Freistetters Formelwelt: Eine Zahl für die Relevanz
Eigentlich ist es ja ganz einfach. Wenn man wissen will, ob eine bestimmte Forschungsarbeit relevant ist, ob die Ergebnisse so bedeutend sind, dass man sich intensiv damit beschäftigen muss, dann liest man die Arbeit einfach und denkt mit ausreichend Kenntnis von der Materie ausreichend lange darüber nach. In der Praxis stellt einen das allerdings vor Probleme. Es gibt viel zu viele Publikationen.
Alle Folgen seiner wöchentlichen Kolumne, die immer sonntags erscheint, finden Sie hier.
Es ist heutzutage schon schwer genug, einfach nur den Überblick darüber zu behalten, was alles veröffentlicht wird. Niemand kann das alles lesen, schon gar nicht aufmerksam genug. Und niemand hat so viel Ahnung, dass er die Forschung auf allen Gebieten beurteilen könnte. Deswegen gibt es seit den 1960er Jahren den »Impact Factor«, den man mit folgender Formel berechnet:
Die in dieser Gleichung verwendeten Zahlen beziehen sich immer auf eine konkrete wissenschaftliche Fachzeitschrift. Um den Impact Factor IF, bezogen auf ein konkretes Jahr y, zu berechnen, muss man zuerst die Anzahl der Zitate (Z) in diesem Jahr bestimmen. Also nachzählen, wie oft Artikel, die in der fraglichen Zeitschrift publiziert wurden, in der wissenschaftlichen Literatur erwähnt worden sind (und zwar nur Artikel, die aus den vorausgangenen zwei Jahren stammen). Das wird dann durch die Anzahl an Fachartikeln (A) geteilt, die in der Zeitschrift in den voruuasgangenen zwei Jahren veröffentlicht wurden.
Ein Beispiel: Wenn eine Zeitschrift im Jahr 2019 insgesamt 500 Artikel publiziert hat und 600 im Jahr 2020 und wenn im Jahr 2021 in der gesamten wissenschaftlichen Literatur insgesamt 50 000-mal auf diese Artikel verwiesen worden ist, dann berechnet sich der Impact Factor der Zeitschrift für das Jahr 2021 zu 45,45. Das bedeutet, dass im Durchschnitt jeder 2019 oder 2020 in der Zeitschrift publizierte Artikel rund 45-mal anderswo zitiert worden ist.
Deep Impact
Mit dem Impact Factor will man messen, wie groß der Einfluss einer Fachzeitschrift ist: je höher, desto einflussreicher. Und wenn ein Artikel in einer Zeitschrift mit hohem Impact Factor veröffentlicht wird, dann gilt er als »wichtiger« als einer, der in einer Publikation mit einem geringeren Impact Factor erscheint. Es ist durchaus praktisch, wenn man alles an einer einzigen Zahl festmachen kann. Aber nicht immer zielführend. Es kann zum Beispiel ja auch länger als zwei Jahren dauern, bis sich die Relevanz einer wissenschaftlichen Arbeit herausstellt. Das passiert vor allem in der Grundlagenforschung; doch wenn die Zitate erst lange nach der Publikation kommen, tragen sie nichts zum Impact Factor bei.
Es ist auch klar, dass Disziplinen, in denen viele Forscherinnen und Forscher viel publizieren, einen höheren Impact Factor erzielen können als Forschungsrichtungen, in denen weniger Menschen forschen, was allerdings nicht zwingend auf einen Relevanzunterschied hinweisen muss. Zeitschriften können den Impact Factor auch manipulieren, wenn sie beispielsweise Autoren und Autorinnen mehr oder weniger direkt dazu auffordern, möglichst viele Artikel aus der eigenen Publikation zu zitieren.
Die Verlockung, die wissenschaftliche Relevanz mit einer simplen Zahl messen zu können, ist gefährlich. Insbesondere dann, wenn sie mit konkreten Auswirkungen für wissenschaftliche Karrieren verknüpft wird: wenn etwa das Budget einer Forschungseinrichtung von der Publikation von Artikeln in Zeitschriften mit hohem Impact Factor abhängig gemacht wird; wenn Fördergelder oder Stellen bevorzugt an Personen vergeben werden, die in solchen Zeitschriften veröffentlicht haben.
Denn am Ende ist der Impact Factor nur eine Zahl. Er misst Quantität und nicht Qualität. Wenn man wirklich wissen will, ob Forschung relevant ist, wird man nicht umhinkommen, mehr zu lesen und weniger zu rechnen.
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben