Leseprobe »Die Stimme des Bodens«: Waldboden
6.1 Nährstoffe auf dem Holzweg
Wechseln wir von den Hochhaus-Wäldern eurer Städte mal rüber in die wirklichen Wälder, in das Meer aus Bäumen und das Farbenspiel aus braun-grünen Schattierungen. Was verbindest du mit Wald?
Vermutlich kommen dir da als Erstes eben genau die vielen Bäume in den Sinn. Ist ja auch kein Wunder, machen sie per Definition einen Wald doch erst zum Wald. Doch auch hier lohnt sich ein Blick unter die Oberfläche, in den Waldboden.
Ohne Boden kein Wald – doch ohne Wald auch kein Boden. Denn insbesondere mit den Bäumen verbindet mich eine lange Freundschaft. Dank der Kraft ihrer Wurzeln konnte ich an vielen Stellen dieser Welt überhaupt entstehen. Sie knackten den Fels und bereiteten den Grund, auf dem meine Bodenbildung ihren Lauf nehmen konnte. Gleichzeitig halten die Wurzeln mich fest, wenn Wind und Wasser versuchen, mich fortzutragen.
Auch beim Waldboden handelt es sich lediglich um einen Oberbegriff, den einen Waldboden gibt es nicht. Genau wie im Garten oder auf dem Acker können sich im Untergrund eines Waldes viele verschiedene Mitglieder meiner Bodenfamilie verbergen, wenngleich sie dort nicht zwingend durch euch Menschen geprägt sein müssen. Fast jedes Familienmitglied kann zum Waldboden werden, einfach dadurch, dass viele Bäume auf ihm wachsen. Je nach Untergrund unterscheiden sich die Wälder, sofern der Mensch nicht mit groß angelegten Pflanzaktionen dazwischenfunkt.
Biete ich beispielsweise einen sandigen Untergrund, stehen für die Bäume eher weniger Nährstoffe auf der Speisekarte als auf einem tief verwitterten Kalkstein. Auch meine Fähigkeit, Wasser zu speichern, ist bei meinen sandigen Familienmitgliedern nur eingeschränkt vorhanden. Nicht zuletzt durch den Einfluss von saurem Regen liegt mein pH-Wert dort häufig eher im unteren Bereich, was die Zielgruppe für meinen Waldbewuchs noch weiter einschränkt. Säuretolerante Nadelbäume führen mit ihrer eigenen sauren Streu dann oft zu einer Endlosschleife an weiterer Versauerung.
Haben die ersten Bäume ihre Wurzeln hingegen in einen Untergrund geschlagen, der in früheren Zeiten als Kalkfelsen aus der Landschaft hervortrat, präsentiert sich der Wald in einer ganz anderen Vielfalt: Verschiedenste Laubbäume, Sträucher, Gräser und Moose prägen das Bild bei deinem Waldspaziergang. Sogar Orchideen fühlen sich an solch verkalkten Orten wohl. Aus den massiven Felsen hat mich die Natur über Jahrhunderte und Jahrtausende geformt. Kalk wurde durch den Regen in kleinen Portionen aufgelöst, zurück blieben feinste, tonige Mineralkörner, die als Speisekammer für Nährstoffe ein vielfältiges Buffet für die pflanzlichen Waldbewohner bereithalten. Die Buchen zählen zu den Liebhabern solcher Standorte mit kalkiger Historie.
