Leseprobe »Energiewende verstehen«: Geopferte Landschaften?
Für das Energiesystem der Zukunft ist deutlich mehr sichtbare Energie-Infrastruktur – PV-Anlagen, Windparks, Speicher, zusätzliche Stromleitungen – erforderlich als bisher; aber auch im Jahr 2050 werden diese neuen Anlagen nicht mehr als 5 % der Landesfläche Deutschlands beanspruchen.
Zum Hintergrund
Neben der – in letzter Zeit eher abnehmenden – Sorge um die Versorgungssicherheit in einem weitgehend auf PV und Windkraft beruhenden Energiesystem gibt es einen zweiten – in den letzten Jahren eher zunehmenden – grundsätzlichen Einwand gegen die Energiewende: die Auswirkungen dieser neuen Techniken auf die Umwelt, auf das Landschaftsbild und auch auf die Gesundheit des Menschen.
Die wichtigsten konkreten Schwerpunkte dieser Sorgen sind die folgenden:
- Gesundheitliche Beeinträchtigungen für in der Nähe von Windparks wohnende Menschen
- Beeinträchtigung des Landschaftsbildes durch Windräder (»Verspargelung«)
- Beeinträchtigung der Umwelt durch landwirtschaftliche Monokulturen zur Stromgewinnung aus Biogas (»Vermaisung«)
- Gesundheitliche Beeinträchtigungen für in der Nähe von großen Stromleitungen wohnende Menschen
Hinter diesen bisher eher vereinzelt auftretenden Kritikpunkten steckt eine durchaus grundsätzliche Thematik. In einem so dicht besiedelten Land wie Deutschland ist die Frage der Flächennutzung von erheblicher Bedeutung; entsprechend gehört die Problematik des zunehmenden Flächenverbrauchs durch Gebäude, Verkehr und Industrie seit Jahrzehnten zu den wesentlichen Themen des Umweltschutzes. Die aktuelle Flächennutzung veranschaulicht.
Die Herausforderung
Lange Zeit spielte bei der Frage des Flächenverbrauchs die Energieversorgung nur eine untergeordnete Rolle: Energie-Infrastruktur nahm lediglich ca. 8000 km2 oder gut 2 % der Landesfläche in Anspruch.
Dies hat sich im Zuge der bisherigen Energiewende sehr deutlich geändert: Energiewendebedingte Anlagen nehmen aktuell mehr Flächen in Anspruch als etwa alle Gebäude in Deutschland zusammengenommen.
Woran liegt das?
Der wesentliche Grund liegt in der Tatsache, dass EE-Kraftwerke aus rein physikalischen Gründen deutlich mehr Fläche benötigen als konventionelle Kraftwerke (s. Tabelle).
Tabelle: Flächenbedarf der Kraftwerke im Vergleich (in km2 pro GW installierter Leistung).
Konventionelles Kraftwerk | <1 |
PV-Freifläche | 15-20 |
Wind (an Land) | 50-70a |
Biogas | 3000b |
ainkl. Abstandsflächen; 90 % der Fläche können weiter landwirtschaftlich genutzt werden
binkl. Anbau von Energiepflanzen
Einerseits ist es also ganz unvermeidbar, dass ein auf EE beruhendes Energiesystem einen viel höheren Flächenverbrauch aufweist als das bisherige Energiesystem – durch den Ausbau von EE-Kraftwerken, aber auch durch die weiteren erforderlichen Infrastrukturelemente wie Speicher und zusätzliche Stromleitungen.
Andererseits ist es offensichtlich, dass die eingangs genannten Kritikpunkte Teil einer allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung sind: Neuen Infrastrukturprojekten – Straßen, Flughäfen, Bahnhöfen, Sendemasten etc. – wird mit viel mehr Vorbehalten begegnet als in der Vergangenheit.
Damit ergibt sich eine grundsätzliche Herausforderung für die Energiewende: Wie kann man mit dem potenziellen Konflikt zwischen steigendem Flächenverbrauch und zunehmender Präsenz von Energiewendetechnik auf der einen Seite und zunehmender Sensibilität der Bevölkerung bezüglich neuer Infrastruktur auf der anderen Seite umgehen?
