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Friedensnobelpreis: Wissenschaftliche Friedensdividende

Die europäische Forschung hat bei der Einigung des Kontinents eine wesentliche Rolle gespielt - und enorm davon profitiert. Die Früchte dieser Vision ernten wir bis heute.
Lars Fischer

Der Krieg, schrieb Heraklit einst, sei der Vater aller Dinge – und nachfolgende Generationen bezogen dieses Diktum anschließend auf den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt, den so oft das Militär vorangetrieben hat. Doch die Geschichte des geeinten Europas, für die das norwegische Nobelkomitee der EU heute den Friedensnobelpreis verlieh, zeigt, wie verfehlt diese Sicht der Dinge ist. Als wahr erweist sich das Gegenteil: Die Leistungen chauvinistisch motivierter Forschung verblassen gegen die Blüte der europäischen Wissenschaft, die durch ein halbes Jahrhundert Frieden und Kooperation möglich wurde.

Dass sich 1953 zwölf Staaten zusammenschlossen und den Grundstein für das heute weltgrößte Teilchenphysik-Institut CERN legten, wäre ohne das Beispiel des EGKS-Vertrags von 1951 kaum möglich gewesen, der Keimzelle der Europäischen Union. Gleichzeitig war CERN eines der ersten großen europäischen Gemeinschaftsprojekte mit Vorbildfunktion – und eine bis heute eindrucksvolle wissenschaftliche Erfolgsgeschichte. Die Entdeckung des Higgs-Bosons zum Beispiel verdanken wir zu einem beträchtlichen Teil dem neuen europäischen Geist der Nachkriegszeit.

Und es ist sicherlich auch kein Zufall, dass neun Länder, die schon CERN aus der Taufe hoben, im Jahr 1962 auch zu den zehn Gründerstaaten der European Space Research Organisation (ESRO) gehörten, jener Organisation, die zur Keimzelle der Europäischen Weltraumbehörde werden sollte, die heute Erdbeobachtungssatelliten ebenso betreibt, wie sie Raumsonden zu den anderen Planeten des Sonnensystems schickt.

CERN und ESA sind nur die prominentesten Beispiele einer immer länger werdenden Liste europäischer Forschungskooperationen. Im Jahr 2012 finanziert die EU Wissenschaft und Forschung mit mehr als zehn Milliarden Euro, etwa sieben Prozent ihres Gesamtbudgets. Darunter sind neben speziellen Programmen für internationale Kooperationen auch ausdrücklich Mittel für nicht an konkreten Anwendungen orientierte Grundlagenforschung vorgesehen – ein Bereich, der es in der klassischen Forschungsfinanzierung oft schwer hat. Und gerade eben erst hat sich die EU-Kommission unmissverständlich zu frei zugänglichen wissenschaftlichen Forschungsergebnissen bekannt.

Die politische Einigung Europas in den letzten sechs Jahrzehnten ist eng verknüpft mit dem Trend zu immer größeren und immer stärker international ausgerichteten Kooperationen in der Forschung – sie hat viele derartige Kooperationen erst ermöglicht, aber auch umgekehrt hat gerade die grenzüberschreitende Wissenschaft die europäischen Nationen kontinuierlich enger zusammengebracht. Der Friedensnobelpreis für die EU ist zu einem nicht unerheblichen Teil auch ein Preis für die gemeinsame europäische Forschung.

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