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Umweltschutz im Garten: Weniger Ordnungswut, mehr Wildnis wagen

In Deutschland gibt es rund 15 Millionen Gärten. Eine riesige Fläche, die wir für die Natur nutzen können. Wir müssen nur etwas toleranter gegenüber dem Wildwuchs werden, meint Daniel Lingenhöhl.
Ein Garten, in dem Pflanzen einfach ein bisschen wachsen dürfen, ist auch sehr schön

In Deutschland haben 35 Millionen Menschen einen direkten Zugang zu einem eigenen Garten. Die Fläche der Zier-, Nutz-, Schrebergärten und so weiter in der Bundesrepublik entspricht ungefähr derjenigen aller Naturschutzgebiete: rund 1,4 Millionen Hektar. Sie könnten Oasen für viele heimische Wildtiere und -pflanzen sein, die in der ausgeräumten Kulturlandschaft und angesichts der zunehmenden Zersiedelung und Bebauung der Landschaft ihre alte Heimat verlieren. Wenn die Berufs- und Hobbygärtnerinnen und -gärtner die Natur denn nur ließen.

Breit ist die Palette der Pestizide, die es in Bau- und Gartenmärkten oder im Internet zu kaufen gibt. Das ganze Sortiment an Pflanzenschutzmitteln steht bereit, für das Landwirte regelmäßig harsch kritisiert werden. Im eigenen Grün werden sie in Mengen eingesetzt, die jene auf dem Feld deutlich übersteigen. Eine Recherche des Magazins »Stern« ergab, dass Privatleute jährlich mehr als 6200 Tonnen Pestizide in ihren Garten kippen. 2019 machten die Mitglieder des Industrieverbands Agrar rund 53 Millionen Euro Umsatz mit Roundup, Schneckenkorn und anderen Mitteln.

Für viele Hobbygärtnerinnen und -gärtner führt anscheinend auch kein Weg am Torf vorbei: Mehrere Millionen Kubikmeter Torf werden jedes Jahr in Deutschlands Gärten ausgebracht, wenn die Pflanzsaison beginnt. Eine für den Natur- und Klimaschutz katastrophale Angewohnheit: Zur Torfgewinnung werden Moore zerstört, die gewaltige Mengen Kohlenstoff binden, der als Kohlendioxid entweicht, wenn sich das Substrat zersetzt. Dabei trocknet Torf auf Dauer den Boden aus und übersäuert ihn, weswegen die Gärtner gleich noch Kalk sowie Dünger ausbringen müssen, wie das Umweltbundesamt mahnt.

Themenwoche Gärtnern

In Zeiten der Pandemie sind Natur und Garten für viele Menschen zu einem wichtigen Rückzugsort geworden. Warum tun Pflanzen uns gut? Wie kann jeder und jede Einzelne die Umwelt beim Gärtnern schützen? Und welche Trends gibt es derzeit beim Anbau? Antworten auf diese und weitere Fragen liefert »Spektrum.de« in einer Themenwoche. Mit dabei: praktische Tipps für Menschen, die bislang an der Pflanzenpflege verzweifelt sind.

Groß ist das Arsenal technischer Geräte, allen voran Mähroboter und Laubbläser, ohne die viele anscheinend nicht mehr auskommen: Was früher leise und ressourcenschonend mit dem Rechen erledigt wurde, muss heute mit ohrenbetäubendem Lärm erst zusammengeblasen und dann am besten noch eingesaugt und zerhäckselt werden. Selbst unter Büschen wird dem Laub mit röhrendem Furor der Garaus gemacht. Dass dabei unzählige Kleinlebewesen getötet werden, gilt als unvermeidlicher Kollateralschaden im Sinne des gepflegten Gartens. Größere Opfer gehen auf das Konto der Mähroboter, die im Gegensatz zum Menschen hinter dem Rasenmäher Igel, Blindschleiche oder Frosch nicht erkennen und sie mit ihren Klingen zerteilen, wie Umweltverbände dokumentiert haben.

Insekten fliegen auf den Wasserdost | Einheimische Pflanzen wie der Wasserdost haben eine magische Anziehungskraft auf Insekten – wie hier auf diesen Russischen Bären, einen auch am Tag fliegenden Nachtfalter.

Der Gipfel der Zweckentfremdung sind schließlich Schottergärten, in die als Alibi manchmal doch noch ein Lavendelbusch im Topf gesetzt wird. Für die meisten Tiere und Pflanzen sind sie lebensfeindliche Steinwüsten – zumindest, bis es Wildkräuter irgendwie geschafft haben, sich darin anzusiedeln. Diese sind dann so hartnäckig, dass die Besitzer zur Giftspritze greifen. Verglichen mit einem normalen, grünen Garten verschlechtern die Gesteinshalden das städtische Kleinklima.

Schottergärten haben deutschlandweit deutlich zugenommen. Statt Rasen oder Beeten bringen Gartenbaufirmen tonnenweise Gesteinsmaterial rund um das Haus aus, das nach unten mit einem Vlies oder mit Teichfolie zusätzlich abgedichtet wird, um Pflanzenwuchs zu unterbinden. Besonders grauenvolle Exemplare sammelt der Biologe Ulf Soltau auf seinem Instagram-Kanal. Die vermeintlich pflegeleichten Schotterwüsten bieten kaum Tieren eine Heimat, zudem behindern sie den Gas- und Wasseraustausch mit dem Untergrund. Das stört das Bodenleben und belastet die Kanalisation, weil Regen nicht versickert. Und die Steinbedeckung fördert die Erwärmung der Städte, denn die Steine heizen sich tagsüber auf und strahlen die Wärme nachts langsam wieder ab. In vielen Kommunen oder Bundesländern sind sie deshalb mittlerweile verboten, allerdings werden Verstöße häufig nicht bemerkt oder geahndet.

