Leseprobe »Explodierende Zahnplomben und vergiftete Pralinen«: Der kriminelle Affenforscher
Kennen Sie »Breaking Bad«? In der preisgekrönten Fernsehserie fabriziert ein braver Chemielehrer namens Walter White mithilfe von Gerätschaften aus dem Schullabor heimlich Rauschgift, gerät immer mehr auf die schiefe Bahn und wandelt sich im Laufe der Zeit zu einem skrupellosen Drogenboss und Mörder. Das 62-teilige TV-Drama gilt neben »Die Sopranos« als »beste Krimiserie aller Zeiten« – wohl auch, weil das Szenario so grotesk übertrieben ist.
Übertrieben? Keineswegs. Es gibt ein reales Vorbild für »Walter White«: den New Yorker Anthropologen und Institutsleiter John Buettner-Janusch. Der namhafte, international geschätzte Spitzenforscher musste dreimal hinter Gitter und starb als rückfälliger Schwerverbrecher in einer Gefängniszelle.
Aber war Buettner-Janusch wirklich ein Krimineller? Mit Sicherheit war er ein schräger Vogel, der gerne aneckte – doch es ist gut möglich, dass er einer Intrige zum Opfer fiel, ausgeheckt von kriminellen Kollegen. Legten missgünstige Mitarbeiter falsche Spuren, um einen unschuldigen Hochschullehrer zu denunzieren und sich selbst aus der Schusslinie zu bringen? Ob zu Recht oder fälschlicherweise: Buettner-Janusch wurde verurteilt und lief Amok, als sein Leben bereits in Scherben lag.
Der Sachverhalt wirft Fragen auf. Es wäre nicht das erste Mal, dass die amerikanische Justiz fatal versagte. Speziell in diesem Fall deutet einiges darauf hin.
Wer also war John Buettner-Janusch?
Als Kriegsdienstverweigerer hinter Schwedischen Gardinen
Geboren 1924 in Chicago und aufgewachsen im Provinzkaff Eagle River, Wisconsin, gab sich der Halbwüchsige als kulturverliebter Snob. Er hörte im Radio Opern und nervte seine Dorfschulkameraden mit blasiertem Getue. Wenn man dann auch noch alles besser weiß und unbedingt »B-J« genannt werden möchte, um Weltläufigkeit zu demonstrieren, sitzt man im Klassenzimmer bald allein auf der Bank.
Der Architektensohn aus der Großstadt galt unter den knapp 1400 Einwohnern von Eagle River bald als seltsamer Freak. Dass er, kaum volljährig, auch noch mit dem Gesetz in Konflikt kam, passte da ins Bild. Nein, er hatte kein Auto geklaut oder jemandem im Streit die Nase gebrochen. Für amerikanische Verhältnisse stellte Buettner-Janusch etwas sehr viel Schlimmeres an: Er verweigerte den Dienst beim Militär.
Oje, ein Pazifist. Galt es doch in den USA schon immer als eine der ehrbarsten Eigenschaften, für sein Land in den Krieg zu ziehen und dabei sein Leben aufs Spiel zu setzen. Kaum etwas begeistert Patrioten zwischen South Carolina und Oregon mehr als amerikanische Soldaten unter dem Star-Spangled-Banner im feindlichen Kugelhagel. Auch damals schon, in den golden days of radio, wärmte es die Herzen der Zuhausegebliebenen, wenn aus dem Röhrenempfänger Marschmusik und heldenhaftes Schlachtengetöse dröhnte. Mit dem Kriegseintritt der Vereinigten Staaten im Dezember 1941 sorgte die US-Regierung daher für flächendeckenden Enthusiasmus: In den folgenden dreieinhalb Jahren wurden per Dekret fünf Millionen GIs für den Kampf gegen das Naziregime zwangsrekrutiert und über den Atlantik gekarrt, um dort heldenhaft das Leben zu lassen. Bis zum Mai 1945 sollten 407.316 tote und 672.801 verwundete USA-Soldaten zu Buche stehen.
Einige Amerikaner – knapp sechstausend, unter ihnen Buettner-Janusch – waren jedoch nicht bereit, fernab ihrer Heimat von Stahlhelm-tragenden Krauts massakriert zu werden. Um damit durchzukommen half nur beten: Strenggläubigen Quäkern und Mennoniten war es erlaubt, den Dienst mit der Waffe zu verweigern.
