Die Macht unseres Erbguts: Genetische Fingerabdrücke, Tatorte und persönliche Medizin
Sie hatten an alles gedacht, den schnellsten Fluchtfahrer, lustige Clownsmasken zur Tarnung und das beste Ablenkungsmanöver der Welt. Und trotzdem klingelt gerade die Polizei an Ihrer Türe – hat Sie da der verdammte Ede verpfiffen – oder könnten Ihre Gene schuld an diesem missglückten Banküberfall sein? Der genetische Fingerabdruck – einerseits die modernste Technik, andererseits ein alter Hut – ist aus heutigen Kriminalromanen, Krimiserien und natürlich der richtigen Polizeiarbeit nicht mehr wegzudenken. Es ist aber auch höchst beeindruckend, was unsere Forensiker leisten können. Darum zunächst einmal ein Überblick, wie man so einen molekularen Abdruck untersuchen kann – sprich, wie würde so eine kriminologische Untersuchung ablaufen?
Wie eingangs erwähnt, ist das Genom eines Menschen etwas Einmaliges und es liegt in jeder unserer Körperzellen vor. Da so eine Körperzelle mit einigen Mikrometern nicht sonderlich groß ist, kann es gut sein, dass man am Tatort die eine oder andere davon zurücklässt. Sei es in Form von Blut, Haaren, Hautabrieb, Sperma oder Spucke an der Zigarettenkippe. Unter großer Vorsicht vor Verunreinigung wird versucht, die DNA vom Tatort zu untersuchen und ihrem Besitzer zuzuordnen. Die DNA wird dabei genotypisiert. Das bedeutet, man betrachtet bestimmte Abschnitte im Genom, von denen bekannt ist, dass sie sehr variabel vorliegen. Dies kann sich entweder in den schon bekannten Polymorphismen wie den SNPs zeigen oder aber auch in kurzen Wiederholungssequenzen, sogenannten »short tandem repeats« (STRs). Diese STRs sind kleine Abschnitte von 2–10 Basen, die sich allerdings öfters wiederholen.
Ein Beispiel gefällig? GATC GATC GATC GATC wären 4 Wiederholungen eines STRs. Solche Repeats (Wiederholungen) können dutzend oder hundertfach vorliegen. Und die Anzahl an Wiederholungen ist auch ganz individuell von Person zu Person. Die Genabschnitte, die man sich bei solch einer Untersuchung ansehen sollte, müssen einerseits sehr variabel sein, andererseits sollten hier keine Gene oder relevante Information liegen. Wenn man nun einige (8–15) solcher Polymorphismen und Abschnitte des am Tatort gefundenen Genoms betrachtet hat, dann widmet man sich den potenziellen Tätern – manches Mal werden sogar Massenuntersuchungen an hunderten von Personen durchgeführt. Jeder Verdächtige gibt seine eigene DNA ab und auch diese wird an genau denselben Stellen im Genom untersucht wie die DNA vom Tatort. Wenn nun an einer oder zwei Stellen die SNPs oder die Länge der STRs der DNA vom Tatort mit dem Genom einer verdächtigen Person übereinstimmen, dann könnte das natürlich einfach nur Zufall sein. Aber wenn nun die Untersuchung aller Stellen zu 100 % eine Übereinstimmung ergibt, dann kann man den Verdächtigen durchaus mit der Frage konfrontieren: Wie zum Geier kam Ihre DNA an den Tatort? Eine tolle Technik, die man heute auch einsetzt, wenn es um die Identifikation einer gefundenen Leiche bzw. der Opfer nach einem Flugzeugabsturz geht.
Ein Vaterschaftstest läuft im Übrigen auch nach genau diesem Schema ab – nur wird natürlich hierbei die DNA des Vaters mit der des Kindes verglichen. Wenn Sie nun gut aufgepasst haben, werden Sie wissen, dass in diesem Falle keine 100-prozentige Übereinstimmung der SNPs oder STRs vorliegt, denn das Kind hat ja die Hälfte der Erbinformation der Mutter zu verdanken. Darum müssen die Sequenzen der DNA der Mutter auch mit in das Untersuchungsergebnis einfließen.
In diesem Zusammenhang sei noch auf eine weitere Besonderheit hingewiesen. Es ist schon vorgekommen, dass im Anschluss an ein Gewaltverbrechen ein Massengentest durchgeführt wurde. 1000 Menschen gaben DNA-Proben (freiwillig) ab – aber keine passte zur DNA vom Tatort. Allerdings passte eine DNA fast zu der gefundenen – nur an 2 oder 3 Stellen von 15 untersuchten gab es einen Unterschied. Kann dies auch nur dem Zufall geschuldet sein? Theoretisch ja – Zufälle passieren, sonst gäbe es nicht jede Woche einen neuen Lottomillionär. Wenn wir aber all unser erarbeitetes Wissen aus unserem Gedächtnis herauskramen, könnten wir auch auf den Gedanken kommen, dass die beinahe passende DNA von einem engen Verwandten des Täters herstammen könnte – sei es ein Geschwister, Elternteil oder Cousin. Eine Untersuchung der DNA von Familienangehörigen könnte also Auskunft liefern – allerdings ist solch ein erweitertes DNA-Screeningverfahren in Deutschland nicht erlaubt.
