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Mäders Moralfragen: Zur Abwechslung mal gute Nachrichten

Journalisten berichten über Streit, Skandale und Katastrophen. So schlecht ist die Welt aber nicht, denkt sich mancher. Warum erfährt man so wenig über das Positive auf der Welt?
Spaß beim Lesen - dank konstruktivem Journalismus?

Letzte Woche hat die niederländische Website »De Correspondent« ihre englische Version gestartet. Die Redaktion hatte dafür Ende 2018 in einer Crowdfunding-Kampagne mehr als 2,5 Millionen US-Dollar eingesammelt, und sie verspricht nicht weniger als eine neue Art von Journalismus. »The Correspondent« nennt auf seiner Website zehn Prinzipien seiner Arbeit; das erste und vielleicht oberste lautet sinngemäß: »Wir berichten nicht über das heutige Geschehen, sondern darüber, was jeden Tag geschieht – und viel zu oft vergessen wird.« Die Website will die Aufmerksamkeit vom Sensationellen auf das Grundlegende lenken. Bei diesem Stichwort denke ich zum Beispiel an das Problem der multiresistenten Keime in Krankenhäusern oder an den Raubbau an den Sandreserven der Welt, der durch den globalen Bauboom befördert wird. Herausforderungen wie diese begleiten uns seit Jahren. Über sie wird zwar immer wieder berichtet, aber sie hinterlassen kaum Spuren im öffentlichen Raum.

In das Prinzip der neuen Website kann – und darf – man noch mehr hineinlesen. Nehmen wir als Beispiel die Debatte um das deutsche Klimapaket, das am Mittwoch beschlossen werden soll. Natürlich ist es wichtig, wer sich innerhalb der SPD durchsetzt, da die Partei gerade ein neues Führungsteam sucht. Es ist auch wichtig, ob sich die Große Koalition einigt und ihre Arbeit fortsetzt. Und es wird zu Recht darüber debattiert, wer mit einem sozialen Ausgleich für die Kosten des Klimaschutzes rechnen darf. Doch »The Correspondent« würde warnen, dass wir uns nicht im politischen Klein-Klein verlieren dürfen, denn mit der Verabschiedung des Klimapakets sind die Klimaziele noch lange nicht erreicht.

Zeitungen machen schlechte Laune

Auf dem Feld der Klimaberichterstattung ist diese Warnung schon aufgenommen worden: Man muss nur an die Aktion »Covering Climate Now« denken, an der sich jüngst mehr als 300 Medien beteiligt haben, darunter auch »Spektrum.de« mit sieben Beiträgen. In den Tagen vor dem UN-Klimagipfel im September in New York zeichneten Journalisten aus aller Welt ein umfassendes Bild des Klimawandels: Sie ließen viele Menschen zu Wort kommen und widmeten sich den vielfältigen Ursachen und Folgen des Klimawandels – und natürlich auch den möglichen Reaktionen darauf. Ich verstehe »The Correspondent« so, dass sie diese Aktion verstetigen wollen, weil der Klimawandel zu den überragenden Themen unseres Jahrhunderts zählt.

In anderen Feldern werden hingegen Berichte vermisst, die den Weg in eine bessere Zukunft weisen. Der vielleicht stärkste Hinweis darauf, dass im Nachrichtengeschäft etwas falschläuft, ist die Aussage mancher Leser, dass ihnen die Nachrichten gelegentlich zu viel werden. Das Reuters Institute der University of Oxford befragt jedes Jahr einige tausend Menschen zu ihrem Nachrichtenkonsum. In der jüngsten Umfrage, dem Digital News Report 2019, gaben 25 Prozent der Deutschen an, zumindest gelegentlich auf Nachrichten zu verzichten. In anderen Ländern sind die Werte noch höher. Und Menschen, die komplett ohne Nachrichten auskommen, werden hier gar nicht mitgezählt. Die drei am häufigsten genannten Gründe für die Unzufriedenheit: Die Nachrichten verschlechtern meine Laune; ich kann nichts gegen die Probleme unternehmen, über die berichtet wird; ich bin nicht sicher, ob die Nachrichten stimmen.