Bei B-J kamen religiöse Gründe allerdings nicht infrage. Er war Atheist. Für Mitarbeiter des US-Militärs war dies vermutlich schlimmer als Nazi oder Langhaarigkeit.
Der junge John soll zu jener Zeit ein orientierungslos und unmotiviert wirkender Teenager gewesen sein. Ob ihm klar war, dass man den Einberufungstermin zur US Army nicht einfach ignorieren darf? In den patriotischen 1940er-Jahren kam für einen wie ihn nur Arrest infrage. John Buettner-Janusch, Sohn aus gutbürgerlichem Haus: drei Jahre Haft – der Nächste bitte! Nach sechs Monaten gewährte man Bewährung, und er durfte seine Reststrafe in Form von Zivildienst ableisten.
Keine gute Idee! B-J landete im staatlichen Krankenpflegedienst, soll jedoch bemerkenswert ungeeignet dafür gewesen sein. Die Leiterin einer psychiatrischen Pflegeschule beschrieb ihn als »very sick boy«, den man nie in einer derartigen Einrichtung hätte einstellen dürfen (Kobel 2013). Ein Kollege meinte gar, Buettner-Janusch sei geisteskrank und benötige selbst dringend professionelle Hilfe. Normale Angestellte hätte man umgehend von ihrem Posten entfernt. Beim widerspenstigen Protestler B-J ging das natürlich nicht, denn dieser war von den Militärbehörden ja explizit zu seinem Sanitätsjob genötigt worden. Ob Buettner-Janusch damals bewusst war, dass es ihn auch schlimmer hätte treffen können?
Im Krieg gegen Hitler-Deutschland war der Staat nicht zimperlich, auch nicht mit den eigenen Leuten. Immerhin 49 amerikanische GIs wurden damals wegen Fahnenflucht sogar zum Tode verurteilt und einer von ihnen, der 24-jährige Eddie Slovik, kurz vor Kriegsende auch tatsächlich standrechtlich erschossen. Sloviks Gnadengesuch war 1944, einen Tag vor Heiligabend, vom Fünfsternegeneral und späteren US-Präsidenten Dwight Eisenhower höchstpersönlich abgelehnt worden. Fünf Wochen später wurde der junge Mann bei Sainte-Marie-aux-Mines in den französischen Vogesen mit elf Gewehrkugeln exekutiert und in einem anonymen Grab neben hingerichteten Mördern und Vergewaltigern beigesetzt.
Erst danach kam man zu der Einsicht, dass Exekutionen wegen Ungehorsams die Motivation junger Soldaten nicht unbedingt erhöhen: Die restlichen 48 zum Tode verurteilten Fahnenflüchtigen des Zweiten Weltkriegs entließ man nach Kriegsende diskret aus ihrer Haft.
Nach zehn Jahren Herumtrödelei locken die Affen
Auch Buettner-Janusch überstand seinen Zwangsdienst ohne Kratzer. Niemand konnte ahnen, dass der unpatriotische, aber hochintelligente Eigenbrötler Jahrzehnte später wegen schwerer Drogenkriminalität und mehrfachen Mordversuchs erneut hinter Gitter wandern würde.
Noch aber war es nicht soweit. 1947 ins Zivilleben entlassen, kehrte B-J in seinen Geburtsort Chicago zurück und studierte die ganze Palette der Naturwissenschaften: Physik, Chemie, Biologie, Geologie. Dass aus ihm einmal eine große Nummer der Anthropologenzunft werden sollte, ließ er in jener Zeit allerdings noch nicht erkennen.
Im Gegenteil. Was B-J über die Jahre in seinen Klausurprüfungen ablieferte, war durchwegs mäßig und phasenweise sogar grottenschlecht. Vermutlich lag es an seiner tief verwurzelten Renitenz gegen Autoritäten, kombiniert mit Faulheit und einer furchtbar krakeligen Handschrift, die schon seit frühesten Grundschulzeiten nahezu unleserlich war: In Mathematik versagte er gänzlich, in Chemie waren die Zensuren auch nicht berauschend. Nein, mit schulischen Glanzlichtern konnte B-J nicht dienen. Kein frühreifer Geniestreich – nichts, was einen Pädagogen hätte beeindrucken können. Im September 1949 gelang ihm immerhin ein halbwegs passabler Bachelor-of-Science-Abschluss (B.S.). Er hatte sich mittlerweile auf Biologie spezialisiert.
Und dann muss irgend etwas passiert sein.
