Leseprobe »Eine andere Geschichte der Popkultur«: Die Droge Kommunikation
Smileys und Emojis
Es gibt Dinge, so schreibt die Ethnologin Verena Kuni, »die als Hybridformen sowohl der digitalen als auch der materialen Kultur angehören und/oder erstere in letztere (rück-) überführen«. Smileys sind solche Dinge. Sie wurden 1964 von dem US-amerikanischen Grafiker Harvey R. Ball erfunden, dessen Anstecker genutzt wurden, um für eine bessere Arbeitsmoral in einer Versicherungsfirma zu sorgen. Der Erfolg des lächelnden Rundgesichts inspirierte 1971 den französischen Journalisten Franklin Loufrani, alle Artikel in der Zeitung France Soir, die eine positive Nachricht vermeldeten, mit einem Smiley auszuzeichnen. 1972 meldete Loufrani den Smiley als Markenzeichen an und druckte zehn Millionen Sticker, die er kostenlos verteilte. Es war die Zeit von »love, peace and happiness«, als die Hippie-Bewegung in Europa ankam.
1972 war der Smiley bereits so allgegenwärtig, dass er auf dem Cover der Satirezeitschrift MAD verspottet wurde, 1986 reüssierte er als diabolisch grinsende Comicfigur Watchmen und ab 1988 wurde der Smiley zum Aushängeschild eines zweiten »Summer of Love«. Für die britische Acid-House-Szene, aus der sich die großen Raves der 1990er Jahre entwickeln sollten, war das gelbe Gesicht Ausdruck einer positiven Lebenseinstellung, die aber wohl mindestens ebenso sehr auf bewusstseinserweiternde Drogen wie Ecstasy zurückzuführen war. Möglicherweise als Reaktion darauf druckte die Band Nirvana 1992 einen stark derangierten Smiley auf ein T-Shirt und kreierte damit ein eigenes Markenzeichen, die »Corporate Rock Whores«. 1996 schließlich bündelten Franklin Loufrani und sein Sohn Nicolas die ökonomisch verwertbare Seite des Phänomens und gründeten The Smiley Company. Seitdem ist die Welt voll von ihnen: Auf Kugelschreibern und Tassen, auf Kissen, Socken und Gesichtsmasken und überall, wo man sie gar nicht sehen möchte, findet sich ein Smiley.
Ebenfalls Mitte der 1990er Jahre entwickelte der japanische Programmierer Shigetaka Kurita für die Firma Nippon Telegraph and Telephon (NTT) sogenannte Emoticons technisch weiter, mit denen in den frühen 1980er Jahren schriftsprachliche Äußerungen bildhaft kommentiert wurden. Kurita gestaltete insgesamt 176 Emojis für die mobile Kommunikation auf den Displays von Handys, Pagern und für Messengerdienste. Durch die Einbettung in Google-Anwendungen im Jahr 2006 zur Nutzung des iPhone OS 2.2 in Japan 2008 und schließlich durch die Implementierung in den digitalen Zeichensatz von Unicode wurden Emojis zur Massenware auf dem Markt der mobilen Kommunikation.
:-) oder :-(
Die Entwicklung von Smileys (als eine grafische Darstellung) und Emoticons (als eine Zeichenfolge) zu Emojis (als Oberbegriff für digitale Piktogramme) ist aus drei Gründen interessant für einen Blick auf das Populäre. Es ist eine Geschichte der technischen Standardisierung bei gleichzeitiger kultureller und ästhetischer Ausdifferenzierung, eine Popularisierung durch ökonomische Verfügbarkeit sowie ein spielerischer Umgang mit Differenz: Emojis reihen sich ein in die lange Tradition populärer Bild-Text-Formate, die von den Illustrationen der Groschenhefte im 19. Jahrhundert, über die Comics des frühen 20. Jahrhunderts bis zu den Memes der Gegenwart reicht. Das immer wieder neu auszubalancierende Verhältnis zwischen textlichen und bildlichen Informationen produziert Unterhaltung.
