Leseprobe »Hässliche Wörter«: Von Haltungsjournalisten und Feindmedien
Das Wort »Lügenpresse«, das von PEGIDA und AfD in die öffentlichen Debatten gespült wurde, ist keine Erfindung der neuen Rechten. Es wird schon seit der Mitte des 19. Jahrhunderts gebraucht, um jene Teile der publizistischen Öffentlichkeit zu ächten, deren Berichterstattung nicht in die eigene politische Agenda passt. Der Ausdruck »Lügenpresse« und die mit ihm verwandten »Lückenpresse«, »Fake-News-Medien«, »Münchhausen-«, »Pinocchio-« und »Pippi-Langstrumpf-Medien« erhalten ihre spezielle Bedeutung in neurechten Debatten aus ihrer Amalgamierung mit Ausdrücken aus einem anderen Wortfeld: dem der Politik. »Politik und Medien« ist die in rechten Texten am häufigsten verwendete Aufzählung – noch vor den auf politische Themenfelder verweisenden Reihungen »Recht und Gesetz« und »Migration und Flüchtlinge« und sogar noch vor den Unsicherheit schürenden »Mord und Totschlag« und »Leib und Leben«. Die behauptete Verschmelzung von Politik und Medien findet ihren Ausdruck auch in Wortfügungen wie »medial-politisch« oder »politmedial«. Sie steht als sprachliches »Ready-Made« in Form eines »politisch-mediale-Komplexes«, eines »Medien-Politik-Apparats«, eines »Polit-Medien-Establishments« und einer »Medien-Politikkaste« zur Verfügung. Als zu einem Wort geronnene Einheit muss ein vermeintlich zu enges Verhältnis von Medien und Politik nicht mehr argumentativ begründet werden. Die Existenz des Wortes ist Evidenz genug für den behaupteten Sachverhalt, den ein Kommentator so formuliert: »Die Medien sind die Politik«. Jede neurechte Kritik an den Medien ist damit auch eine Kritik an der Politik. Und wie bei den Neurechten üblich, wird diese Kritik in Schmähausdrücke wie »Politik-Medien-Lügenpack«, »Politik-Medien-Gesindel« oder »Politik-Medien-Mafia« gegossen.
Medien als Herrschaftsinstrument
Die in diese Wortverbindungen eingefaltete Erzählung lautet, dass politische Macht und Medien Partner geworden sind und dass diese Einheit von Medien und Politik »untrügliches Kennzeichen einer Diktatur« sei, wie ein Kommentator konstatiert. In dieser Sicht sind die Medien »das wichtigste Herrschaftsinstrument über die Souveränität der Völker«, sie »sind zum Feind der Deutschen geworden« und »die bedeutendsten und kriminellsten Erfüllungsgehilfen des aktuellen Völkermords an Deutschland«. Für Neurechte reichen Signalwörter wie »Komplizenmedien«, »Kollaborateurspresse«, »Handlanger-Drecksmedien« oder »Feindpresse«, um diese Verschwörungserzählung als vermeintliche Tatsache in ihre Argumente einzubauen. Wenn die Tagesschau der Straftat eines Asylbewerbers mal wieder keinen Drei-Minuten-Beitrag widmet oder die Lokalpresse den Migrationshintergrund eines Gewaltverbrechers verschweigt, dann geschieht dies, weil die »Kriminalitätsimport-Kollaborateursjournalisten« der »Vertuschungsmedien Komplizen-Journalismus« betreiben. Dass die Medien kollaborieren und dass sie sich mit der Politik verschworen haben, muss gar nicht mehr plausibel gemacht werden. Die Existenz des Wortes genügt als Beleg für die vermeintliche Faktizität des bezeichneten Sachverhalts.
Um die unterstellte Kollaboration von Medien und Politik als Zeichen einer Diktatur zu deuten, greifen Neurechte gerne auf Vergleiche mit diktatorischen und totalitären Regimen zurück. Besonders beliebt sind Vergleiche mit Publikationsorganen der DDR. Die Medien der Bundesrepublik sind dann entweder eine harmlosere Variante sozialistischer Presseerzeugnisse »(DDR-light-Medien)«, werden mit ihnen gleichgesetzt »(BRDDR-Medien«, »Politbüromedien)« oder gelten als ihre noch ausgefeiltere Weiterführung »(DDR2.0-Medien«, »Neo-SED-Medien«, »STASI-2-Medien)«. Munter werden auch Parallelen mit der Zeit des Nationalsozialismus gezogen, wenn journalistische Erzeugnisse als »Nazi-Propagandamedien« bezeichnet, Journalisten als »Qualitäts-Lügen-Nazi-Journalunken« verunglimpft und die Presse als Ganze als »Gleichschaltungspresse« denunziert wird. Auch der Reichspropagandaminister und der Herausgeber des antisemitischen Hetzblatts »Der Stürmer« stehen Pate bei herabwürdigenden Bezeichnungen wie »Goebbels-Presse« und »Streicher-Medien«. Die öffentlich-rechtlichen Medien werden als »Goebbels-Staatsrundfunk« und »GEZtapo-Medien« diskreditiert und der an die GEZ zu entrichtende Rundfunkbeitrag wird gerne als »GoebbelsErziehungsZwangsbeitrag« bezeichnet. Andere Neurechte halten es auch für treffend, die bundesrepublikanische Presse als »Nordkorea-« oder »Stalin-Medien« zu titulieren, um der Behauptung, die Bundesrepublik sei eine »Mediendiktatur« (oder kurz »Mediokratur«), Nachdruck zu verleihen.
Dass der Vergleich mit der Presse diktatorischer Regime stichhaltig ist, leiten Neurechte daraus ab, dass die Medien ihrer Meinung nach nicht regierungskritisch berichten. Zeitungen werden entsprechend als »Regierungspostillen«, »Regierungslobhudeleinheitsmedien« oder als »Regierungserklärungsverlautbarungspresse« bezeichnet. In Ausdrücken wie »Murksel-Medien« und »Merkellatur-Presse« wird den Medien zudem vorgeworfen, Angela Merkel gegenüber persönlich verpflichtet zu sein. Konsequenterweise werden die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten als »Merkel-Propaganda-Lumpenfunk« und »Flüchtling-Merkel-Heil-Heil-Heil-Funk« verunglimpft. Bei diesen Vorwürfen schwingt freilich immer auch eine Kritik an dem Staats- und Regierungssystem mit, das eine Regierung Merkel überhaupt ermöglicht. Ausdrücke wie »System-Medien«, »Regime-Medien« oder »Junta-Medien« zeigen, dass viele Neurechte das politische System der Bundesrepublik genauso gerne loswerden möchten wie seine Presse.
Neben totalitären Systemen dient Neurechten auch gerne die Monarchie als Vergleichsgröße für das Verhältnis von Medien und Politik in der Bundesrepublik Deutschland. Angela Merkel erscheint dann als absolute Monarchin, deren politisches Handeln von den »Hofschranzen-Speichellecker-Journalisten« einer »Hofberichterstattungs-Journaille« unfehlbar bejubelt wird. Servile »Lakei-Medien«, opportunistische »Claqueur-Medien« und devote »Merkelbücklinge-Medien« huldigen in neurechten Phantasien der Gott-Kanzlerin und sorgen als »Untertansystemmedien« dafür, dass die Kaiserin nie nackt ist. Die Anbiederung an die politische Macht, die Neurechte in der Berichterstattung der Medien zu erkennen glauben, drückt sich in Schmähausdrücken wie »Speichellecker-Medien«, »Enddarmpresse« und »Merkel-Arschkriecher-Medien« aus. Verknüpft ist diese Kritik an regierungsfreundlicher Berichterstattung mit dem Vorwurf der Käuflichkeit. Um diesen Vorwurf wirkungsvoll in Sprache zu gießen, greifen die zumeist männlichen neurechten Kommentatoren zum Bild der Prostitution. Rundfunkanstalten und Publikationsorgane sind für sie »Flittchen-«, »Nutten-« und »Maulhurenpresse« oder »Pressenutten-«, »Presstituierten-« und »Merkelzuhältermedien«.