Die Umsetzung der Energiewende muss offensichtlich so erfolgen, dass der Flächenverbrauch und die konkreten Auswirkungen der Energiewendetechnik auf Mensch und Natur möglichst auf das unvermeidbare Maß begrenzt bleiben. Anders gesagt: Um die gesellschaftliche Akzeptanz auch für die Zukunft beim weiteren Zubau von PV-Anlagen, Windparks, Stromleitungen u. a. nicht zu gefährden, ist es von großer Bedeutung, die Sorgen der jeweils betroffenen Bevölkerung ernst zu nehmen, rational zu beurteilen und in den Planungen als ein wesentliches Kriterium zu berücksichtigen.
Rückblickend wird man konstatieren müssen, dass dieser Herausforderung bis vor ein paar Jahren nicht immer genügend Beachtung geschenkt wurde.
Die Lösung
Bei der zukünftigen Umsetzung der Energiewende ist es eine zentrale Herausforderung, das strukturelle Spannungsverhältnis zwischen naturgegebener hoher Flächenintensität / optischer Präsenz von Energiewendetechniken und den Anforderungen von Gesundheit und Naturschutz angemessen zu berücksichtigen.
Dieser Herausforderung muss man auf zwei Ebenen begegnen.
Zum einen …
gilt es, bei der konkreten Planung von einzelnen Windrädern, Stromtrassen, Speichern die objektiven Auswirkungen dieser Techniken auf die jeweilige Umgebung abzuschätzen und als wesentliches Kriterium in die Standortwahl mit einzubeziehen. Diese Forderung dürfte durch die jetzigen – zum Teil im Zuge der entsprechenden gesellschaftlichen Diskussionen der letzten Jahre neu entstandenen – gesetzlichen Regelungen (vor allem Abstandsregelungen Windräder – Wohnbebauung) und durch moderne Planungsprozesse (Einbeziehung der betroffenen Bürger/ Kommunen im Vorfeld, u. a. beim Bau von Stromleitungen) weitgehend erfüllt sein.
Zum anderen …
geht es darum, bei der Gesamtkonzeption des Energiesystems der Zukunft – neben dem ebenfalls zentralen Aspekt der Kosteneffizienz – sowohl objektive Technikfolgen als auch absehbare Grenzen der gesellschaftlichen Akzeptanz als wesentliche Kriterien zu berücksichtigen.
Was bedeutet das konkret für die Zukunft der Energiewende?
Tabelle: Nutzbare Flächen und damit verbundene Strommengen der EE-Technologien.
Nutzbare Fläche (km2) | Installierbare Leistung (GW) | Mögliche Stromproduktion/a (TWh/a) | |
---|---|---|---|
PV (Freifläche) | 3000 | 150–200 | 150–200 |
Wind (an Land) | 10 000 | 170–200 | 350–400 |
Wind (im Meer) | (im Meer) | 50–60 | 250–300 |
Gesamt | 13 000 | 300–350 | 750–900 |
- An der Tabelle fällt auf, dass auch in der Riege der EE-Technologien die Biogas-Verstromung (mit dem Anbau entsprechender Pflanzen) aus dem Rahmen fällt. Da die vergangenen zehn Jahre gezeigt haben, dass diese Technologie auch von den Kosten her nicht mit PV und Windkraft mithalten kann, wird sie aller Voraussicht nach in Zukunft keine große Rolle mehr spielen. Die entsprechen Flächen (z. Zt. 13 000 km2) werden also weitgehend wieder für andere landwirtschaftliche Nutzungen verfügbar sein. Dasselbe dürfte perspektivisch auch für die Bioethanol-Produkte für den Verkehr gelten (Flächenbedarf z. Zt. 8000 km2), die durch E-Mobilität verdrängt werden (Kap. 5).
- Wenn man strenge Kriterien bezüglich Umweltverträglichkeit und Naturschutz anlegt, Nutzungskonflikte insbesondere mit der Landwirtschaft weitgehend ausschließt und bei der Windkraft einen Mindestabstand von 1500 m zur nächsten Wohnbebauung fordert, dann ergeben sich nutzbare Flächen für die wesentlichen EE-Technologien in Deutschland. Sie sind mit den damit verbundenen möglichen Stromproduktionsmengen in der obigen Tabelle dargestellt.