Journalisten müssen auf der Hut sein

Jeder dritte Deutsche sagt zudem, dass die Medien zu negativ über die Welt berichten. Dass sich die Nachrichten um Streit, Skandale und Katastrophen drehen, wurde schon vor Jahrzehnten in journalistische Leitsätze gegossen. Sie heißen: »Only bad news are good news« oder: »If it bleeds, it leads« (»Wenn es blutet, wird's der Aufmacher«). Nicht wenige Journalisten definieren ihren Job als die Veröffentlichung von Artikeln, die jemand anderes lieber verhindern würde. Diese Einstellung hat ihren guten Grund, denn die Medien sollen den Mächtigen auf die Finger schauen und verhindern, dass Probleme unter den Teppich gekehrt werden. Das ist der Anspruch, und man muss nicht lange suchen, um einen Experten zu finden, der am neuen Gesetzentwurf oder an der frisch publizierten wissenschaftlichen Studie etwas auszusetzen hat. Ich kenne auch aus eigener Erfahrung das blöde Gefühl, wenn man einen Kommentar schreibt und nichts zu kritisieren findet. Dann schreibt man, die Lösung könne nur ein erster Schritt sein, weil einem nichts Besseres einfällt. Als Journalist soll man wachsam bleiben und sich nichts unterjubeln lassen. Der Fokus auf Streit, Skandale und Katastrophen hilft einem dabei, denn hier haben die Mächtigen nicht mehr alles unter Kontrolle, und dem Journalisten fällt das Kritisieren leichter.

Doch den Mächtigen auf die Finger zu schauen, ist nicht die einzige Aufgabe der Medien. Sie sollen – ganz allgemein gesprochen – das Wissen bereitstellen, das mündige Bürger in einer Demokratie benötigen. Dazu gehört auch, über Einigung, Vorbilder und Hilfen zu berichten. Mögliche Lösungen stärker in den Blick zu bringen, ist der Ansatz des konstruktiven Journalismus, dem sich »The Correspondent« verpflichtet fühlt. Letzte Woche war ich auf einem Workshop zu diesem Thema, denn meine Hochschule wird in den nächsten Jahren mit Partnern aus Dänemark und den Niederlanden diesen journalistischen Ansatz in studentischen Projekten ausloten. Ein zentrales Element des konstruktiven Journalismus ist, etwas als gut darzustellen, wenn man es nach gründlicher Prüfung für gut befindet. Wenn das Ergebnis anders ausfällt, kritisiert man es wie üblich.

Die Mitmenschen sind besser als ihr Ruf

Noch ist auf der Website von »The Correspondent« nicht viel zu sehen: Die ersten Mitarbeiter stellen sich vor und erklären, woran sie arbeiten. Die Politikredakteurin Nesrine Malik will sich zum Beispiel den sozialen Netzwerken widmen, die Menschen in Not helfen. Sie meint damit unter anderem Verbände, die Asylsuchende unterstützen, oder junge Ärzte im Sudan, die einspringen, wenn das Gesundheitssystem versagt, und auf WhatsApp und Facebook um Medikamentenspenden bitten. Diese oft erfolgreichen Netzwerke zeigen laut Malik, dass man knappe Ressourcen verteilen kann, ohne Menschen gegeneinander aufzubringen. Sie könnten daher ein Vorbild sein für die Politik.

Andere Redakteure wie Eric Holthaus, der über den Klimawandel schreibt, rufen ihre Leser zum Mitmachen auf. Holthaus sammelt persönliche Sorgen zum Klimawandel in aller Welt, weil er in seiner Berichterstattung die Betroffenen in den Vordergrund stellen will: Er will zeigen, wie Menschen im Guten und im Schlechten voneinander abhängen. Im Klimaschutz werde deutlich, wie wir miteinander umgingen, schreibt er. Auch das gehört zum Konzept des konstruktiven Journalismus: die Leser um ihre Fragen, Ideen und Erfahrungen zu bitten, bevor man einen Artikel fertig stellt – sie von Anfang an in die Arbeit einzubinden, sich ein Mandat zur Recherche erteilen zu lassen. Diese Methode ist eine weitere gute Möglichkeit für Journalisten, sich von den Mächtigen unabhängig zu machen.

Die Moral von der Geschichte: Journalisten sollen sagen, was schlecht ist – aber auch, was gut ist.

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