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Lobes Digitalfabrik: Wie schlau ist es, wenn der smarte Vertrag die Tür versperrt?

»Smart Contracts« auf Basis der Blockchain könnten das Vertragsrecht revolutionieren. Denn Algorithmen machen kurzen Prozess. Aber so einfach geht das im Rechtsstaat nicht.
Lassen sich Verträge überhaupt computergesteuert durchsetzen?

Stellen Sie sich vor, Sie mieten eine Wohnung. Statt eines Mietvertrags aus Papier schickt Ihnen der Vermieter per Mail ein Computerprotokoll zu, in dem alle Vertragsbedingungen festgelegt werden: Miete, Nebenkosten, Kaution. Wenn die erste Monatsmiete auf dem Konto des Vermieters eingegangen ist, öffnet sich automatisch die Wohnungstür. Smart Contracts, smarte Verträge, heißen diese Konstrukte. Der Code ist in der Blockchain hinterlegt, einem digitalen Kassenbuch, das sämtliche Änderungsvorgänge erfasst und in einer Kette von Datenblöcken speichert. Nach einem deterministischen Muster lassen sich Ereignisse definieren und Rechtsfolgen programmieren, zum Beispiel: Wenn der Vertragspartner am Dritten jedes Monats die Miete erhält, dann gewähre garantierten Zugang zur Wohnung. Wenn die Zahlung zwei aufeinander folgende Monate ausbleibt, verweigere den Zugang. Dadurch lassen sich bestimmte Vertragsmuster standardisieren.

Weiterer Vorteil: Die Schlüsselübergabe erfolgt nicht mehr bei einem Makler oder Hausverwalter, sondern unmittelbar – der Vertrag vollzieht sich gewissermaßen selbst. Mittelsmänner wie Anwälte oder Notare braucht es nicht mehr. Der Smart Contract kontrolliert und überwacht sich selbst. Für die Vertragsparteien soll dies die Transparenz erhöhen und das Betrugsrisiko senken.

Der Informatiker Nick Szabo hatte 1996 erstmals ein Konzept für smarte Verträge formuliert. Seine Idee war es, Vertragsklauseln in Soft- und Hardware einbetten. Unter dem Stichwort »Legal Tech« hat sich eine ganze Reihe von Anbietern auf dem Markt etabliert, die automatisiert Entschädigungsansprüche oder Behördenschreiben prüfen: zum Beispiel das Portal hartz4widerspruch.de, das Hartz-IV-Bescheide nach Fehlern scannt, oder die Seite bahn-buddy.de, die Fahrgastrechte bei der Bahn checkt und dafür eine Provision verlangt.

Auch in der Automobilindustrie sind smarte Verträge auf dem Vormarsch: So unterstützt BMW das Blockchain-Modellprojekt »Charge Chain«, worüber die Bezahlung an Ladesäulen für E-Fahrzeuge maschinenbasiert abgewickelt werden soll. Die Toyota Leasing Thailand hat in diesem Jahr zum ersten Mal Schuldscheine über die Blockchain ausgestellt.

»Spektrum«-Kolumnist Adrian Lobe kommentiert den digitalen Wandel. Wie gehen wir um mit fortschreitender Digitalisierung? Wie mit Bots und Meinungsmaschinen? Und welche Trends dominieren die Gesellschaft in Zukunft?
Alle Folgen von »Lobes Digitalfabrik« finden Sie hier.

Das Vertragsrecht blickt auf eine jahrtausendealte Tradition zurück. Zahlreiche Rechtssätze aus dem römischen Recht, etwa der Grundsatz »pacta sunt servanda« (Verträge sind einzuhalten), haben Eingang in das moderne Recht gefunden. Durch die Digitalisierung gerät das Vertragsrecht aber – wie alle sozialen Systeme – unter Druck. Schon heute werden in einigen Ländern (zum Beispiel in Estland) Führerscheindokumente, Studienabschlüsse sowie Geburts- und Eheurkunden in die Blockchain integriert. Behördengänge braucht es nicht – Dokumente werden durch Datenblöcke beglaubigt. Geht es nach den Legal-Tech-Gurus, könnte man künftig alle Rechtsbeziehungen codieren und auf der Blockchain hinterlegen.