Ausgangspunkt für die neuere Entwicklung war eine technische Beschränkung: Emoticons sind Teil der Programmiersprache für Computer, einer sogenannten formalen Sprache, wie sie sukzessive ab den 1950er Jahren entwickelt wurde. Als solche sind Emoticons abhängig von Operationsbedingungen und Rechenleistungen einer Maschine und stammen aus einer Zeit, in der »die Einbettung von Grafikelementen, je nach Plattform, entweder ausgeschlossen oder nur sehr begrenzt möglich war«. Gleichzeitig machte es die fortschreitende computergestützte Kommunikation für die Verfasserinnen durchaus notwendig, eigene Textnachrichten zu kommentieren, damit man sie nicht falsch verstand. Auf Wikipedia findet sich prominent platziert eine Quelle aus dem Jahr 1982, in der der US-amerikanische Informatiker Scott E. Fahlman seinen Kollegen an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh eine grafische Markierung für witzig gemeinte Kurznachrichten vorschlägt:
»Ich schlage die folgende Zeichenfolge für Witzmarkierungen vor: :-) Lest es seitwärts. Eigentlich ist es angesichts unserer aktuellen Gewohnheiten wahrscheinlich einfacher, Dinge zu markieren, die KEINE Witze sind. Verwendet dafür :-(.«
Emoticons basieren als Teil einer Maschinensprache auf dem ASCII-Code, dem »Amerikanischen Standardcode für den Informationsaustausch« von 1963, der etwa den Zeichenvorrat einer Tastatur für das lateinische Alphabet umfasst: 95 druckbare Zeichen. Ausgehend von dieser Begrenzung, entwickelte Fahlman seine beiden Bildzeichen, deren typographische Gestaltung auf den populären Umgang mit den Smileys in der materiellen Welt zurückgreifen konnte. Er implementierte damit eine Basisfunktion, die den meisten Emojis bis heute zueigen ist, wie die Sprachwissenschaftler Michael Beißwenger und Steffen Pappert hervorheben: die »Kennzeichnung von Sprechereinstellungen«. Weil niemand mit Sicherheit sagen kann, wie eine kurze Information in einem Webchat, einem Online-Forum oder in einer WhatsApp- Nachricht eigentlich gemeint ist, muss sie markiert werden: joke or no joke.
Die Notwendigkeit, den dialogischen Austausch von Informationen durch grafisch-bildhafte Zeichen zu unterstützen, tritt also nur unter den spezifischen Bedingungen der Massenmedien auf, die Niklas Luhmann als »Unterbrechung des unmittelbaren Kontakts« definiert. Emojis stellen soziale Nähe unter Kommunikationspartnern her, die sich gerade nicht sehen und die vorrangig ‚als Text‘ in Beziehung miteinander treten. Sie dienen, wie Beißwenger und Pappert pointiert feststellen, »hauptsächlich dem Beziehungsmanagement«.
Emojis sind somit Dinge für die beschleunigte, verkürzte und entfernte Beziehungsaufnahme. Sie treten in einem historischen Moment auf, in dem persönliche Kommunikation im großen Maßstab auf Schriftformen umgestellt wurde und somit die Basis für das Vertrauen unter den Kommunizierenden neu etabliert werden musste. Emojis sind an die jeweiligen Medien gebunden, die diese ‚Maschinensprache‘ ermöglichen und gleichzeitig begrenzen.
Unter japanischen Jugendlichen waren in den 1990er Jahren Pager populär, da sie preiswert waren und man sich direkt austauschen konnte, ohne von den Eltern kontrolliert zu werden. Shigetaka Kurita und sein Team bei NTT hatten entsprechend den japanischen Markt im Blick, als sie den Smiley als Code animierten: »Obwohl die Zeichen selbst nicht urheberrechtlich geschützt sind, wurde der ursprüngliche Emoji-Satz so konzipiert, dass er nur auf der proprietären Plattform [von NTT] angezeigt werden konnte, und zwar ausschließlich auf Telefonen, die den Abonnenten des Unternehmens in Japan gehören und von ihnen betrieben werden.«
Emojis stellen, anders als Emoticons, nicht nur Emotionen dar, sondern visualisierten im Kleinformat von maximalen 144 Pixeln auch Tiere, Pflanzen, Kleidung, Gebäude und vieles mehr. An Kuritas Grunddesign, das heute im Bestand des Museums of Modern Art zu finden ist, kann die Gleichzeitigkeit von technisch-visueller Standardisierung und kultureller Ausdifferenzierung abgelesen werden wie sie etwa auch Spielfiguren wie Avataren zueigen ist.