- Zusätzlich stehen etwa 1000 km2 geeignete Dachflächen für die PV-Nutzung zur Verfügung (= 100–150 GW). Dem Vorteil, dass hierfür keine zusätzlichen Flächen verbraucht werden und es keine Akzeptanzprobleme gibt, steht aber hier – aus heutiger Sicht – der Nachteil deutlich höherer Kosten gegenüber, sodass diese Option nur zum Teil genutzt werden kann.
- Insgesamt also ergibt sich aus diesen Überlegungen ein Maximum der EE-Stromproduktion in Deutschland von etwa 800–1000 TWh pro Jahr; und da in der Praxis nicht alle theoretisch geeigneten Standorte tatsächlich genutzt werden können, dürfte die realistische Obergrenze der EE-Stromproduktion bei 700–800 TWh/a liegen.
- Bei einem Ausbau der EE in dieser Größenordnung sind voraussichtlich neue große Stromtrassen im Umfang von zwischen 5000 und 8000 km erforderlich, d. h. ein Ausbau der Übertragungsnetze um 15–20 %.
Der sich damit ergebende voraussichtliche Flächenverbrauch durch das Energiesystem der Zukunft ist in der fogenden Tabelle dargestellt.
Tabelle: Zusätzliche Flächennutzung durch die Energiewende 2015 (Ist) und 2050 (Erwartung) in km2.
2015 | 2050 | |
---|---|---|
PV (Freifläche) | 300 | 2000–2500 |
Wind (an Land) | 5000 | 8000–9000 |
Neue Stromleitungen | <200 | 1000–1500 |
Biogas/Bioethanol-Pflanzen | 21 000 | 0–5000 (?) |
Energiewende gesamt | 27 000 | 11 000–18 000 |
In % der Landesfläche | 8 % | 3-5 % |
Bisheriges Energiesystem | 8000 | 7000 |
Bei diesen Zahlen ist zu beachten, dass die mit Windparks und Überlandleitungen belegten Flächen größtenteils weiter für die Landwirtschaft/Forstwirtschaft nutzbar sind, also keinen Flächenverbrauch im engeren Sinne darstellen. Aber selbst wenn man diesen Aspekt unberücksichtigt lässt: Auch in einem dicht besiedelten Land wie Deutschland sollte es möglich sein, für ein für die Zukunft des Landes und der Welt so entscheidendes Thema wie die Energiewende einige wenige Prozent der Landesfläche zur Verfügung zu stellen – auch wenn dies in der Tat das Landschaftsbild in nicht wenigen Regionen Deutschlands verändert.
Fazit: Geopferte Landschaften?
- EE-Kraftwerke benötigen ein Vielfaches mehr an Platz als konventionelle Kraftwerke. Hinzu kommt, dass die Energiewende weitere neue Infrastrukturelemente benötigt, insbesondere neue Stromleitungen im Übertragungsnetz von Nord nach Süd.
- Dies führt nicht nur zu optischen Beeinträchtigungen des gewohnten Landschaftsbildes, sondern auch zu Auswirkungen auf die umgebende Natur und – insbesondere in der unmittelbaren Umgebung von Windrädern – zu potenziellen Gesundheitsgefahren. Zudem steht die deutsche Bevölkerung generell großen Infrastrukturvorhaben zunehmend skeptisch gegenüber.
- Um die gesellschaftliche Akzeptanz der Energiewende nicht zu gefährden, müssen die Technikfolgen und die subjektiven Sorgen von betroffenen Bürgern ernst genommen, rational beurteilt, beantwortet und bei der konkreten Planung von EE-Kraftwerken/Stromleitungen mit einbezogen werden.
- Die Berücksichtigung dieser Aspekte führt dazu, dass dem Ausbau der EE-Stromerzeugung im Verhältnis zum theoretischen Potenzial relativ enge Grenzen gesetzt sind: Im Energiesystem der Zukunft werden voraussichtlich zwischen 600 und 800 TWh PV- und Windstrom in Deutschland erzeugt – gegenüber 160 TWh aktuell.
- Dies reicht jedoch aus, um die Energiewende erfolgreich durchzuführen und die zugrunde liegenden Klimaschutzziele zu erreichen (Kap. 7).
- Auf die besonders flächenintensive und zum Teil in der Kritik des Naturschutzes stehende Stromerzeugung aus Biogas kann in Zukunft verzichtet werden.
- So konzipiert, benötigt die Energiewende nur etwa 3–5 % mehr Landesfläche als das bisherige Energiesystem.
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