vor fast 5000 Jahren in China bekannt. Für die Kantenlänge 4 kann man aber schon 880 Lösungsmöglichkeiten finden. Ein Quadrat mit 5 x 5 Zahlen lässt sich auf 275 305 224 Arten bilden. Wie es mit der Anzahl an Lösungen für noch größere Kantenlängen aussieht, ist dagegen unbekannt.
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