Emojis entstehen aus einer formalen Zeichensprache mit begrenzten Variationsmöglichkeiten – aber sie wirken als Teil einer visuellen Kommunikation und sind somit vielfältig interpretierbar. Normierung und Variabilität schließen sich in der Popkultur nicht aus, sondern bilden ein dynamisches Grundgerüst für die Neukombination von standardisierten Elementen. Ein happy face ist in einer WhatsApp-Nachricht je nach Zusammenhang dechiffrierbar. Aber was ist mit einer Brille, gefolgt von einer Aktentasche, Halbschuhen und einem Hemd mit Krawatte?
Entsprechend viele und zu viele Emojis und Smileys muss es geben. Dafür hat Nicolas Loufrani gesorgt, der das Geschäft seines Vaters erweiterte und neu aus- richtete. Während letzterer seit 1972 mit dem Logo des Smiley weltweit Geld verdiente, indem er es für Firmen wie Levi’s oder Agfa lizensierte, machte Nicolas Loufrani den Smiley zu einem unverzichtbar-überflüssigen Requisit der mobilen Kommunikation. Im Jahr 1999 gab er einen Smiley Dictionary als Buch heraus, dem 2001 eine Online-Version zur Einbindung von Smileys in E-Mails, MSN-Messenger, elektronischen Grußkarten, Wallpaper oder Mauscursor folgte, um den Bekanntheitsgrad der Marke noch weiter zu erhöhen. Smileys, die sein Vater auf Konsum- und Werbeartikel in über hundert Ländern weltweit hatte drucken lassen, gehörten um die Jahrtausendwende als digitaler Code – zuerst als Emoticon, dann als GIF-Datei, dann durch die Einbettung in Unicode – zur Grundausstattung mobiler Kommunikation. Zwei Voraussetzungen waren dafür entscheidend: Zum einen, dass die Verbreitung digitaler Textnachrichten über Mobiltelefone und die Einbettung von Smileys in hochentwickelte Programmiersprachen im selben Zeitrahmen erfolgten. Der Journalist Florian Rötzer berichtet in einem Artikel aus dem Jahr 2000 von monatlich neun Milliarden versendeten SMS-Nachrichten weltweit. Durch die zunehmende Handynutzung unter 12- bis 19-Jährigen sei damals »eine subtile Veränderung in der Welt der drahtlosen Kommunikation vom Verbalen zur visuellen Vielheit« festzustellen gewesen.
Es ist heute nur noch schwer nachzuvollziehen, aber persönliche Kommunikation fand bis zum Ende des 20. Jahrhunderts, trotz Briefen und Postkarten, überwiegend mündlich statt – ob im direkten Kontakt oder technisch vermittelt. Das änderte sich im Jahr 1997, in dem »welt- weit durch Internet-Kommunikation erstmals mehr Verkehr erzeugt [wurde] als durch Sprachkommunikation«. Es war ein historischer Einschnitt, denn durch das Internet wurde es möglich, Kommunikation sowohl zu standardisieren und formalisieren, als auch sie singularisiert und individualisiert auftreten zu lassen. Entsprechend waren Ende der 90er Jahre neue konsens- und vertrauensbildende Elemente innerhalb kommunikativer Prozesse nötig – und Emojis und Emoticons deckten genau jenen Bedarf. Heute werden täglich etwa sechs Milliarden von ihnen weltweit versendet.