Volkserziehung durch Medien
Was aber macht die Medien aus neurechter Sicht zu einem so effektiven Instrument diktatorischer Herrschaft? Es ist ihre Fähigkeit zur Sedierung, Unterdrückung und Manipulation des vermeintlich wahren Volkswillens. So sind viele Neurechte davon überzeugt, dass sich das Volk gegen die »Merkel-Diktatur« erheben würde, wenn es nicht von den »Beschwichtigungs-« und »Verharmlosungsmedien«, von den »Verschleierungs-«, »Vertuscher-« und »Ablenkmedien« über das von Neurechten gefühlte Ausmaß von Flüchtlingskriminalität, Islamisierung und Deutschlandabschaffung hinters Licht geführt würde. In ihren Schimpfwörtern erheben Neurechte Klage gegen die Medien in drei Anklagepunkten: Indoktrination, Dressur und Manipulation. Ihren ersten Vorwurf verpacken sie in Schmähausdrücken wie »Erziehungsmedien«, »IndoktrinationspresseGouvernanten-Medien« und »Nannie-Medien«, die behaupten, dass Nachrichtenplattformen ihre Konsumentinnen und Konsumenten wie Kinder behandeln, sie erziehen und bevormunden. Der zweite Vorwurf lautet, dass Medien nicht nur benevolente Erzieherinnen unreifer Bürger sind, sondern als »Leitplankenmedien« und »Volkslenkungsmedien« ein Instrument zur Gefügigmachung und Kontrolle der ganzen Bevölkerung. Ausdrücke wie »Umerziehungsmedien« und »DreSSurMedien« erinnern dabei an totalitäre Regime. Mancher Kommentator vergleicht die Medien folgerichtig mit »sozialistischen Umerziehungslagern gigantischen Ausmaßes«. Der dritte Vorwurf bezieht sich auf die Perfidie und Heimtücke, mit der die Medien freie Menschen zu willigen Untertanen formen. Denn Medien kämpfen im Informationskrieg nicht mit offenem Visier. Es sind »Massenmanipulations-« und »Massenhypnose-Medien«, »Gehirnwäsche-Medien«, »Brainwash-Lügenmedien«, ja »Massenlobotomedien«, die dauerhafte Schäden in Psyche und Charakter hinterlassen.
Führen Erziehung, Abrichtung und Manipulation nicht zum gewünschten Ergebnis, greifen Medien angeblich zur Denunziation, wie Neurechte die Kritik an ihren eigenen Positionen bezeichnen. Verunglimpfungen von Presseerzeugnissen als »Diffamierungsmedien«, »Denunzianten-Presse« oder »Beschimpfungsmedien« sind daher an der Tagesordnung. Oft ist auch von »Hetz-«, »Hass-« und »Lynch-Medien« die Rede oder in klassischer Täter-Opfer-Umkehr von »Volksverhetzungsmedien«. Neurechte behaupten, dass Medien sich ein Recht auf Diffamierung und Hetze anmaßen, weil sie sich für moralisch überlegen halten bzw. überhaupt moralische Kategorien zur Bewertung politischen Handelns heranziehen, statt einfach nur neutral zu berichten. Diese Unterstellung moralischer Überheblichkeit findet in Bezeichnungen wie »Gutmenschen-Journalismus«, »Besser-Medien«, »Tugendpresse«, »Moralapostel-Medien« oder »Tugendterrormedien« ihren Ausdruck. Moralische Ansprüche, die zumeist von linken Vorstellungen von Gut und Böse geprägt würden, würden dazu missbraucht, den wahren Volkswillen zu unterdrücken. Der Vorwurf, die Medien seien Verbreiter einer »links-grünen Hypermoral«, soll die eigenen Positionen gegen Kritik immunisieren. Denn wer anderen Moralisierung vorwirft, der muss sich an den moralischen Ansprüchen anderer nicht mehr messen lassen.
