Futur III: Ausflug in die Vergangenheit
Name: Zed 5755
Datum: 32. Januar 2131
Stufe: 7. Klasse Deutsch
Lehrperson: Herrfrau Quurnz
WAS WÜRDE ICH MACHEN, WENN ICH DURCH DIE ZEIT REISEN KÖNNTE?
Die Antwort auf diese Frage wird generell davon abhängen, was der betreffenden Person besonders am Herzen liegt. Also zum Beispiel: Wenn du Sport magst, wirst du dir wünschen, zurück in eine Zeit zu gelangen, in der Wettkämpfe populär waren, und dass du die Regeln gut beherrschst. Oder wenn du gern singst, würdest du dir eine Zeit aussuchen, in der das Singen nicht verboten war. Könnte ich persönlich in die Vergangenheit reisen, würde ich die Periode zwischen dem Zweiten und dem Dritten Weltkrieg wählen, denn damals war alles einfacher.
In jener Epoche lebten die Menschen in einem langsameren Tempo als wir heute. Sie nahmen sich genügend Zeit, um untereinander echte persönliche Interaktionen zu pflegen, statt immer nur auf ihren Schmrgdons zu glieben und ewig hin und her zu fxten. (Lass mich in Frieden, kapierst du nicht, dass ich meine Schularbeit diktiere?) Ja sie besaßen nicht einmal so etwas wie Schmrgdons, und sie hatten gar keine Ahnung, wie wichtig die Dinger in der Zukunft werden würden. (Ich mein es ernst, geh mir aus dem Weg, ich muss das jetzt zu Ende bringen.)
Das Allererste, was ich täte, wenn ich aus meiner Zeitmaschine geklettert wäre: Ich würde mich bis auf die unterste Schicht ausziehen und die Wärme der wirklichen Sonne durch den Stoff hindurch auf der Haut spüren. Das wäre unglaublich schön. Ich vermute, es würde sich anfühlen, als säße ich in einer reifen Orange. Wahrscheinlich würde ich mich orange und gelb und saftig fühlen. Wie gern möchte ich mit allen Sinnen erleben, wie so etwas wirklich ist, statt es mir bloß vorzustellen. Das ist natürlich noch längst nicht alles. Damals gab es heulende Stürme und lautlosen Schneefall, ich würde Regen im Gesicht spüren und ganz allgemein den regelmäßigen Wechsel der Jahreszeiten. Ich stelle mir vor, dass all das eine schwankende Kombination von angenehm und unerfreulich wäre, aber in der Summe ergäbe sich eine positive, wohltuende Bilanz. (Ich hab den Müll schon hinausgetragen, nerv wen anderen.)
Meine Reisen durch die Zeit würden sich auch finanziell auszahlen, denn ich könnte die Erlebnisse von Wind und Wetter in 6D-Perfectovision aufzeichnen, damit in die Gegenwart zurückkehren und das 6D mit aller Welt teilen, damit jede heutige Person diese verloren gegangenen Erfahrungen machen könnte. Darauf würde ich dann meine Karriere gründen: Ich wäre innovativ tätig und unternehmerisch aktiv, indem ich die physischen und emotionalen Empfindungen der Vergangenheit zu Geld machte. Die Leute würden eine Menge zahlen, um meine Erfahrungen so wirklichkeitsnah zu teilen, als wären es ihre – und ich könnte den Gewinn nutzen, um weitere Reisen mit der Zeitmaschine zu finanzieren. Auf diese Weise könnte ich ein erfolgreicher Unternehmer werden und damit in die oberste Gesellschaftsschicht aufsteigen. Ich würde mir den großen Irdischen Traum erfüllen, von dem alle schwärmen.
Eine weitere Spezialität, die ich aus der Vergangenheit in die Jetztzeit transferieren würde, wäre musikalische Freiheit. In früheren Epochen gab es wenige oder gar keine Restriktionen für das Musizieren; manchmal durftest du ganz nach Herzenslust einfach Krach machen. Die Menschen konnten sich anhören, was immer sie wollten. Ihre Musik mutete ganz anders an als das unechte keimfreie Gesäusel von heute, das (Wie bitte? Ja, ich nehme Gemüse mit Spreckeln und Tintsch) per Computer aus alten Konserven zusammengepanscht wird. Ihre Musik war lebendig und authentisch, und ich möchte wissen, wie sie klang. Ich würde natürlich Ohrenschützer tragen, denn ich will nicht wie meine Vorfahren riskieren, am Ende den Gehörsinn einzubüßen!