Damit ein Überfluss an digitalen Daten und Dingen möglich wurde, mussten zweitens die Geräte-, die Speicher- und Transaktionskosten sinken. Der Politikwissenschaftler Volker Schneider verweist auf die »mikroelektronische Revolution«, die seit den 1970er Jahren im Bereich der Telekommunikation »zu unglaublichen Leistungssteigerungen, riesigen Möglichkeitserweiterungen und zu dramatischen Kostensenkungen geführt« hat. Beliefen sich die Ausgaben für ein Megabyte Datenspeicherplatz auf einer Festplatte im Jahr 1985 noch über 100 Euro, so bezahlten die Kunden im Jahr 1997 für dieselbe Menge neun Cent – ein Preisverfall von über tausend Prozent in zwölf Jahren. Zu diesem Zeitpunkt besaßen in Deutschland gut acht Millionen Menschen einen Mobilfunkanschluss, wobei sie für ihr Handy in der günstigsten Ausführung mehr als 400   Euro bezahlten. Im Jahr 2010 waren etwa 100 Millionen Anschlüsse zu verzeichnen, ein mobiles Endgerät kostete nun nur noch 100 Euro. Digitale Standardisierung, Deregulierung des Marktes auf europäischer Ebene und die Einführung von Prepaid-Karten waren weitere Gründe dafür, dass in einer Zeitspanne von knapp 20 Jahren der Siegeszug von SMS-Kurznachrichten einsetzte.
Nicolas Loufrani hätte sein Unternehmen wohl zu keinem besseren Zeitpunkt starten können: Ende der 1990er Jahre wurde die mobile Kommunikation für den Massenmarkt technisch und ökonomisch zugänglich gemacht, und das Genre der digitalen Kurznachricht war durch Personal Computer, Pager und Massengerdienste in Grundzügen skizziert worden. Die Menschen lernten bereits, wie sie unter den Bedingungen allumfassender Mobilität (siehe »Selfiesticks«) technisch vermittelte Nähe etablieren konnten. Außerdem hatte man es mit einem ‚Ding‘ zu tun, das permanent zwischen materiellen und digitalen Kulturen zirkulierte und dabei interessante Spuren in der Popkultur hinterließ. Wer damals etwas auf sich hielt, lief in der »Acid House Uniform« herum; so erinnerte sich die Journalistin Sharon Walker an ihren ersten Abend im Londoner Heaven Nightclub in den späten 1980er Jahren: »Ich reihte mich in die Schlange der Kids ein, die in der Acid-House-Uniform aus Day-Glo-Latzhosen und Smiley-T-Shirts gekleidet waren.« Der Smiley hatte subkulturelles Kapital erworben.
Kommunikation, die unterhält
Smileys sind merkwürdige Dinge. Als grafische Zeichen stehen sie für eine aufmunternde und positive Haltung, die nicht nur global vermarktet wird, sondern bis in die Subkultur hinein für die Optimierungslogik der Moderne steht: Der individuelle Körper soll entspannter und besser funktionieren, ob 1964 in einer Versicherungsfirma oder 1988 auf einem 12-Stunden-Rave. Aus den zehn Millionen Smiley-Stickern, die Franklin Loufrani in den 1970ern kostenlos verteilte, sind deutlich mehr als die 1,3 Mio. Ecstasy Tabletten geworden, die die deutsche Firma Imhausen-Chemie 1989 für den europäischen Drogen- markt produzierte.
Als Emojis wiederum sind sie Zeichenketten einer formalen Sprache, eingebunden in die Entwicklungs- und Wirtschaftsgeschichte mobiler Endgeräte und ihrer technischen Standardisierung. Hier bilden sie eine entscheidende Schnittstelle zwischen direkt-persönlichen und medial vermittelten Kommunikationsformen, indem sie die Gestik der Face-to-Face-Begegnung sowie ihre erklärenden Funktionen als tastaturschriftlich erzeugtes Zeichen nachspielen. Smileys wandern, wie einleitend zitiert, von der materiellen in die digitale Kultur und wieder zurück. Dabei verstärkt sich bei jedem Grenzübertritt die zugrundeliegende Idee, das Konzept eines globalen Kommunikationsangebots: die Möglichkeit, jederzeit mit jedem zu interagieren. Durch den Smiley, so beschreiben es Beißwenger und Pappert, signalisiere ich »der oder dem anderen nicht nur Wohlwollen und Nähe, sondern auch [meine] Kommunikationsbereitschaft – und zwar unter sehr geringem Aufwand«.