An dieser Stelle drängt sich die Frage auf, wer den »Lohnschreiber-Schmierenfinken« und »gewerblichen Lügnern und Verleumdern« eigentlich vorschreibt, womit sie die deutsche Bevölkerung einschläfern und in welche Richtung sie sie lenken sollen. Die Antworten sind auch hier so mannigfaltig wie die Diskussionsfäden in neurechten Verschwörungsforen. Im Schmähausdruck »BRiD-Medien« begegnet uns etwa die Geschäftsführung der Deutschland GmbH als möglicher Auftraggeber. Denn das unscheinbare »i« macht die BRD zur »Bundesrepublik in Deutschland«, einer Ländersimulation in der juristischen Form einer Kapitalgesellschaft, die unter Besatzungsrecht betrieben wird. Andere Neurechte vermuten, dass der amerikanische Geheimdienst Edelfedern in den Redaktionsstuben der »CIA-Qualitätsmedien« finanziert, die die deutsche Bevölkerung im Sinne des tiefen US-amerikanischen Staates beeinflussen sollen. Als Teil der »Vasallenpresse« sorgen sie dafür, dass Deutschland nicht als souveräner Staat handelt. Für wieder andere neurechte Kommentatoren haben wir es in der Bundesrepublik mit »Bilderberger-Medien« zu tun, die nur jene Informationen berichten, die von der Bilderberg-Gruppe, jenem informellen Zusammenschluss einflussreicher Personen aus Politik, Wirtschaft, Militär, Wissenschaft und Medien, genehmigt werden. Wichtiger noch sind allerdings jene Nachrichten, die die Bilderberg-Gruppe nicht für die sogenannten »NWO-« bzw. »Globalisten-Medien« freigibt, um durch selektives Informieren an der Verwirklichung einer neuen Weltordnung zu arbeiten. Oder wie es ein Kommentator ausdrückt: Die »Medien in der BRD sind Lohnschreiberanstalten der NWO und bedienen die Deutschen Ottos in ihrer Illusion von Demokratie, Freiheit und Rechtsstaat«.
Schmähungen für öffentlich-rechtliche Medien
Besonders häufig werden die öffentlich-rechtlichen Medien zur Zielscheibe neurechter Schmähungen. Die Anklage lautet auf Propaganda »(Regierung-Altparteien-Medien-Propagandamaschine«, »Agitprop-Staatsfunk«, »Gesinnungs-Staatsfunk)«, Volksverdummung »(ÖR-Dummfunk«, »Idiokratie-Fördermedien«, »Michelverdummungsfernsehen)«, Förderung eines diktatorischen Regimes »(Goebbels-Staatsrundfunk«, »LinksFaschistenfunk«, »BRDDR-Staatsfunk)« und Verschwörung »(Soros-Staatsfunk«, »Erikajubelsender)«. Hinzu kommt noch der Vorwurf, durch eine islam-unkritische Berichterstattung der vermeintlichen Islamisierung Deutschlands den Weg zu bereiten und zwar durch Verharmlosung »(Islam-Appeaser-Medien«, »Islamkriecher-Anstalten)«, positive Berichterstattung »(Islamjubelmedien)« und Propaganda »(Schariamedien«, »Islamisierungsfunk)«. Diese Vorwürfe treffen auch einzelne öffentlich-rechtliche Medienanstalten. Das Kurzwort »ARD« wird dann beispielsweise als »Allah-Reichsfunk-Deutschland«, »AllahRuftDich« oder »AllahsRundfunkDawa« ausbuchstabiert, wobei »Da'wa« so viel wie »Einladung zum Islam« bedeutet. Auch das Kurzwort »ZDF« wird als »ZentraleDhimmiFront« und »ZentralesDhimmiFernguck« gelesen. Der Ausdruck »Dhimmi« steht für Nicht-Muslime unter dem Schutz islamischen Rechts und insinuiert in diesem Kontext, Deutschland sei bereits islamisiert.