Ein Schlüsselerlebnis, ein später Heureka-Moment? Der bis dahin mittelprächtige Student Buettner-Janusch blühte unvermittelt auf und offenbarte plötzlich ungeahnte Talente. Gut möglich, dass es an einem Professor lag: dem Anthropologen Sherwood Washburn (1911–2000), von seinen Freunden »Sherry« genannt. Dieser befasste sich an der University of Chicago mit der Anatomie von Primaten und deren Verhalten. Der zoologisch interessierte Pfarrerssohn gilt heute als einflussreichster US-Anthropologe der Nachkriegszeit; schon damals besaß Washburn in der Evolutionsforschung einen Ruf wie Donnerhall und inspirierte Größen der Zunft, etwa die kenianische Urmensch-Legende Louis Leakey, die britische Verhaltensforscherin Jane Goodall und die »Gorillas-im-Nebel«-Berühmtheit Dian Fossey.
Anfang der 1950er-Jahre nahm Washburn den 13 Jahre jüngeren Buettner-Janusch unter seine Fittiche und machte ihn zu einem seiner Laborassistenten. Der prominente Förderer und die experimentelle Arbeit mit Pavianen weckten bei Buettner-Janusch die Begeisterung für die zoologische Grundlagenforschung.
Beim Vater der modernen Primatenforschung
In Chicago, der »Windy City« am Michigansee, arbeitete B-J fortan beim Vater der modernen Primatenforschung. Immer wieder ermahnte Washburn seinen Zögling, bei der Rekonstruktion der menschlichen Ursprünge nicht nur verstaubte Fossilien zu vergleichen, so wie es Generationen von Anthropologen vor ihnen getan hatten. Nein, auch das Verhalten und die Lebensweise heute lebender Affen galt es für das evolutionäre Gesamtbild zu berücksichtigen.
Washburn wiederum war ein ehemaliger Mitarbeiter des russischstämmigen Evolutionstheoretikers Theodosius Dobzhansky (1900–1975) – und der war noch einmal ein ganz anderes Kaliber: Dobzhansky darf man jederzeit selbst mit Gottvater Darwin in einem Satz nennen.
Eines ist allen Anthropologen und Evolutionsbiologen gemeinsam: Es sind wirklich recht seltsame Leute. Dobzhanskys Lieblingsbeschäftigung seit frühester Jugend etwa war es, pausenlos Motten, Fliegen und Käfer zu sammeln und aufzuspießen. Die Begeisterung in der Familie kann man sich vorstellen. Mit 24 heiratete er (natürlich fiel die Wahl auf eine Biologin), und die gemeinsame Tochter Sophie, geboren 1933, erforschte später die Kulturgeschichte der Mayas und der Schokolade, häufte eine beeindruckende Kochbuchsammlung von knapp tausend Exemplaren an und hielt sich als Haustier eine Vogelspinne.
Leser populärer Sachbücher kennen sicherlich auch Dobzhanskys berühmtes Zitat »Nothing in biology makes sense except in the light of evolution.« Kaum dass er im Jahr 1927 in die USA emigriert war, lieferte der Exilrusse ein halbes Jahrhundert lang ein Feuerwerk bahnbrechender Beiträge zum Verständnis der Evolution und deren Mechanismen. Er fand zum Beispiel heraus, wieso fast zwangsläufig neue Arten entstehen, wenn Populationen lange genug räumlich voneinander getrennt leben, und warum sich Individuen einer neuen Spezies nicht mehr mit Mitgliedern der Ursprungsart paaren können. Dobzhansky hatte in den 1930er-Jahren im legendären »Fliegenraum« der Genetik-Koryphäe Thomas Hunt Morgan (1866–1945; Nobelpreis 1933) das knifflige Handwerk der experimentellen Vererbungslehre erlernt. Später arbeitete er mit den nicht minder prominenten Evolutionsbiologen Ernst Mayr (1904–2005) und J. B. S. Haldane (1892–1964) zusammen.
Und Buettner-Januschs Chef kannte all diese berühmten Leute! Sherwood Washburn konferierte und diskutierte mit ihnen, schickte ihnen seine Forschungsergebnisse, und wenn einer von ihnen nach Chicago kam, dann lud sein Boss den hohen Besuch nachmittags ins Affenhaus und abends ins Restaurant ein.