Die bessere Alternative

Dabei wäre es so einfach, sich einen nicht nur pflegeleichten, sondern ebenso tierfreundlichen Garten zu schaffen: mit der richtigen Auswahl an Pflanzen und mit reduziertem Ordnungswahn. Ein artenreicher Garten mit den verschiedensten Pflanzen statt dem monotonen Grün weniger Ziergewächse sorgt schon von Natur aus dafür, dass sich Schädlinge seltener zur Plage entwickeln. Die Vielfalt lockt Vögel oder Insekten an, die andere Insekten als Beute suchen. Spezialisierte Pflanzenfresser wie etwa der Buchsbaumzünsler (eine mit exotischen Zierpflanzen eingeschleppte Art) finden weniger Nahrung, wenn sie nur einen statt zwanzig Buchsbäume vorgesetzt bekommen (unser Holunder wird jeden Frühling von Heerscharen von Blattläusen heimgesucht, doch Marienkäfer, Florfliegen, Meisen und andere Insektenfresser räumen mit der Plage schnell und ohne Schaden für den Strauch auf). Und wer gar nicht abwarten mag, bis natürliche Widersacher Plagegeister bekämpft haben, kann völlig ökologische Holunder- oder Brennnesseljauche ansetzen und auf Blattläuse und andere Schädlinge sprühen.

Hilfreich ist es, das Laub im Herbst unter Bäumen und Büschen liegen zu lassen: Es spart Kunstdünger und hilft Insekten zu überwintern. Die Bodenfauna zersetzt die Blätter und führt die Nährstoffe wieder in den Kreislauf zurück. Es ist der beste Dünger für den Garten, wie selbst Gartenmagazine schreiben. Und eine hohe Pflanzenvielfalt sowie reduzierte Bearbeitung fördert die Bodenqualität ebenfalls, wie eine Studie in »Nature« zeigte.

Komposterde wiederum bindet Wasser gut, weist einen hohen Nährstoffgehalt auf und trocknet den Untergrund nicht aus. Wer genügend Platz hat, kann seine Gartenabfälle also in einer Ecke verrotten lassen und den entstehenden Humus später in den Beeten wiederverwerten. Den Komposthaufen und seine Zersetzungswärme nutzen zahlreiche Tiere für ihren Nachwuchs: Mit etwas Glück stellen sich Ringelnattern oder Igel ein, Spitzmäuse (Insektenfresser!) ziehen ihre Jungtiere darin auf, und viele Insekten und andere Wirbellose finden Heimat und Nahrung.

Überhaupt Vielfalt: In unserer Natur gibt es zahlreiche Arten, die sich auch im Garten gut machen – sofern sie nicht unter Naturschutz stehen und wir sie nicht sammeln dürfen. Wasserdost lockt Schmetterlinge an, Hummeln fliegen auf Natternköpfe, Wiesensalbei ziert jedes Beet, Wildrosen können es mit ihren gezüchteten Verwandten aufnehmen, Hainbuche, Johannisbeere oder Weißdorn ergeben mindestens eine so schöne Hecke wie Kirschlorbeer, Buchsbaum oder Thuja. Diese heimischen Alternativen werden von vielen Gärtnereien bereits angeboten, von anderen kann man bei Spaziergängen in der nächsten Umgebung Samen oder Stecklinge sammeln. Solche Pflanzen kommen außerdem gut mit dem vorherrschenden Boden zurecht: Sie müssen sich also weniger Gedanken machen, ob die Zierpflanze zu Ihrem Bodentyp passt. Wer dennoch nicht auf Zierpflanzen verzichten mag, sollte zumindest darauf achten, welche Pflanzen im Gartenmarkt von Bienen umschwärmt werden, etwa Lavendel, Rosmarin und Co. Mit der richtigen Mischung blüht es dann vom Frühling bis in den Herbst, und der Garten wird zur Oase für Bestäuberinsekten.

Komposthaufen | Ein Komposthaufen sorgt nicht nur für fruchtbaren Humus im Garten, sondern bietet vielen Tieren eine Heimstatt.

Schließlich sollte im Garten die eine oder andere Ecke der freien Entwicklung überlassen bleiben: Schmetterlinge benötigen nicht nur Nektarspender als adulte Tiere, sondern vor allem Futterpflanzen für die Raupen, etwa Brennnesseln – wenn es stört, in einem nicht einsehbaren Teil des Gartens. Ein Haufen aus Reisig und Totholz bietet Unterschlupf für Eidechsen und Insekten. Ein Stück Wiese, das nur ein- bis zweimal im Jahr gemäht wird, dient Spinnen, Käfern und Heuschrecken als Zuflucht, wenn der Rest gestutzt wird. Als Krönung bei ausreichend Platz fördern schließlich ein Gartenteich, eine Lesesteinmauer oder ein schütter bewachsenes Sandbeet die Artenvielfalt weiter. Wer genau hinsieht, kann hunderte Spezies auf seinem überschaubaren Flecken Garten zählen. Und wer Kinder hat, wird noch eine Beobachtung machen: Kinder brauchen keinen aufgeräumten Garten, sondern einen, in dem sie etwas erleben können und dürfen. Natur macht Kinder glücklicher. Warum also nicht auch einfach für sie mehr Wildnis wagen?

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