Neurechte überbieten sich geradezu darin, ihre Kritik an den öffentlich-rechtlichen Medien in Verballhornungen der Sendernamen und längliche Wortkreationen zu verpacken. Das »ZDF« wird mit so originellen Schimpfnamen wie »ZuDooF« oder »ZuDummFernsehen« belegt oder als »Z-DDR-F«, »Zwangsgebühren-Desinformations-Funk« oder schlicht »ZDF-Volksverhetzer« bezeichnet. Die »ARD« wird als »DDR-1-ARD« mit dem Fernsehen der DDR gleichgesetzt oder als »SPD-Islam-Rotfunk-ARD« verleumdet. Und ihr werden mit den Bezeichnungen »ARDressurfunk« und »»das-ist-überregional-uninteressant«-ARD« gezielte Manipulationen der öffentlichen Meinungsbildung unterstellt. Der »Deutschlandfunk« wird in »Buntschlandfunk«, »Anti-Deutschlandfunk« und »Anti-Deutschen-Hetzfunk« umbenannt. Wegen seines Beitrags zur vermeintlichen Verblödung der deutschen Bevölkerung nennen ihn Neurechte auch »Deutschland-Dummfunk«, »Deutschlandverdummungsfunk« und »Doofland-Undeutschlandfunk«. Oder sie beschimpfen ihn schlicht als »Deutschlandfuck«. Den einzelnen Landesrundfunkanstalten wird oft vorgeworfen, linke Propaganda zu verbreiten. Entsprechend lauten ihre Namen in rechten Foren »Saarländisch-ssozialistischer Rundfunk«, »SüdWestRotfunk«, »HR-Linksversifft-Rotfunk«, »WestDeutscherRotfunk«, »NDDR-Rotfunk«, »R-otlichtsenderB-erlinB-randenburg«, »MDRotfunk« und »MDDR«. Der »Hessische Rundfunk« wird, eine hastig-hessische Aussprache nachahmend, zum »Hetzschundfunk«. Und in der Volksverdummungshierarchie landet der nur »MittelDoofeRundfunk« »(MDR)« auf dem dritten Platz hinter dem »Bayerischen Dummfunk« und dem Sieger »RestlosBescheuertBerlin« »(RBB)«. Eine besondere Hassliebe verbindet Neurechte freilich mit dem WDR. Dessen vermeintlich selektive Berichterstattung brachte ihm die Spitznamen »West-«, »Welt-« und »WixxerDemenzRundfunk« ein. Rechte Foristen unterstellen ihm in Schmähnamen wie »WDR-Invasionssender« und »WestDürkenRundfunk« eine migrationsfreundliche Haltung und erklären ihn insgesamt zu einer »WDRlichen Anstalt«.
Nicht einmal der »Kinderkanal« ist vor Beschimpfungen sicher, seit er die Dokumentation »Malvina, Diaa und die Liebe« ausstrahlte. In dieser auf neurechten Internetportalen als »Propagandafilm« skandalisierten Dokumentation werden die Freuden und Probleme einer deutsch-syrischen Liebe unter Teenagern gezeigt. Für Neurechte war das nicht hinnehmbar, obwohl die Probleme der interkulturellen Beziehung zur Sprache kamen. Seither steht der Kinderkanal unter Beobachtung und kann sich über Aufmerksamkeit in sozialen Medien und erregte Online-Debatten freuen, wenn Themen wie Sexualerziehung oder Migration in einer neurechten nicht genehmen Form präsentiert werden. Und das, obwohl die Kommentatoren altersmäßig eigentlich nicht der Zielgruppe des Senders entsprechen. Dann ist schnell von »Islamisierungs-Kika« und »Kika-Islamistenpropaganda« die Rede. Oder von »KiKa-Kuppelei«, vom »Kinderanal« und »KiKa-Pervers-Kanal« sowie von »Kika18«+. Wie weit sich einige Neurechte in ihrem Furor von der Realität entfernt haben, oder anders, zu welchen maßlosen Übertreibungen sie im Namen ihrer politischen Agenda bereit sind, belegen Namen wie »KIndes-Missbrauch-KAnal« und »Ki(nder)Fi(cker)-Kanal«. Nicht minder enthemmt lesen sich Schmähnamen, die dem Sender politische Indoktrination unterstellen, wie »Kindymedia«, »VolksKinderSSkandalSender« und »Kinderstürmer«.
