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Springers Einwürfe: Wo die Neugier sitzt

Ohne Wissbegier treten wir auf der Stelle, mit ihr wagen wir uns auf riskantes Gelände. Dafür scheint ein Hirnareal den Ausschlag zu geben.
Eine Katze blickt über die Kante eines Tisches, auf dem frisch geschnittene Wurst liegt

Eigentlich seltsam, wo überall wir den Sitz der Neugier umgangssprachlich verorten. Zum Beispiel im Riechorgan: Professionelle Schnüffler gehen, wie wir finden, einem anrüchigen Beruf nach, denn sie stecken in alles ihre Nase hinein. Oder lauert sie im Sehsinn? So tadelte der antike Kirchenvater Augustinus die Neugier als sündige Augenlust. Wieder andere Moralapostel sahen die Neugier nicht optisch, sondern vielmehr akustisch am Werk, wenn Männlein und Weiblein die Köpfe zusammenstecken, um nach Herzenslust über Abwesende zu tratschen.

Jedenfalls galt ungehemmter Wissensdrang traditionell geradezu als Laster. Noch am Beginn des 20. Jahrhunderts degradierte der Philosoph Martin Heidegger »Neugier« neben »Gerede« und »Zweideutigkeit« zu minderwertigem Benehmen: Ein »Verfallen des Daseins« sei das. Kaum eine Spur also vielerorts von dem hohen Ansehen, das die Wissbegierde als elementare Triebfeder der Wissenschaft doch eigentlich genießen sollte.

Neugierig, wie sie sind, haben sich Forscher kürzlich gefragt: Von wo in unserem Kopf mag sie ausgehen, die riskante Suche nach dem Unbekannten? Der Verdacht der Neurowissenschaftlerinnen und Neuro­wissenschaftler um Mehran Ahmadlou und Alexander Heimel vom Netherlands Institute for Neuroscience konzentrierte sich auf ein 1877 beschriebenes Hirn­areal, das seither den sprechenden Namen Zona incerta trägt. Die Funktion dieser ungewissen Zone war anfangs unklar und wurde auch später kaum präzisiert.

Ein Ort uralter Triebe

Die geheimnisvolle Zone liegt tief im Hirninnern unterhalb des Thalamus und scheint mit ihren weit reichenden Nervenverbindungen als eine Relais­station zwischen der Hirnrinde und dem Rückenmark zu fungieren. In ihr vermutet man biologisch elementare, evolutionär uralte Antriebe wie Hunger und Durst sowie damit zusammenhängend den Jagdinstinkt – und somit eben auch den Drang, sich aus der Deckung zu wagen und fremde Objekte zu beschnuppern.

Das holländische Team studierte das Verhalten von Mäusen, denen eine arg reduzierte Versuchsumgebung präsentiert wurde. Sie bestand aus nur zwei Gegenständen: Ein Objekt war dem Versuchstier vertraut, das andere nicht. Die Forscher identifizierten bei den Testmäusen zweierlei neugierige Verhaltensweisen. Manche interessierten sich zwar durchaus für das unbekannte Ding, schnüffelten aber nur so an ihm herum; andere hingegen ließen es nicht beim Schnuppern bewenden, sondern umklammerten den fremdartigen Gegenstand, leckten ihn ab oder begannen sogar daran herumzuknabbern. Den Unterschied interpretierte das Team als das mehr oder weniger starke Anspringen einer – in der Zona incerta lokalisierten – speziellen Neugier-Programmierung, die durch überraschende Umweltreize getriggert wird.

Tatsächlich ließ sich neurophysiologisch nachweisen, dass eine spezifische Population von Nervenfasern aus höheren Hirnregionen in die Zona incerta hineinführt, die bei künstlicher Stimulierung besonders heftiges Neugierverhalten auslöst. Derart erregte Versuchstiere stürzen sich frenetisch auf unbekannte Objekte oder Artgenossen und wollen sie gar nicht mehr loslassen, sondern förmlich auffressen.

Ist die Neugierstudie nicht ein schönes Beispiel für Erkenntnisstreben, das sich in diesem Fall sogar den eigenen Ursprüngen zugewandt hat? Wenn man den gierigen Mäusen zusieht – oder einem menschlichen Säugling, der alles Erreichbare erst einmal zu den Lippen führt, um es näher kennen zu lernen –, dann drängt sich der Schluss auf: Die Anfänge der Wissbegier drehen sich um die Frage, ob das Neue essbar ist.

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