Damit erfüllen diese Zeichen eine der zentralen Bedingungen von Unterhaltung, wie sie Niklas Luhmann definiert: »Unterhaltung heißt eben: keinen Anlaß suchen und finden, auf Kommunikation durch Kommunikation zu antworten.« Unterhaltung ist in diesem Sinne selbsterzeugend. Ihre Veranlassung ist zugleich die historische Bedingung ihrer Entstehung, nämlich die Aufgabe, den realen Überfluss der Dinge und Möglichkeiten in solcher Weise zugänglich zu machen, dass daraus eine fiktionale Erzählung werden kann, die in sich selbst wiederum ein Spiel zwischen Überfluss und Auswahl inszeniert. Anders formuliert: So lange es bei der Entscheidung ☺ oder ☹ bleibt, so lange erfüllen Emojis vor allem Basisfunktionen – »allgemein ein Gefühl der Zusammengehörigkeit zwischen Gesprächspartnern zu vermitteln, aufrechtzuerhalten oder zu verstärken«. In dem Moment jedoch, in dem die Überfülle an Emojis zu einer Auswahl zwingt, die als individuell gestaltete aber allgemein ausgerichtete Erzählung gelesen werden kann, wird aus Kommunikation Unterhaltung.
Entscheidend dafür ist, dass alle am Prozess Beteiligten sowohl von der Notwendigkeit der Selektion als auch von ihrer Möglichkeitsoffenheit wissen. Emojis sind immer intentional gesetzt, weil sie Antworten auf die Frage provozieren, warum in diesem Zusammenhang genau jener Emoji ausgewählt und kontextualisiert wird. Sie sind eine spielerische »Anweisung zur Suche nach dem Gemeinten«. So hat ein Vulkanier-Gruß als Emoji wahrscheinlich mit der Serie Star-Trek und der Figur des Mister Spock zu tun und kann als ein Friedensgruß gelesen werden. Aber wie genau und warum in diesem spezifischen Zusammenhang jener Textnachricht? Emojis bieten einen Überschuss an, der über ihren Informationswert hinausgeht und genau deshalb gedeutet werden muss.
Dabei weisen Emojis als eine Form der Kommunikation die unterhält, übergreifende Merkmale des Populären und der Popkultur auf: Sie sind ohne großen Aufwand verfügbar und als Sinnangebot in der Regel leicht zu entschlüsseln. Sie sind ästhetisch zweideutig, indem sie zwischen Text- und Bildformaten changieren. Sie besitzen eine mediale Eigenlogik zwischen technischer Normierung, kommunikativer Nähe und individueller Gestaltungsmöglichkeit. Sie treten als sequenzierte Reihe auf und erhöhen damit die Lust an der Fortsetzung. Sie sind selbstreferentiell, indem sie durch ironische missverständliche oder zitierende Setzungen auf ihre Funktionalität im Kommunikationsprozess hinweisen. Gleichzeitig lassen sich am Beispiel der Emojis einige Tendenzen zuzuspitzen, die erst durch die Entstehung digitaler Medien virulent geworden sind. Zum einen lösen sie den Unterschied zwischen der Produktion und der Rezeption von Unterhaltung partiell auf. Auch wenn Zuschauerinnen, Fans oder Sammler in der Populären Kultur immer ein gewisses Aktivitätspotential mitbringen müssen (siehe »Scrapbooks«), so verschränken sich in den digitalen Medien Produktion und Rezeption von Unterhaltung auf einem neuen Niveau. Es macht einen Unterschied, ob ich ein Spiel im Stadion oder eine Serie vor dem Fernseher verfolge, die für mich von anderen inszeniert wurden – oder ob ich am Smartphone tippend, lesend, kommentierend das ästhetische Format erst herstelle, dass ich zeitgleich rezipiere. Auch wenn sie beide der Unterhaltung dienen, so sind ein Fußballspiel und ein Chatverlauf nicht nur unterschiedliche Formate der Popkultur, sie organisieren darüber hinaus das Verhältnis zwischen Akteuren, die etwas anbieten und denen, die es nutzen, auf grundsätzlich andere Weise. Als Konsequenz dieser Verschiebung ist unter anderem eine noch engere Verzahnung von Information, Werbung und Unterhaltung zu beobachten, wie sie der Soziologe Dirk Baecker als Kriterium der digitalen Transformation charakterisiert: »Die Werbung ist so sehr eine Nachricht wie die Nachricht eine Unter- haltung.«