Im Wald kann ich mich meist ungestört entwickeln. Und mit ungestört meine ich dabei, dass nicht dauernd jemand in mir herumgräbt – von Dachs oder Fuchs mal abgesehen. Wo der Mensch die Erdoberfläche nicht für Siedlungsbau, Land- oder Forstwirtschaft nutzt, dürfen die Bäume im engen Verbund stehen bleiben und so die waldigen Flächen in der Landschaft bilden. Dementsprechend gut funktioniert im Wald auch noch die Kreislaufwirtschaft der Nährstoffe, wie du am Beispiel einer Buche sehen kannst:
Visier eines fleißigen Eichhörnchens, das gerade dabei ist, seine Wintervorräte anzulegen. Und so bleibt die Buchecker nicht lange in der Gegend liegen, sondern findet schon bald dank der Pfotenkraft des Nagetiers seinen Weg in meinen Untergrund. Je nach Gedächtnis des Eichhörnchens wird aus der Buchecker im Winterhalbjahr dann entweder ein nährstoffreicher Snack oder sie bekommt die Chance, Grundstein eines neuen Buchenbaums zu werden. Dann beginnt sie in der Dunkelheit zu keimen. Millimeter für Millimeter reckt sich der kleine Buchen-Keimling in die Höhe, immer auf der Suche nach dem Sonnenlicht, und durchbricht schließlich meine Oberfläche. Ab dann gibt es kein Halten mehr, die kleine Buche streckt sich der Sonne entgegen und gräbt gleichzeitig ihre noch feinen Wurzeln immer fester in mich ein. Sie zieht die Nährstoffe aus mir heraus, um sie in Buchenkraft zu verwandeln, die Stamm und Äste langsam, aber sicher stärker werden lässt. Die ersten kleinen Blätter färben sich im Frühling grün am Buchengerüst und leisten ihren ersten Beitrag zur Sauerstoffproduktion. Gen Herbst ist die Aufgabe der Blätter erfüllt und sie lassen sich müde und braun zu Boden fallen, ähnlich wie es zuvor die Buchecker getan hat. Doch unten angekommen ist ihr Job noch nicht erledigt. Auch müde und braune Blätter sind nichts anderes als kleine Nährstoffdepots, die, am Boden angekommen, gleich in die Weiterverwertung gehen. Meine Bodenbewohner machen sich direkt ans Werk und folgen dem Leitspruch »aus Alt mach Neu«. Regenwürmer ziehen einzelne Blätter in ihre Röhren, Asseln und Hornmilben zerkleinern die Blätter in mundgerechte Häppchen, und über alles, was sie nicht verputzen, machen sich anschließend Bakterien und Pilze her. Je fleißiger meine Bodenbewohner dabei zur Tat schreiten, desto geringer ist die Laubdecke an meiner Oberfläche und umso mächtiger mein humoser Oberboden. Wo sich hingegen die Blätter oder Streu der letzten Jahre im Wald in die Höhe türmen, wird auch der zufällig vorbeikommenden Wandergruppe klar, dass die Kreislaufwirtschaft der Natur an dieser Stelle ziemlich in Verzug geraten ist. Die Arbeitsbedingungen für die unterirdische Bodencrew sind dann ganz offensichtlich nicht optimal, sei es durch einen zu geringen pH-Wert, zu wenig Niederschlag oder zu kalte Temperaturen.
Doch ob schnell oder langsam – aus dem Laub der Bäume entsteht nach und nach eine Humusschicht, die dank meiner vielen tierischen Tiefbauingenieure und Tunnelgräber gut mit meinen steinigen Bestandteilen vermischt wird. Und genau dieser Humusboden ist anschließend wieder Nahrungsquelle für die Buche, wenn sie im neuen Jahr Kraft braucht, um ihr grünes Kleid erneut anzulegen. Der Humus kann dabei noch viel mehr, stellt er doch auch einen wichtigen Speicher für Kohlenstoff dar. Was in früheren Zeiten die Bäume des Waldes an Kohlenstoffdioxid aus der Umgebungsluft aufgenommen und dank Photosynthese in ihren pflanzlichen Körper eingebaut haben, wird nach dem Lebensende eines Buchenblattes oder gar eines ganzen Baumes mit der Humusbildung schließlich eine Etage weiter unten im Boden fixiert. Dank des jährlichen Laub-Nachschubs wundert es dann auch nicht, dass im Waldboden mehr Kohlenstoff gespeichert ist als in den Waldbäumen selbst.
Kommen wir aber noch mal zurück zu unserem Beispiel-Nährstoff aus der Buchecker: Er befindet sich auf einer endlosen Reise aus dem Boden, über die Wurzeln eines Baumes, voran bis in die grünen Blattspitzen, um im Herbst auf Sinkflug wieder auf dem Waldboden zu landen, wo die Reise von vorne beginnt. Der Nährstofftransport erfolgt dabei in der Regel schwimmend. Gelöst im Wasser machen sich die nahrhaften Molekülpakete auf den Weg von mir in die Pflanze. Und über diese Verbindungsstraßen wird einiges bewegt. Im Sommer können das auf einem Hektar Wald schon mal schnell 30.000 L an nur einem Tag sein, die die durstigen Bäume aus mir heraussaugen. Wenn meine Speicher da nicht gut gefüllt sind, sitzen die Bäume schnell auf dem Trockenen.