Zukünftige Untersuchungen könnten sogar noch weitergehen. Bislang haben wir ja nur Abschnitte im Genom betrachtet, die zwar zur Identifikation einer Person geeignet sind, sonst jedoch keine weitere Information liefern. Wenn wir uns an das vorangegangene Kapitel erinnern, wissen wir bereits: Die am Tatort zurückgelassene DNA könnte uns eine große Fülle an weiteren Hinweisen auf den Täter liefern. Wir haben gesehen, dass unterschiedliche Polymorphismen unterschiedlich in der Bevölkerung verteilt sind. Weiterhin haben wir vernommen, dass abweichende Basen in Ihrer DNA bedeuten könnten, dass Sie beispielsweise lockiges Haar oder dunkle Augen besitzen.
Findige Forensiker haben inzwischen Testreihen entworfen, mit denen es möglich ist, genau solche Informationen aus der DNA zu lesen. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass solcherart Untersuchungen das deutsche Rechtssystem verbietet (z. B. § 81g StPO). Aber stellen Sie sich einmal den Tatort der Zukunft vor. Ein Gewaltverbrechen ist geschehen – und als einziges Indiz am Ort des Geschehens findet man einen Tropfen Blut. Vermutlich stammt dieser vom Täter. Was könnten wir theoretisch aus dem gefundenen Tropfen Blut bzw. der daraus isolierten DNA ablesen? Zunächst einmal ganz banal: Ist mein Täter ein Mann oder eine Frau? Ein Blick auf unsere beiden Geschlechtschromosomen X und Y genügt.
Erzählen uns die Gene des potenziellen Täters aber nicht noch viel mehr? Wir haben gesehen, dass das Merkmal Körpergröße sehr komplex vererbt wird – dadurch ist es nur bedingt geeignet, in solch einem Test Auskunft über die Statur des Täters zu geben. Dennoch könnten wir Hinweise im Genom darauf finden, dass wir es mit einer eher großen oder kleinen Person zu tun haben.
Mithilfe von Polymorphismen auf z. B. der mitochondrialen DNA kann man etwas über die Herkunft des Täters erfahren. Manche Varianten kommen nur bei Asiaten, bei Afrikanern oder auch nur bei Aborigines vor. Diese Tatsache macht sich heutzutage auch die Genealogie zunutze, um Verwandtschafts- und Abstimmungsbeziehungen zu betrachten. Auf die Kriminalistik der Zukunft bezogen könnte man jedoch mit solch einer Information bestimmte Personenkreise aus dem Fahndungsraster nehmen bzw. den Fokus in eine konkrete Richtung lenken.
Ein standardisierter Test von bis zu 24 SNPs in Genen wie das OCA2, HERC2 oder MC1R erlaubt es uns, Aussagen über die Augen-, Haar- oder Hautfarbe des potenziellen Täters zu machen. Die Liste an zu untersuchenden Merkmalen ist natürlich noch weit ausbaubar und wird in den nächsten Jahren mit Sicherheit enorm erweitert werden. Und dabei haben wir Hinweise auf drastischere Erbkrankheiten noch gar nicht mit in das Ergebnis einfließen lassen – man könnte ja beispielsweise auch aus der Täter-DNA herauslesen, ob sie von einer Person mit Zwergenwuchs oder Albinismus stammt.
Zum Abschluss unserer Tatortuntersuchung wollen wir noch einen weiteren Schritt in die Zukunft wagen. Eine noch ganz am Anfang stehende Technik ist die Vorhersage der Gesichtsmorphologie aus der DNA. Nun ist es natürlich so, dass ein komplexes Merkmal wie unser Gesicht stark von äußeren Umwelteinflüssen bestimmt wird. Ist eine Person dick oder dünn, Raucher oder wind- und wettergegerbter Seemann, hatte sie einen Nasenbruch oder Schönheits-OPs usw.? Aber es gibt durchaus auch prägnante Merkmale in der äußeren Erscheinung einer Person, die auf unsere Gene zurückzuführen sind und die man hofft, aus der DNA ablesen zu können. Es wurde also die Gesichtsmorphologie der Probanden vermessen, z. B. der Augenabstand, die Breite/Länge des Gesichts, die Größe des Philtrums, die Länge der Nase oder Weite des Mundes. Dazu wurden wieder einmal parallel das Genom untersucht und Korrelationen zwischen den optischen Merkmalen und der DNA gesucht – und zum Teil auch gefunden! Anhand dieser gefundenen SNPs wurden dann dreidimensionale Gesichter am Computer erstellt und mit dem Original – sprich einem Foto der Person – verglichen. Und auch wenn die momentane Technik noch sehr, sehr weit davon entfernt ist, anhand der DNA-Information ein exaktes Bild eines Menschen zu erstellen – das eine oder andere errechnete Bild hätte schon als Wanted-dead-oralive-Steckbrief herhalten können!
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