In der traditionell konservativen Rechtswissenschaft gibt es jedoch erhebliche Bedenken gegen diese selbstvollziehenden Verträge. Manche Juristen kritisieren, dass es beim Konstrukt des Smart Contract schon am Erfordernis zweier übereinstimmender Willenserklärungen fehle, ein smarter Vertrag also im rechtlichen Sinne überhaupt kein Vertrag darstelle.

Problematisch ist vor allem die Durchsetzung der Rechte. Darf ein Smart Contract so ausgestaltet sein, dass einem säumigen Mieter einfach der Schlüssel gesperrt wird? Darf ein Leasing- oder Leihfahrzeug mit einer elektronischen Sperrvorrichtung ausgestattet sein, die die Zündung sperrt, wenn der Mieter oder Leasingnehmer in Zahlungsrückstand gerät?

Auch mit Smart Contract darf der Vermieter niemanden aussperren

Nach einem Urteil des BGH begeht ein Vermieter, der eine vermietete Wohnung in Besitz nimmt und eigenmächtig die Wohnungseinrichtung entsorgt, verbotene Eigenmacht gemäß § 858 Abs. 1 BGB und unerlaubte Selbsthilfe im Sinne von § 229 BGB. Diese zentrale Vorschrift des Besitzschutzes ist Ausfluss des staatlichen Gewaltmonopols: Der Vermieter darf sich nicht einfach Besitz einer Sache verschaffen und als Zwangsvollstrecker in eigener Sache gerieren. Das ist in einem Rechtsstaat Sache der Gerichte. Der Vermieter darf auch nicht einfach das Schloss austauschen, wenn der Mieter mit der Zahlung der Miete säumig ist.

Auch die eigenmächtige Durchsetzung vertraglicher Rechte durch technische Zwangsmittel wie einen ferngesteuerten Startunterbrecher bei Leasing-Fahrzeugen wäre eine solche verbotene Eigenmacht. Ein Zwangsvollstreckungsverfahren, wie es das Gesetz eigentlich vorsieht, würde nicht mehr stattfinden. Algorithmen machen kurzen Prozess. Durch die Implementierung smarter Verträge könnten also rechtsstaatliche Prinzipien wie etwa der effektive Rechtsschutz geschleift werden.

Der Rechtswissenschaftler Nico Bilski gibt in seinem Gutachten »Blockchain-Technologie, Smart Contracts und selbstvollziehende Verträge« zu bedenken: »Smart Contracts können, sobald sie in eine Blockchain implementiert werden, grundsätzlich nicht mehr (einseitig) verändert werden. Hierdurch können grundsätzlich nur die Vorgaben und Wertungen bei der Erstellung und das zu diesem Zeitpunkt geltende Recht berücksichtigt werden. Ein einmal unterlaufener Fehler haftet dem Algorithmus des Smart Contract auf Dauer an; einen Abbruchmechanismus gibt es grundsätzlich nicht.«

Der Autor weist auf einige Problemfelder hin, die sich in der Praxis ergeben könnten. Da wäre zum einen der limitierte Einflussbereich: Der Geltungsbereich eines smarten Vertrags erstreckt sich in der Regel nur auf das Netzwerk. Zum anderen die Schnittstellenproblematik: Das digitale System muss die Ereignisse in der analogen Welt mit den im Code definierten Bedingungen abgleichen können. Ein Zahlungseingang, der in einem binären Code abgebildet wird (Wurde gezahlt oder nicht?), könne problemlos verifiziert werden. Deutlich schwieriger gestaltet es sich dagegen, die Bestimmung, ob sich eine gelieferte Sache auch in vertragsgemäßem Zustand befindet, zu verifizieren.

Für Smart Contracts heißt das: Alle Regelungen und Inhalte, die der Code nachvollziehen soll, müssten daher digital abgebildet werden können, »das heißt, der jeweilige Umstand muss in einem 1/0-Schema (true oder false) darstellbar sein«. Ob man dafür allerdings das Recht mit der »Prozesslogik des Smart Contract« synchronisieren sollte, wie Bilski in seinem Gutachten fordert, darf bezweifelt werden. Nicht das Recht muss sich der technischen Struktur anpassen, sondern die technische Struktur dem Recht.

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