6.2 Was meine Welt im Innersten zusammenhält
Nicht jede Pflanze kann mit ihren Wurzeln ihren benötigten Bedarf an Nährstoffen und Wasser so einfach aus mir herausziehen. Manche Stoffe bleiben lieber im Boden, als sich durch eine Baumwurzel aufnehmen zu lassen. Andere Nährstoffe oder Wasser sind vielleicht zu weit entfernt, sodass der Baum sie auch dann nicht erreichen kann, wenn er seine Wurzeln meterweit in der Gegend ausbreitet. Das unterirdische Wurzelwerk eines Baumes kann dabei problemlos die Ausdehnung erreichen, die als Baumkrone an der Oberfläche für dich sichtbar ist. Doch manchmal reicht halt auch das nicht aus, um den Baum mit allem zu versorgen, was er für ein gesundes Wachstum braucht.
Damit die Bäume nicht unter Mangelernährung leiden, hat sich die Natur nach einem Nährstoff-Vermittler umgeschaut und in den Pilzen eine Idealbesetzung gefunden. Pilze sind ja eh ein Wunderwerk der Natur – sie durchziehen mich mit ihren feinen Adern wie ein riesiges Netz und lösen problemlos die Nährstoffe aus mir heraus, die zum Beispiel eine Buche zum Wachsen braucht. Den einen Pilz-Arm im Boden, den anderen an der Baumwurzel, und schon ist eine Verbindung geschaffen, damit der Baum alle Nährstoffe oder auch mal eine Extraportion Wasser bekommt. Die Pilze können ihre Fühler dabei mehrere Kilometer weit ausstrecken und somit auch weit entferntere Bäume in das Netzwerk einbinden. So ganz uneigennützig macht der Pilz diesen Job als Nährstoffvermittler allerdings nicht. Frei nach dem Prinzip »Eine Hand wäscht die andere« versorgt er den Baum mit schwer zugänglichen Nährstoffen, erhält im Gegenzug aber vom Baum eine Extraportion des lebensnotwendigen Zuckersaftes, den der Pilz allein nicht herstellen könnte.
Dieser gut vernetzten, freundschaftlichen Handelsbeziehung aus Pflanzen und Pilzen habt ihr den Namen Mykorrhiza (= griechisch für »Pilz-Wurzeln«) gegeben. Die Mykorrhiza sind sozusagen die Schnellstraßen im Untergrund, über die Wasser und Nährstoffe zwischen Baum und Boden transportiert werden – ein grandioses Netzwerk zwischen ober- und unterirdischer Welt. Dank des Pilzgeflechts darf ich mich wohl ganz unbescheiden zu einem der weltweit besten Netzwerker zählen, von dem sich das ein oder andere eurer menschlichen Unternehmen noch ein Scheibchen abschneiden könnte. Auch wenn der griechisch geprägte Name meiner Nährstoffvermittler vielleicht etwas fremd in deinen Ohren klingt, hast du vermutlich schon öfter Kontakt mit Mykorrhiza gehabt. Bestimmte Pilze fühlen sich in der Nähe von bestimmten Bäumen wohl, und die oberirdischen Früchte dieser Wohlfühlzone landen manchmal in deiner Pfanne: zum Beispiel als Pfifferling, Steinpilz oder Goldröhrling. Wenn du bei deinem Waldspaziergang auf der Suche nach diesen schmackhaften Früchten des Bodens bist, kann ein Blick in die Bäume helfen, um schneller fündig zu werden. So wachsen Steinpilze beispielsweise gerne in der Nähe ihrer Handelspartner Buche, Eiche oder Fichte, den Goldröhrling zieht es in die Nachbarschaft von Lärchen.
Doch vor dem Verzehr der eingesammelten Pilze, besser noch vorm Einsammeln selbst, kann ich dir nur raten, dich über meine Eigenschaften zu informieren, denn mancherorts trage ich erhöhte Schwermetallgehalte oder bin sogar radioaktiv. Und weder Mensch noch Bäume können damit gut umgehen. Der Baum würde Schwermetalle oder radioaktive Stoffe einfach wahllos über die Wurzeln aufnehmen, gäbe es da nicht die Pilze, die schützend ihr Geflecht um die Wurzeln legen und nur die »guten« Stoffe passieren lassen. Sie sortieren die schädliche Transportware vorher aus und speichern sie in ihren Fruchtkörpern ein. Doch das sind genau jene Früchte, die auf deinem Speiseteller landen können. Nicht jeder in deinen Augen köstlich aussehende Pilz ist daher für deinen Verzehr geeignet.
