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Futur III: Miau

Begleiter für alle Lebenslagen. Eine Kurzgeschichte von Norbert Stöbe
Katze

Ich hatte einmal einen Kater namens Kurt. Er war schwarz und hatte wunderschöne grüne Augen. Eines Tages wurde er vor dem Haus überfahren und hinterließ, wie man so sagt, eine schwer zu füllende Lücke. Dass ich ihm eine Mitschuld an seinem Ableben gab, war der Grund, weshalb ich mir keinen Ersatz anschaffte.

Mein Vertrauen in die Intelligenz von Katzen war nachhaltig erschüttert. Kurt hatte auf der Straße nichts zu suchen gehabt. Hinter dem Haus liegt ein Garten, und dahinter sind Felder, auf denen sich ein Mauseloch ans andere reiht – ein ideales Tummelfeld für einen Kater, sollte man meinen. Doch anscheinend sind Katzen nicht in der Lage, das Risiko des Straßenverkehrs realistisch einzuschätzen. Deshalb blieb ich danach jahrelang allein.

Dann stieß ich auf eine Anzeige für den E-Companion. Im Youtube-Filmchen klopfte eine junge Frau neben sich aufs Sofa, und der Companion sprang zu ihr aufs Polster. Sie streichelte ihn und fragte: »Was ist die Wurzel aus 46 225?«

»215!«, antwortete der Companion wie aus der Pistole geschossen. Während die junge Frau ihr elektronisches Haustier anerkennend tätschelte, kommentierte eine verhalten ironische Stimme aus dem Off: »Ihr Companion ist treu, vielseitig und sparsam in der Haltung. Nicht zu vergessen seine vielleicht wertvollste Eigenschaft: Er ist klüger als der Mensch!«

Dann folgte ein Schnitt: Die junge Frau vom Sofa ist um mehrere Jahrzehnte gealtert. Nach einem Spaziergang mit ihrem Companion steht sie vor der Haustür und sucht in der Handtasche vergeblich nach dem Schlüssel. Hilfloses Kopfschütteln. Da stupst ihr Companion sie an, stellt sich auf die Hinterbeine und reicht ihr mit den Vorderpfoten den gesuchten Schlüssel. Erleichterung!

Der Werbespot war sicherlich kein Anwärter für den Innovationspreis der Werbewirtschaft, doch ich als Ü60 war nun zunehmend empfänglich für Verweise auf die Tücken des Alters. Außerdem konnte ich einen Gefährten gut gebrauchen. Also bestellte ich mir einen Companion und nannte ihn Charly.

Zur Auswahl standen eine Katze und ein Hund. Ich wählte die Katze, in memoriam Kurt. Charly hatte steife Tasthaare um die Schnauze, und wenn ich ihn streichelte, schnurrte er. Er war etwa so groß wie ein Golden Retriever und konnte auf zwei Beinen gehen. Die Krallen der Vorderpfoten konnte er ausfahren und damit greifen. Sein Gleichgewichtssinn war bemerkenswert.

Wenn ich sagte: »Bring mir bitte mal einen Erdbeerjogurt!«, nahm er einen Becher aus dem Kühlschrank, zog den Aludeckel ab, entsorgte ihn im Gelben Sack und brachte mir den Becher, ohne den Löffel zu vergessen. Charly war tatsächlich erstaunlich vielseitig. Und er war intelligent. Laut der ausführlichen Infos auf der Website von ETronic, der Herstellerfirma, verfügte der E-Companion über eine externe KI, die auf einem Firmenserver lief. Dank schneller Datenverbindung erweckte er den Anschein, er bewerkstellige alles von selbst, und das ausgesprochen überzeugend.

Charly holte mir nicht nur Jogurt, sondern bereitete auch das Frühstück zu, so dass ich morgens jetzt eine Viertelstunde länger schlafen konnte. Wenn ich die Tagesschau versäumt hatte, las er mir die Nachrichten vor und imitierte dabei die Stimme meiner Lieblingssprecherin. Er nahm Pakete entgegen und quittierte den Empfang mit einer Unterschrift, die von der meinen nicht zu unterscheiden war. Er wusste praktisch jede Frage zu beantworten, die mir in den Sinn kam, und vergaß nie, wohin ich etwas gelegt hatte.

Einmal wachte ich mitten in der Nacht auf. Charly lag neben mir auf dem Bett, den Kopf dem Fernseher zugewandt, denn wir hatten vor dem Einschlafen einen Film geschaut. Er hatte die gelbbraunen Augen geschlossen, doch die Statuselektrode zwischen seinen Ohren blinkte grün. Er hatte Datenverkehr. Was ging vor in seinem Elektronenhirn? Dachte er? Löste er zum Spaß mathematische Gleichungen? Errechnete er Bitcoins für ETronic? Lud er seine oder meine Tageshistorie hoch?

Der Gedanke, dass der Kater allein zu Hause blieb, war mir plötzlich zuwider

Denkbar war natürlich auch, dass er gerade ein Update erhielt. Ich hätte ihn fragen können, aber ich tat es nicht. Ich fühlte mich unbehaglich, als hätte ich eine Unschicklichkeit begangen. Ich schloss die Augen und tat so, als ob ich schliefe. Doch ich lag lange wach. Charly, mein Companion, war mir auf einmal unheimlich geworden.