Emojis sind ein prägnantes Beispiel für diese konvergierenden Prozesse der Gegenwart. Zum anderen verschärfen soziale Medien die Unklarheit darüber, in welcher Beziehung die verschiedenen Teilnehmerinnen am Unterhaltungsprozess zueinanderstehen. Anders als etwa im Fußballstadion oder vor dem Fernseher, bleibt es für die Eigenlogik sozialer Medien ungeklärt, in welchen Momenten ich mich als User in einer sozialen Interaktion befinde und wann ich an einem Unterhaltungsprozess unter massenmedialen Bedingungen teilhabe. Die häufig eingeforderten Benimmregeln im Netz verweisen momentan noch auf die Dominanz von sozial strukturiertem Verhalten. Mindestens ebenso wichtig wäre allerdings das Bewusstsein der ästhetischen Form, also das Wissen, dass ich mich als User in einer zweideutigen Beziehung zu anderen Usern befinde, die gleichzeitig ernst (im Sinne sozialer Verbindlichkeit) und unernst zu charakterisieren ist (im Sinne eines fiktionalen Raumes, in dem ein spielerisches Verständnis von kommunikativer Interaktion als Unterhaltung herrschen darf).
Schließlich erhöht sich durch Smileys und Emojis auch die Dynamik der Globalisierung. Globalisierung soll hier, mit der Soziologin Bettina Heintz, »als Intensivierung grenzüberschreitender Beziehungen« sowie als »wechselseitiger Beobachtungs- und Vergleichsprozess« aufgefasst werden. Emojis bieten sich aufgrund ihrer digitalmateriellen Dinglichkeit für beide Perspektiven an. Einerseits sind sie Zahlen und Zeichenketten einer formalen Sprache, die auf mathematischen Operationen beruht. Wie Heintz darlegt, sind »Kommunikationen im Medium von Zahlen (oder einer formalen Sprache) […] besonders geeignet, das Problem der Distanzüberbrückung zu lösen«. Formale Sprachen wie Zahlen oder Emojis sind somit weitgehend selbsterklärend, zu einem bestimmten Anteil kultur- und kontextunabhängig und verfügen über »ein distinktes und begrenztes Alphabet«. Dass Smileys und Emojis global schneller ‚reisen‘ als Wörter ist somit ihrem visuell ausgedrückten Informationsgehalt und ihrer damit zusammenhängenden universellen Lesbarkeit zu verdanken.
Emojis und Smileys sagen nicht nur etwas, sie zeigen auch etwas (anderes): »Es ist nicht einfach der Abstraktionsgrad, sondern (auch) das Medium der Kommunikation, das die weltweite Verbreitung von ‚ideas, objects and practices‘ erklärt.« Gerade die ästhetische Zweideutigkeit von Emojis, also die Art und Weise, wie sie zwischen Zahl und Bild changieren, ist für die wechselseitige Beobachtung unter globalen Bedingungen geeignet. Weil allgemein klar ist, was sie wollen – nämlich mit Kommunikation auf Kommunikation zu antworten – und situativ offen ist, welche Erzählungen diese Bild-Text-Mitteilungen anbieten, können Emojis als eine Art Kulturübersetzung in einer sich weiter globalisierenden Popkultur verstanden werden. Sie entlasten von der Auf- gabe des Verstehens und eröffnen damit einen niedrigschwelligen Reflexionsraum, der das Eigene im Licht des Anderen sieht: ツ.
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