Freistetters Formelwelt: Worum es sich beim Fußball wirklich dreht
Ich bin kein großer Fußballexperte. Aber ich weiß, dass der Ball beim Anpfiff auf dem Anstoßpunkt in der Mitte des Spielfelds liegt; dass er das auch zu Beginn der zweiten Halbzeit tut und sich dazwischen sehr oft gedreht hat. Das befähigt mich vermutlich nicht, eine informierte Meinung über den Ausgang der Meisterschaft abzugeben. Doch es reicht, um den mathematischen »Satz vom Fußball« zu beschreiben:
Bei jedem Fußballspiel, in dem nur ein Ball benutzt wird, gibt es zwei Punkte auf der Oberfläche des Balls, die sich zu Beginn der ersten und der zweiten Halbzeit (wenn der Ball genau auf dem Anstoßpunkt liegt) an der gleichen Stelle im umgebenden Raum befinden.
Diese Formulierung stammt aus dem Buch »Lineare Algebra: Eine Einführung für Studienanfänger« des deutschen Mathematikers Gerd Fischer; die dieser Aussage zu Grunde liegende Mathematik geht allerdings auf das späte 18. Jahrhundert und den berühmten Schweizer Forscher Leonhard Euler zurück.
Es ist ein bisschen knifflig, diese seltsam anmutende Aussage zu beweisen. Aber auch nicht allzu sehr; dazu reicht schon ein wenig grundlegende Mathematik. Im Zentrum des Ganzen steht diese Formel:
Das sieht nach einer simplen Multiplikation aus und ist auch eine. Allerdings handelt es sich nicht um das Produkt normaler Zahlen; man multipliziert hier Matrizen miteinander. Bleiben wir vorerst jedoch noch einmal beim konkreten Fußball. Er ist so lange in Ruhe, bis ihn der erste Fuß in Bewegung versetzt. Dabei verändert der Ball seine Position auf dem Spielfeld, was uns aber nicht zu interessieren braucht. Für den »Satz vom Fußball« ist nur die Drehung des Balls relevant. Davon erlebt das Spielgerät im Lauf einer Halbzeit jede Menge: Jedes Mal, wenn er wieder von Kopf, Fuß oder (mal regelkonform, mal regelwidrig) mit der Hand bewegt wird, wird er auch in Rotation versetzt.
Mathematisch lässt sich die Rotation einer Kugel im dreidimensionalen Raum durch eine so genannte Drehmatrix beschreiben. Man nimmt die Ausrichtung des Balls im Raum zu einem bestimmten Zeitpunkt, multipliziert mit der Drehmatrix und kriegt als Ergebnis die Ausrichtung nach der Drehung. Da sich der Ball dabei um eine Drehachse gedreht hat, muss es zwei Punkte an der Oberfläche geben, die ihre Position im Raum nicht verändert haben: Das sind genau die beiden Punkte, an denen die Drehachse die Oberfläche durchstößt.
Hier kommt nun die Formel ins Spiel: Erfolgen n Drehungen hintereinander, die durch die Drehmatrizen D1 bis Dn beschrieben werden, dann kann man sie (unter bestimmten Voraussetzungen) einfach miteinander multiplizieren, und die resultierende Matrix Q beschreibt eine »Gesamtdrehung«, die der Summe der einzelnen Drehungen entspricht.
Aus mathematischer Sicht ist es egal, ob man die ganzen Drehungen des Fußballs einzeln und hintereinander betrachtet oder gleich die Gesamtdrehmatrix Q anwendet, die alle Einzeldrehungen zusammenfasst. All das, was dem Ball zwischen dem Beginn der ersten und dem Beginn der zweiten Halbzeit passiert, lässt sich mathematisch also in eine einzige Drehung packen. Auch diese Drehung erfolgt um eine Achse, und sie durchstößt die Oberfläche des Balls an zwei Punkten. Das sind genau die beiden Punkte, die zu Beginn der zweiten Halbzeit an exakt der gleichen Stelle liegen wie vor Spielbeginn; genau so, wie es der »Satz vom Fußball« beschreibt.
Ich finde diese Eigenschaft von sich drehenden Kugeln extrem faszinierend; vielleicht sogar noch ein wenig spannender als ein Fußballmatch. Die Beschäftigung mit Sätzen aus der linearen Algebra und den Eigenschaften der speziellen orthogonalen Gruppe (wie die Disziplin, zu der der »Satz vom Fußball« gehört, mathematisch exakt heißt) wird aber wohl trotzdem die Stadien nicht so sehr füllen, wie es die Fans der Fußballmannschaften getan haben. Nicht einmal, wenn sich der Fußball pandemiebedingt nicht mehr dreht.
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