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Freistetters Formelwelt: Wie viel ist null hoch null?

Das klingt nach einer sehr einfachen Frage. Ist es aber nicht, im Gegenteil. Es gibt zwei Antworten, die sich gut begründen lassen. Welche ist nun richtig?
Nullen und Einsen, die ein einem Loch verschwinden

Eigentlich dreht sich die verwirrende Frage ja nur um eine simple Exponentiation. Also um wiederholtes Multiplizieren. Wenn wir 2 hoch 3 rechnen wollen, müssen wir nur die Zahl 2 dreimal mit sich selbst multiplizieren. 5 hoch 7 ist nichts anderes als 5 siebenmal mit sich selbst multipliziert. Die Berechnung stellt kein Problem dar, und man erhält sofort die Resultate 8 und 78 125. Zugegeben, im zweiten Fall habe ich den Taschenrechner verwendet. Aber wenn ich folgenden Ausdruck berechnen will, wird es schwierig:

x = 00

Man muss die Zahl 0 mit sich selbst multiplizieren. Und zwar genau nullmal. Wie stellt man das an? Mein Taschenrechner weiß offenbar, wie es geht, denn er liefert sofort das Resultat x = 1. Aber ein genauerer Blick zeigt die verborgenen Tiefen der Frage. Wer sich an die Rechenregeln des Potenzierens erinnert, weiß vielleicht auch noch, dass bei einem Exponent von null das Ergebnis immer gleich 1 ist.

Andererseits ist das Resultat einer Exponentiation immer gleich null, wenn die Basis gleich null ist. In unserem Fall sind allerdings Basis und Exponent gleich null. Lautet das Ergebnis nun also 0 oder 1? Es scheint naheliegend einfach, 00 = 1 zu rechnen. Immerhin hat das ja auch der Taschenrechner getan. Dabei muss man jedoch berücksichtigen, dass die Regel »Egal was, ›hoch null‹ ist immer gleich 1« streng genommen nur gilt, wenn die Basis nicht gleich null ist. Sie lässt sich hier also nicht anwenden.

Auch mit simplen Umformungen lässt sich das Problem nicht lösen. Man könnte ja zum Beispiel so eine Rechnung probieren: 0x = 01 + x-1 = 01 · 0x-1 = 0 · 0x-1, und da jede Multiplikation mit null das Resultat 0 liefert, muss auch 00 gleich 0 sein. Nur hätte man dann ignoriert, dass 0x-1 für x = 0 dem Ausdruck 1/0 entspricht. Und eine Division durch 0 ist nicht zulässig.

Bis heute gibt es keine klare Antwort

Man muss schon komplexere Methoden auffahren, wenn man der Sache auf den Grund gehen will. Etwa, indem man betrachtet, was mit dem Ausdruck xx passiert, wenn die Zahl x immer kleiner wird: Er nähert sich immer weiter der Zahl 1 an; genau das Gleiche passiert auch, wenn man von negativen Zahlen her immer größere Werte einsetzt und sich so x = 0 nähert.

Aber so eine Grenzwertberechnung funktioniert nur für reelle Zahlen. Bei komplexen Zahlen erhält man kein eindeutiges Ergebnis mehr; hier ist der Ausdruck 00 tatsächlich unbestimmt. Im Lauf der Zeit hat man in der Mathematik daher verschiedene Ansätze verfolgt. Vor dem 19. Jahrhundert hat man solche verwirrenden Ausdrücke entweder einfach ignoriert oder das intuitive 00 = 1 gewählt, ohne die Wahl jedoch genau zu begründen.

Der französische Mathematiker Augustin-Louis Cauchy hat 1821 in seinem Buch »Analyse algébrique« die nullte Potenz von null in eine Liste unbestimmter Ausdrücke aufgenommen. Andere Mathematiker haben später versucht, zu beweisen oder zu begründen, dass das Resultat der Rechnung gleich 1 sein muss. Trotzdem gibt es bis heute keine allgemein gültige und vor allem allgemein akzeptierte Lösung.

Die legendärsten mathematischen Kniffe, die übelsten Stolpersteine der Physikgeschichte und allerhand Formeln, denen kaum einer ansieht, welche Bedeutung in ihnen schlummert: Das sind die Bewohner von Freistetters Formelwelt.
Alle Folgen seiner wöchentlichen Kolumne, die immer sonntags erscheint, finden Sie hier.

Im Wesentlichen hängt es von der in einem bestimmten mathematischen Gebiet gewählten Konvention ab, was bei der Rechnung von null hoch null herauskommt. In der Mengenlehre sind Potenzen so definiert, dass das Resultat gleich 1 sein muss. Auch auf anderen Gebieten ist es für die Gültigkeit vieler Formeln nötig, 00 = 1 zu wählen. Anderswo wird der Ausdruck einfach nicht festgelegt.

Die nullte Potenz von null kann also gleich 1 sein. Aber nicht, weil das das korrekte Resultat einer konkreten Rechnung ist. Sondern weil es für den jeweiligen Bereich der Mathematik eben gerade praktisch ist. Mit nichts nicht zu rechnen, ist eben doch schwerer, als es zu sein scheint.

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