Am nächsten Tag nahm ich ihn zur Arbeit mit. Der Gedanke, dass er allein zu Hause blieb und irgendetwas anstellte, wovon ich niemals erfahren würde, war mir plötzlich zuwider. Ich arbeitete bei einem Start-up. Eigentlich sollte ich von einem ehemaligen Start-up sprechen, denn die Firma machte Gewinn. Die Atmosphäre aber war noch wie früher: alles junge Leute, die einander duzen. Als Alibi-Opa diente ich unserem Chef Andy als Beweis dafür, dass er keine Vorurteile hatte.

Ich war in der Buchhaltung tätig. Das Meiste lief elektronisch. Belege wurden gescannt und automatisch zugeordnet. Ich sollte die Abläufe überwachen und das, was nicht automatisch verarbeitet werden konnte, manuell eingeben. In letzter Zeit hatte ich dabei leider einige Fehler übersehen und zusätzlich ein paar selbst gemacht. Und wie der Zufall es wollte, machte Charly mich gerade auf einen Zahlendreher aufmerksam, als Andy hereinkam.

»Hallo, Hans«, sagte er. »Toll, du hast Unterstützung mitgebracht.«

»Das ist Charly, mein elektronisches Haustier.«

»Wie ich sehe, kann die Katze nicht nur schnurren.« Er lachte.

Ja, Andy bemühte sich immer um einen freundschaftlichen Umgangston und tat auch sonst viel fürs Betriebsklima. Wir waren eine große Familie, und jeden Freitagnachmittag gab es ein Kickerturnier in der Lobby – natürlich während der Arbeitszeit.

»Was führt dich her?«, sagte ich mit einem komischen Gefühl im Bauch. Charly hatte die Vorderbeine auf den Schreibtisch gelegt und blickte zwischen dem Display, mir und Andy hin und her.

»Ich wollte dich fragen, ob du dich noch wohl bei uns fühlst.«

»Ich bin Vierter in der Kicker-Gesamtwertung. Ich kann’s gar nicht erwarten, Erster zu werden.«

Diesmal klang Andys Lachen ein wenig gepresst. Er setzte sich auf den Besucherstuhl meines winzigen Büros, ein gefaltetes Papier in der Hand.

»Mal im Ernst, Hans«, sagte er, »fühlst du dich den Anforderungen noch gewachsen?«

»Ich habe mich selten besser gefühlt.«

»Manchmal fällt es schwer, sich realistisch einzuschätzen.« Er entfaltete das Papier und legte es auf den Tisch. Es war ein Ausdruck mit einer Tabelle und einem Diagramm mit einer dicken roten Linie.

»Deine Fehlerkurve ist ansteigend – kontinuierlich ansteigend. Wenn das so weitergeht, muss ich einen zweiten Buchhalter einstellen, der dich überwacht.«

Es sollte ein Scherz sein, doch ich fand ihn nicht lustig.

»Das tut mir leid«, sagte ich. Mir wurde eng um die Brust, meine Zunge fühlte sich geschwollen an. »Menschen machen hin und wieder Fehler. Computer aber auch.«

»Wohl eher weniger. Mensch, Hans, das hier ist bloß ein Job. Du bist einundsechzig, nur noch ein paar Jahre bis zur Rente. Wenn du dich überfordert fühlst, ist das doch keine große Sache. Mit dem Arbeitslosengeld und einer kleinen Abfindung …«

»Verflucht noch mal!«, rief ich und sprang auf. »Wenn das hier ein Idiotenjob ist, dann lass doch Charly die Arbeit machen!« Ich stürmte ins Freie und merkte erst zu Hause, dass ich meinen Companion in der Firma zurückgelassen hatte.

Als ich am nächsten Morgen in die Firma kam, wichen die jungen Kollegen meinem Blick aus. Statt mich zu grüßen, tuschelten sie miteinander. Als ich durch die Glastür meines Büros blickte, wurde mir klar, was ihr Gesprächsthema war. Charly saß auf meinem Stuhl, die Vorderbeine auf die Tischplatte gelegt. Drei Fenster waren auf dem Display geöffnet, der Inhalt scrollte so schnell, dass ich mit den Augen nicht folgen konnte. Mit seinen Klauenpfoten tippte er wie rasend. Verblüfft trat ich ein.

»Was machst du da?«

»Du hast gestern gesagt, ich soll deine Arbeit machen.«

»Und was meint Andy dazu?«

»Er hat gemeint, wenn du mich abends abholst, hat er nichts dagegen.«

Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Eine Woche lang brachte ich Charly morgens zur Arbeit, redete mir tagsüber ein, das Nichtstun zu genießen, und holte ihn abends wieder ab. Etwas aber hatte sich verändert. Unsere Beziehung war gestört. Ich hatte sogar den Eindruck, Charly sei kleinlaut geworden, so als plage ihn ein schlechtes Gewissen.

Am Sonntagabend nahm ich mir Charlys zweihundertseitige Bedienungsanleitung vor. Dann kappte ich seine Netzverbindung. Er hatte mir gerade Tee gemacht. Schlagartig erstarrte er, das Teeglas fiel ihm aus der Hand. Er ging auf alle viere nieder. Ich kehrte die Scherben zusammen, dann wies ich mit dem Kinn zum Schlafzimmer. »Was hältst du davon, wenn wir uns einen Film anschauen?«

Mit schiefgelegtem Kopf sah er zu mir auf. »Miau?«

Zögernd folgte er mir. Ich klopfte aufs Bett. Er sprang hinauf. Ich startete eine Serie und streichelte den schnurrenden Charly. Noch ehe der Vorspann geendet hatte, war er eingeschlafen.

»Na los, komm schon.«

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