Der Student B-J konnte da nur staunen. Immerhin aber war auch er selbst, als Mitarbeiter Washburns, ein kleines Rädchen im Getriebe der internationalen Biowissenschaften. Seite an Seite mit »Sherry« arbeitete er mitten im Epizentrum der Evolutionsforschung, in Tuchfühlung mit der internationalen Creme-de-la-Creme der fähigsten Populationsgenetiker und Darwinisten des Erdballs. So viel Glück muss man erst mal haben! B-J hätte sich schon extrem dumm anstellen müssen, um jetzt noch beruflich zu scheitern.
Prompt trödelte er wieder herum: Volle acht Semester benötigte er, bis er 1953 endlich seinen Master-Abschluss hinbekommen hatte – und damit fast doppelt so lange wie die meisten seiner Altersgenossen. Erst mit 29 war Buettner-Janusch mit dem Studium fertig. Andere waren da schon Professor. Wenigstens mit der Liebe hatte er es flotter hinbekommen: B-J und eine Mitstudentin, die Biochemikerin Vina Mallowitz, waren ein Paar. Vina sollte auch seine engste und wichtigste Mitarbeiterin werden – ehe sie plötzlich starb, an aggressivem Krebs mit kurzer Restlebensdauer.
Doch noch schien alles rosarot in jenem Jahr, in dem erstmals der Mount Everest bestiegen wurde und Watson und Crick die Doppelhelixstruktur der DNA herausknobelten. Die Beziehung zwischen B-J und seinem Mentor Washburn hingegen kühlte sich ab. Die Gründe sind unklar. Noch viel rätselhafter erscheint es, wieso der einstige Kriegsdienstverweigerer und Antimilitarist plötzlich seine Doktorarbeit schleifen ließ und sich stattdessen bei der US-Army, die im Koreakrieg gegen die Kommunisten kämpfte, um einen zivilen Job in einer Nachschubeinheit bewarb.
Das einzig Beständige in John Buettner-Januschs Leben war seine Unbeständigkeit. Er schaffte es mühelos, seine Mitmenschen immer wieder vor den Kopf zu stoßen.
Mal hier, mal dort, mal anderswo – und immer trödelig
Er blieb dann doch im akademischen Gewerbe, wechselte aber den Ort und immer wieder auch das Forschungsgebiet: Von Chicago ging’s über Illinois, wo er ein steinzeitliches Indianerdorf ausgrub, weiter nach Salt Lake City und schließlich an die University of Michigan. Im September 1957 durfte sich Buettner-Janusch endlich »Doktor« nennen. In seiner Dissertation beschrieb er, wie die damals bekannten Blutmerkmale in bestimmten Bevölkerungsgruppen verteilt sind.
Nach akademischen Maßstäben war für den Mittdreißiger der Karrierezug längst abgefahren. Selbst die Russen hatten es schneller geschafft, ihre erste Interkontinentalrakete flugreif zu bekommen, als Buettner-Janusch seine Doktorarbeit. Joshua Lederberg und Robert Furchgott zum Beispiel – amerikanische Forscherlegenden mit ähnlichem Geburtsjahr wie Buettner-Janusch – erlangten schon im zarten Alter von 22 beziehungsweise 24 den höchsten akademischen Grad und erreichten lange vor dem 30. Lebensjahr auch ihre kreativsten und produktivsten Phasen als Wissenschaftler. Wer hingegen in den USA beim Studieren bummelt und wie B-J erst mit 33 Jahren seine erste Fachveröffentlichung einreicht, der hat sich aus dem Rennen um Fördergelder und wissenschaftliche Meriten längst verabschiedet und sollte sich besser mit einem Job außerhalb der Forschung anfreunden.
Buettner-Janusch, selbstbewusst wie ein Salamibrötchen im Veganerbistro, war das wurst. Okay, er hatte knapp zehn Jahre länger als seine Kommilitonen an der Uni herumgetrödelt und auch die geradezu einmalige Chance, seine Beziehungen zu nutzen und dank seines prominenten Umfelds karrieretechnisch zu punkten, ungenutzt verstreichen lassen – doch den Traum von einer erfolgreichen Laufbahn als Bioforscher würde er sich schon noch erfüllen. Seinen wissenschaftlichen Claim hatte er immerhin bereits abgesteckt: Blut – das »flüssige Gewebe« aller Wirbeltiere – rätselhaft, lebenswichtig, und zahllose unerforschte Geheimnisse in sich bergend.
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Leider endet die Leseprobe an dieser Stelle. Das Buch bietet den Rest des Kapitels und die Geschichten anderer Wissenschaftlerinnen und Wissenschafter.
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