Meine Bodenpilze haben für euch jedoch nicht nur einen kulinarischen Wert. Auch eure Gesundheit hat in den letzten Jahren davon profitiert, dass ein schlauer Kopf unter euch entdeckt hat, dass einige Pilze einen Stoff produzieren, der ungebetenen Bakterien den Garaus macht. Trommelwirbel für – das Penicillin! In meiner mikroskopisch kleinen Unterwelt ist längst nicht alles immer Friede, Freude, Eierkuchen. Da geht’s nicht selten hart zur Sache und es werden Kämpfe der Mini-Titanen ausgefochten, bei denen die Gegner manchmal sogar zu chemischen Waffen greifen. Und eine dieser »Waffen« ist eben das Penicillin, das einige Bodenpilze herstellen, um zu verhindern, dass sich unerwünschte Bakterien ausbreiten und ihre Arbeit stören. Das Prinzip funktioniert sowohl im Boden als auch in deinem Körper. Das Penicillin war da lediglich der Anfang. Viele weitere natürliche Antibiotika folgten – und ich kann euch sagen, in mir schlummern noch so einige andere Stoffe, von denen ihr noch nie etwas gehört habt und die euren Forscherdrang herausfordern werden.
Doch bleiben wir noch kurz beim unterirdischen Netzwerk. Denn dank der weitverzweigten Mykorrhiza-Bahnen ist es den Bäumen auch möglich, dort zu wachsen, wo ich nicht die optimale Nährstoffversorgung bieten kann. Extreme Spezialisten sind dabei die tropischen Regenwälder. Dort ist es so warm und nass (der Name »Regen«-Wald kommt nicht von ungefähr), dass meine Verwitterungsprozesse dort im Zeitraffer abgelaufen sind und ein Großteil meiner Nährstoffe schon früh ausgewaschen wurde. Was die Steine an nährstoffreichen Krümeln zu geben hatten, haben sie gegeben, und mein Speichervorrat ist dort erschöpft. Auch einen humusreichen Oberboden sucht ihr im Regenwald meist vergebens – dort bin ich in der Tat ein ziemlich armer Geselle, was Nährstoffe angeht. Und doch ist die Pflanzenwelt dort auf meinem Haupt so grün, saftig und vielfältig wie sonst kaum auf der Welt. Diese Vielfalt und grüne Lebensfreude ist jedoch nur möglich, wenn das Kreislaufsystem funktioniert. Und da läuft im wahrsten Sinne des Wortes nichts ohne meine Bodenpilze und ihre Symbiose mit den Wurzeln der tropischen Pflanzen. Herabfallendes Laub und Pflanzenreste werden übers ganze Jahr im Eiltempo von meinen Bodenbewohnern in Nährstoffpakete zerkleinert und ab geht’s zurück über die Wurzeln an die Oberfläche. Das warme feuchte Klima ist für meine Bodenbewohner das reine Paradies und hält sie zu durchgehend hohen Leistungen an – ein Bedarf an Humusbildung besteht dabei nicht. Oder besser gesagt: Der Humus fällt kaum an, denn meine Bodenorganismen sind so fleißig bei der Arbeit, dass fast keine Pflanzenreste übrig bleiben, aus denen Humus aufgebaut werden könnte. In den Wäldern der mittleren Breiten sieht das anders aus. Die Umwandlung von Laub und Zweigen macht da immer wieder Pausen, da es für meine unterirdische Bodencrew manchmal einfach zu kalt oder trocken ist. Diese jahreszeitlichen Schwankungen führen dazu, dass organische Reste sozusagen auf Halde bleiben und verhältnismäßig langsam abgebaut werden. Die Schnelligkeit dieser Abbauprozesse lässt sich direkt an der Dicke meiner Streuschicht ablesen. Je geringer die Schicht aus alten Blättern und Co., desto bessere Arbeitsbedingungen haben meine Bodenhelfer und desto mehr Nährstoffe können als Humus in meinem Oberboden eingebaut werden. Wobei der Begriff »Schnelligkeit« da natürlich wieder relativ ist. Für ein Buchenblatt können meine Bodenbewohner in Mitteleuropa schon mal ein paar Jahre brauchen, bis es vollständig zersetzt ist. Beim Waldspaziergang kannst du da manches Mal Blattreste finden, die bereits vor fünf Jahren zu Boden gefallen sind.
