Futur III: Ein siegreicher Zweikampf
Daniel war kein Autobot wie Optimus Prime – oder was auch immer die Jungs sich ausmalten, als wir endlich anfingen, Kampfroboter zu bauen. Und ich war auch kein weiblicher Dr. Frankenstein, obwohl der Name an mir klebte, seit die Medien damit herumwarfen.
Mir war das herzlich egal. Wir alle brauchen einen Vergleichsmaßstab. Etwas Vertrautes, um die Gegenwart mit der Vergangenheit zu verbinden, um uns zu orientieren, wenn die Welt in Stücke fällt.
Jedenfalls zog sich der Krieg nun schon ewig hin. Alle waren müde. Diese blinde Wut von der Sorte, die jede Ähnlichkeit zwischen den zankenden Parteien leugnet, bloß Schwarz und Weiß kennt und all den grauen Zwischenraum ignoriert… so etwas lässt sich selbst dann nur schwer aufrechterhalten, wenn man darauf programmiert ist. Falsche Logik erzeugt fehlerhafte Maschinen.
Am Ende nahmen wir uns eine antike Sage zum Vorbild und beschlossen, unsere hochmodernen Differenzen auf altmodische Art zu klären: Zweikampf! Dem Sieger die Beute! Sie bauten sich ihren Einzelkämpfer, und ich schuf den unseren. Mein Daniel war die ideale Verkörperung des weißen Ritters, 50 Meter groß, mit einem Harnisch aus Titanlegierung und einem gigantischen Waffenarsenal, das von neuester Technik bis zu antiken Relikten reichte. Als Tribut an Homers Achilles platzierte ich die Quelle von Daniels Kraftfelds in einen mit Kupfer beschichteten Schild, den er auf dem Rückentrug.
Als ich den Jungs und Mädels vom Verteidigungsministerium das fertige Produkt zeigte, waren sie sprachlos – und zwar im guten Sinn. Doch bald wollten sie noch mehr. Daniel sollte Gefühle haben. Darauf bestanden sie.
»Wenn Daniel sich nicht über seinen Sieg freuen kann, wie sollen wir ihn dann feiern?«, sagten sie, als wäre das Ergebnis bereits sonnenklar.
Ich wies auf die Risiken hin. Ich erklärte ihnen, wozu so etwas führen kann. Aber sie hörten mir nicht zu.
»Du musst das unbedingt verstehen«, betonten sie und erinnerten mich immer und immer wieder, dass ihnen der Ausgang dieses Wettkampfs alles bedeutete. Tatsächlich vergaß ich allzu leicht, was auf dem Spiel stand, denn meine Gedanken waren durch die Tatsache abgelenkt, dass Roger, Veronica und mein Vater tot waren und – ob Sieg, Niederlage oder Unentschieden – nicht wiederkamen. Meine Familie war für immer verloren.
Eine derartige Ablenkung lässt sich nur schwer aus dem Gedächtnis tilgen.
Aber die für Verteidigung zuständigen Teams kannten kein Pardon. »Die andere Seite muss verlieren. Egal, was passiert, Lucy, sie müssen unterliegen.«
Ich liebte Daniel nicht (ehrlich gesagt, liebte ich überhaupt niemanden mehr), aber er verehrte mich. Ich war seine Mutter, er sehnte sich nach meiner Führung und lechzte nach meinem Lob. Somit waren die Frankenstein-Witze zwar nicht besonders originell, trafen jedoch durchaus zu.
Am Tag vor dem Kampf verlötete ich gerade die Panzerung seiner linken Hand, als er mich fragte: »Lucy, warum ist es so wichtig, dass wir gewinnen und sie verlieren?«
»Falsche Logik«, murmelte ich, mehr zu mir als zu Daniel. Ich hielt es für besser, den Mund zu halten. Roger hatte mich immer gebeten, still zu sein. Du kannst eine Flutwelle anschreien, Lucy, aber sie wird dich trotzdem verschlingen. Und mein Vater: Nicht alle Schlachten werden dort geschlagen, wo wir sie sehen können.
»Die andere Seite muss verlieren. Egal, was passiert, Lucy, sie müssen unterliegen.«
Daniel wartete; er hoffte geduldig auf eine Antwort. Mein sanfter Riese drängte mich nie, er wartete immer nur ab. Also tat ich ihm den Gefallen und gebrauchte mit belegter Stimme dieselben Worte wie einst Veronica, mein kluges kleines Mädchen, nachdem ich sie gefragt hatte, warum sie sich beim Gewitter unter dem Bett versteckte, obwohl sie wusste, dass das Unwetter kilometerweit entfernt blitzte und donnerte: »Weil es schwer ist, auf die richtige Art tapfer zusein.«
Natürlich war der gegnerische Kampfroboter größer. Ist das nicht typisch?
Sobald der Trompetenstoß den Beginn des Wettkampfs ankündigte, zog Daniel sein Schwert. Erst schwang er es anmutig und kraftvoll empor, doch plötzlich stach er damit fest abwärts und versenkte die Klinge tief im Sand der Arena. Dann kniete er vor seinem Herausforderer nieder und sprach: »Heute kann nichts Gutes entschieden werden.«
Der Gegner lachte nicht. Darauf war er nicht programmiert. Aber seine Leute jubelten, und auf ihrer Seite der Arena erhob sich ein ohrenbetäubendes Siegesgeschrei. Unsere Seite antwortete mit Zischlauten und empörten Rufen. Blitzschnell kochte die altbekannte Wut hoch, und um ein Haar wäre wieder genau jene Gewalt ausgebrochen, die dieser Zweikampf eigentlich vermeiden sollte.
Ich weinte. Nicht, weil uns die Niederlage drohte. Nicht, weil unser Plan gescheitert war. Und auch nicht, weil ich wusste, was Daniel als Nächstes tun würde. Ob er Gefühle besaß oder nicht, er war auf einen bestimmten Zweck hin programmiert. Und das Ziel seines Programms war nun einmal, dass die andere Seite um jeden Preis verlieren musste.
Nein, ich weinte, weil ich wusste, wie es sich anfühlt, wenn man die Menschen enttäuscht, die man liebt. Und schlimmer: wenn man nicht fähig ist, sie zu retten. Weder hatte ich meinen Vater vor dem Altwerden gerettet noch Roger vor der Willkür des Kriegsrechts oder Veronica vor der Tragik des Kollateralschadens.
Als ich beobachtete, wie Daniel zögerte, wusste ich, dass er dasselbe fühlte. Während der Herausforderer schon zum tödlichen Schlag ausholte, suchte Daniels Blick mein Gesicht in der Menge. Das hätte er nicht tun sollen, aber falsche Logik erzeugt fehlerhafte Maschinen. Er wartete auf meine Erlaubnis. Ich zucke weinend mit den Achseln, wie immer meiner Sache nicht sicher.
Also traf er die Entscheidung und riss die Panzerung seiner linken Hand ab, so dass darunter der tödliche Auslöser sichtbar wurde. Ein Knopfdruck würde Daniel zusammen mit fast jedem und allem im Umkreis von 25 Kilometern vernichten. Zu spät schrien die Jungs und Mädels vom Ministerium der Verteidigung ihre Warnungen und flehten »Um Gottes willen, halt!«. Aber ich weiß eigentlich gar nicht, warum sie so sehr dagegen waren.
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