Gute Nacht – die Kolumne für besseren Schlaf: Der perfekte Schlaf hält Sie wach

Beim Schlaf, so lernen wir es früh, führen Fehler ins Verderben. »Wenn ich heute Nacht wieder nicht genug schlafe, dann stehe ich den Tag morgen nicht durch.« Die perfektionistische Haltung ist anerzogen: »Wenn du jetzt nicht ins Bett gehst, dann wirst du morgen nicht gut in der Schule sein.« Es folgt ein Bedrohungsszenario mit schlechten Noten und zerplatzten Lebensträumen. So rauben sich die Menschen den Schlaf.
Doch Erfahrung und Forschung zeigen, dass Schlaf nicht perfekt sein muss. Natürlich ist Schlaf grundsätzlichƒ wichtig für ein funktionierendes Gehirn. Schlaflosigkeit kann bewirken, dass die Amygdala und der mediale präfrontale Kortex schlechter kommunizieren. Wir interpretieren dann Reize negativer und hören weniger das Korrektiv der Vernunft.
Allerdings wirkt sich kurzfristiger Schlafentzug auf die Leistung bei anspruchsvollen Aufgaben kaum aus. Selbst mehrere Tage mit weniger als sechs Stunden Schlaf konnten Testpersonen mit geringen Leistungseinbußen wegstecken. Anders war es nach vollständig schlaflosen Nächten: Sie erzeugten starke negative Effekte auf Gedächtnis und Aufmerksamkeit, allerdings auch dann keinen völligen Verlust der in psychometrischen Tests messbaren Fähigkeiten.
Erzählen Sie das mal einer Perfektionistin
Doch seien wir ehrlich: Wenn wir perfekt sein wollen, dann beruhigt das wenig. Wer sein Bestes geben will, dem passt unfreiwilliger Schlafmangel nicht ins Konzept. Und genau das kann dazu beitragen, dass aus gelegentlichen schlaflosen Nächten eine chronische Schlafstörung wird. Denn schlaflose Nächte sind normal. Gesunde Schläfer schlafen auch mal schlecht – oder besser gesagt wenig, denn »schlecht« ist eine Bewertung, »wenig« ist messbar.
Perfektionismus kann hier negativ wirken. »Perfektionismus, definiert als die Tendenz, sich übermäßig hohe Standards zu setzen und sich selbst überkritisch zu bewerten, wird häufig mit schlechtem Schlaf und Schlaflosigkeit in Verbindung gebracht«, so schreibt es ein Forschungsteam um den Psychologen Umair Akram in »Cognitive Processing«. Nach einer Befragung von 624 Personen (75 Prozent weiblich, Medianalter 24 Jahre, Altersspanne 18 bis 76 Jahre) berichteten sie, dass Ängste und dysfunktionale Kognitionen den Zusammenhang zwischen Perfektionismus und Schlaf vermitteln. Das bedeutet, Perfektionismus schadet dem Schlaf vor allem dann, wenn die Betroffenen Ängste und unvorteilhafte Glaubenssätze um den Schlaf entwickeln.
Als besonders bedeutsam dabei benennt Akram Zweifeln am eigenen Handeln, elterliche Erwartungen und elterliche Kritik. Kommen dann noch ungesunde Verhaltensweisen hinzu – langer Mittagsschlaf zum Beispiel –, steigt das Risiko für eine chronische Schlafstörung.
Im Fokus steht die Angst
Ein Forschungsteam um den deutschen Psychologen Johannes Stricker unterscheidet perfektionistische Sorgen, allgemein gesprochen also die Angst vor Unvollkommenheit, und perfektionistische Ansprüche, also hohe Standards. Beide stehen in Verbindung mit Schlafstörungen. Perfektionistische Sorgen wirken sich den Daten zufolge aber stärker aus. Strickers Arbeitsgruppe wertete 15 Studien mit mehr als 10 000 Teilnehmenden aus. Die Ergebnisse veröffentlichte sie in der Fachzeitschrift »Sleep Health«.
Mit dieser Erkenntnis können Sie arbeiten. Denn Perfektionismus war früher etwas, auf das Menschen stolz waren. Töchter sollten zu Perfektionistinnen erzogen werden, Söhnen wurde als wichtigster Satz für das Vorstellungsgespräch mitgegeben, dass sie mit ihrem Perfektionismus ringen würden. An die Ängste hat niemand gedacht, und doch sind sie Teil der Persönlichkeitseigenschaft.
Das Problem der perfektionistischen Sorgen lässt sich von zwei Seiten angehen. Bestehen Ängste und wirken diese sich häufig auf den Alltag aus – zum Beispiel durch gestörten Schlaf –, dann sind je nach Schweregrad Coaching, psychologische oder psychotherapeutische Beratung die richtige Anlaufstelle. Hier werden die Ängste besprochen und bearbeitet.
Hilfe und Selbsthilfe
Betroffene können andererseits auch selbst handeln, um perfektionistische Sorgen rund um den Schlaf aufzulösen. Nehmen Sie sich diese Gedanken und arbeiten Sie mit ihnen. Schauen Sie, was sie in Ihnen auslösen:
- Ich kann gute und erfolgreiche Tage erleben, auch wenn ich nicht genug geschlafen habe.
- Ich weiß, dass ich gut schlafen kann.
- Ich fühle mich nachts in meinem Schlafzimmer wohl und geborgen.
Während die ersten zwei Sätze bei kürzerem oder längerem Nachdenken sicher bei vielen Zustimmung finden, mag das beim dritten anders sein. Dann möchten Sie vielleicht Ihr Schlafzimmer umgestalten oder mit Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin darüber sprechen, wie Sie gemeinsam Ihren Schlaf schützen können. Nehmen Sie alle drei Sätze mit – überzeugen Sie sich.
Kombinieren Sie dieses Vorgehen mit einer Entspannungstechnik, zum Beispiel dem autogenen Training oder Meditation. Üben Sie diese tagsüber, wenn kein Einschlafstress aufkommen kann. Glauben Sie an sich. Sie müssen nicht perfekt sein, um zu schlafen. Sie müssen auch nicht schlafen, um ein guter Mensch zu sein. Sie sind ein guter Mensch. Der Schlaf ist nur Ihre Art, die Nacht zu verbringen.
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