Ganz anders sieht das im Regenwald aus. Die Pflanzenreste, die du dort auf mir findest, sind meistens sehr frisch. Im tropischen Nährstoffkreislauf spiele ich als Speicher keine große Rolle. Ganz wesentlich sind vielmehr meine Bewohner: die Pilze des tatkräftigen Mykorrhiza-Teams. Ohne sie hätte der tropische Regenwald keine Chance zu überleben. Fast ohne Zwischenspeicherung im Boden werden die Nährstoffe aus Laub und Streu direkt abgebaut und über das Pilzgeflecht den Pflanzen zurückgegeben.
Ob nun mit oder ohne Zwischenspeicherung der Nährstoffe in meinem Oberboden: Etwa 80 % aller Landpflanzen sind Teil der Mykorrhiza-Gemeinschaft – nicht nur die Bäume im Wald, sondern auch die meisten Getreidepflanzen und viele grüne Freunde aus deinem Garten sind Mitglied im produktiven Netzwerk des Untergrundes.
6.3 Für feine Nasen
Zum Ende unseres Waldspaziergangs möchte ich mit dir noch einen kleinen Exkurs in die Welt der Düfte machen.
»Oh, das duftet hier so schön!« – sind Worte, die ich öfter von euch höre, wenn ihr im Wald unterwegs seid. Vielen Dank, immer schön zu hören, dass man gut riecht!
Neben dem Duft der Bäume ist es vor allem der wohlige Erdgeruch, der dir im Wald in die Nase steigt. Genauer gesagt, mein einzigartiges Parfum Geosmin, das ich einer speziellen Gruppe meiner Bodenbewohner verdanke. Geosmin entsteht immer dann, wenn meine Bodenbakterien mit dem klangvollen Namen Streptomyces coelicolor ihrer Arbeit nachgehen und organische Substanz abbauen, also essen und verdauen. Dabei entsteht am Ende der Verdauung ein Alkohol, eben das Geosmin.
Doch nicht nur im Wald verbreite ich meine Düfte. Geosmin ist auch ein wesentlicher Bestandteil jenes Geruchs, den du von heißen Sommertagen kennst, nachdem es kurz geregnet hat. Zusammen mit ätherischen Ölen von in der Sommersonne getrockneten Pflanzen sowie dem Staub der Erdoberfläche verbindet sich Geosmin zum Duft nach Sommerregen, dem ihr auch den poetischen Namen »Petrichor« gegeben habt (in Griechenland würde es übersetzt »Götterblut der Steine« bedeuten). Je trockener der Untergrund, auf den die kleinen Regentropfen fallen, desto intensiver entwickelt sich meine geosmin-getränkte Duftwolke. Deine menschliche Nase braucht nur eine klitzekleine Menge von Geosmin zu wittern, um in eine wohlige Empfindung versetzt zu werden. Aus diesem Grund haben meine Bodenbakterien sogar Einzug in eure Duftstoff-Industrie erhalten. Wenn du zum Beispiel in einem Fachgeschäft bist, dass sich auf allerlei Zubehör für deine Freizeit draußen spezialisiert hat (sei es nun wandern, klettern oder zelten), dann wandelst du nicht selten in einem Raumduft aus Geosmin, der dich in Kauflaune versetzen soll.
Manche von euch wollen sogar persönlich den gleichen bodenbürtigen Duft tragen wie ich, sodass auch der Parfum-Markt die entsprechenden Produkte hervorgebracht hat. Anstatt sich auf mir zu wälzen, bekommst du den Bodenduft dann ganz einfach aus dem Sprühfläschchen.
Sobald mein erdiger Geruch allerdings in deinen Lebensmitteln auftaucht, ist oft Schluss mit lustig. Das wurde mir schon von vielen Wein-Liebhabern berichtet, die mit krauser Nase das Glas wieder abgestellt haben, wenn es daraus zu bodenähnlich duftete. Aus »wohlig« wird da plötzlich »muffig« und macht aus dem vormals edlen Tropfen nur noch vergorenen Traubensaft. Deine Nase braucht somit die richtige Umgebung, um meinen Duft in vollen Zügen genießen zu können. Und wenn nicht bei einem Gläschen Wein, dann doch bei einem entspannenden Waldspaziergang.
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