Außerdem könnte ich als Zeitreisender viele offene Fragen über die Vergangenheit beantworten. Zum Beispiel: Was hielten die Menschen zwischen dem Zweiten und Dritten Weltkrieg von Körperpflege? War »Sonnenbrand« pure Einbildung oder eine echte Gefahr? Wussten sie damals bereits, wie Photosynthese funktioniert? Auch habe ich gehört, dass den Menschen manchmal innerhalb eines Gebäudes zu heiß war oder zu kalt. Die Vorstellung macht mich sehr traurig.
Eines der größten Probleme, denen ich im Lauf meiner Zeitreisen begegnen würde, wäre der Umgang mit der Zweigeschlechtlichkeit. Um nicht aufzufallen, müsste ich mich darauf beschränken, Ausdrücke wie »er« und »sie« zu gebrauchen. Andernfalls könnte ich in jener Epoche wohl nicht überleben. Vermutlich wäre ich sogar gezwungen, für mich selbst ein Geschlecht zu wählen – oder vielleicht würden die Leute dort mir mitteilen, zu welchem von beiden ich gehören soll.
Leider müsste ich auch ihre abstoßende tierische Nahrung riechen und verzehren. Das wäre wahrscheinlich für mich das größte Problem überhaupt. Weitere Unannehmlichkeiten würden aus dem Umgang mit Toiletten, Treppenhäusern, Schuhbändern und Knöpfen resultieren – ganz zu schweigen von all den grassierenden Krankheiten. Ich glaube allerdings, wenigstens ein einziges Mal würde ich versuchen, mich zu »erbrechen«, bloß aus Neugier, nur um zu erleben, wie das ist. (Ich bin fast fertig, es sollen 1000 Wörter werden und ich bin schon bei 800, in einer Minute bin ich zu Tisch.) Wahrscheinlich wird die fremde Nahrung allein schon dazu führen, dass ich mich »erbreche«. Ich könnte vielleicht auch diese andere Sache ausprobieren, die sie damals ausführten, indem sie ihre Münder zusammen manschten und Krankheitskeime miteinander teilten. Das würde ich natürlich höchstens einmal versuchen – und wenn, dann nur aus rein wissenschaftlichem Interesse.
Das Abenteuer sollte die Mühe lohnen, da ich (Kann jemand anderer den Türöffner drücken? Ich mache hier meine Hausaufgaben und in einer Stunde muss ich abgeben) fremde Lebensweisen kennenlernen würde und die menschliche Existenz von einem exotischen Standpunkt aus erleben könnte. Durch die Reisen in die Vergangenheit würde sich mein Horizont erweitern – buchstäblich und im übertragenen Sinn. Aber ich habe nicht vor, allzu weit durch die Zeit zu reisen. Ich möchte nicht riskieren, durch einen dummen Zufall früh zu sterben.
Wenn es mir tatsächlich gelänge, durch den Verkauf der 6D-Aufzeichnungen aus der Vergangenheit (OK, OK, HALT DIE KLAPPE) reich zu werden, könnte ich mir eine eigene Wohnung leisten und müsste nicht mit so vielen Geschwistern zusammenleben. Ein netter Nebeneffekt wäre, dass ich zu jener früheren Zeit schon in einem wesentlich jüngeren Alter die Schule verlassen könnte und ich müsste nicht wie hier erst die 16. Stufe absolvieren, bis ich endlich meinen eigenen Transporter bedienen darf. Damit hätte ich zumindest in der Vergangenheit viel mehr Freiheiten und Möglichkeiten, die ich natürlich reichlich ausnützen würde. Und wer weiß, vielleicht würde es mir ja dort so gut gefallen, dass ich einfach bliebe. Wenn ich genug 6D-Aufnahmen von hier plus Abspielgeräte mitbrächte, könnte ich vielleicht damit auch in jener Zeit genug Geld verdienen für eine eigene Wohnung. Und dann wäre ich hier endlich weg aus diesem unerträglichen Chaos und hätte meine Ruhe!
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