Dagegen klingt es geradezu nach konstruktiver Kritik, wenn Neurechte das »Morgenmagazin« als »MorgenGAGAzin« schmähen, das medienkritische Journal »ZappZAPPenduster« nennen oder ein öffentlich-rechtliches Kulturmagazin als »Titel Thesen und Demente« verspotten. Beinahe leid können einem Neurechte tun, wenn Sie nicht einmal mehr »Tatort« schauen können, weil sie das Sendeformat als »Schulfunk«, »Volkserziehungsinstrument« und »Erziehungs-TV« empfinden, wenn einmal sozialkritische Themen aufgegriffen werden. Dass der »Presseclub« in neurechten Augen ein »DDR1-Presseclub« und »Lügenpresseclub« ist, vermag kaum zu überraschen. Auch nicht, dass öffentlich-rechtliche Nachrichtensendungen als »ZDF-LügenVerschweigejournal«, »ARD-Staatspropaganda-Tagesthemen«, »DDR1-Aktuelle-Kamera-Tagesthemen« und »ARD-Mittagshetzjournal« besonders gerne zur Zielscheibe neurechter Angriffe werden. Gerne erregen sich Neurechte auch über die Politmagazine der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender. Etwa über die Sendung »NDDR3/Panorama« der »»Panorama«-Chefideologin« Anja Reschke. Oder über das Politmagazin »WDDR-Monitor« mit »Rotfunk-Chefredakteur« Georg Restle, der mitunter auch als »Restle-Rampe« bezeichnet wird. Obwohl AfD-Politikerinnen und -Politiker lange dort überrepräsentiert waren, sind politische Talksendungen für Neurechte »WillMaischbergerIllnerLanz-PsychoTalkrunden« und ein einziger »Kreischberger-Willnicht-Blaszwerg-Illness-Eintopf«.
Feindbild Presse
Es soll freilich nicht der Eindruck erweckt werden, allein der öffentlich-rechtliche Rundfunk stehe im Kreuzfeuer neurechter Medienkritik. Auch privatwirtschaftliche Presseorgane finden keine Gnade auf einschlägigen Nachrichtenseiten, in Blogs und Kommentarspalten. »DER SPIEGEL«, der schon länger als »Hanseaten-Prawda« verulkt wird, ist für Neurechte ein »linksbuntes Ranzblatt«, der »Stürmer der linken Bourgeoisie« oder einfach nur der »Speigel«. Die Wochenzeitung »DIE ZEIT« wird als »Transatlantischer Generalanzeiger«, Produkt der »ZEITgeist-Journaille« und »rassistische Hetzzeitung« bezeichnet. Beide gelten Neurechten als »Propagandainstrumente der Links- und Ökofaschisten, der Deutschlandhasser und der Multikulti-Hohepriester«. Auch die ansonsten nicht linksverdächtigen Presseerzeugnisse aus dem Hause »Springer« finden vor dem kritisch-differenzierten Blick der neurechten Medienkritik keine Gnade. Die »WELT« gilt hier als »Hauspostille des Systems Merkel«, »Merkelposaune« oder einfach nur als »verkommenes Stricher-Blatt«. Selbst die »BILD« ist als »BLÖD-»Zeitung«« und »BILD-Exkrement-Zeitung« ständiger Kritik ausgesetzt. Diese zielt einerseits auf ihre Leserschaft, die ihr die Schmähnamen »Unterschichten-BLÖD« und »BILDungsfern« eingebracht hat. Andererseits auf ihre transatlantikfreundliche und AfD-kritische Haltung, die sie als »CIA-BLÖD-Zeitung« und »OberBLÖD-Anti-AfD-Hetzer-Zeitung« zur »FeindBILD« der Neurechten macht.
Viele Autoren und Kommentatoren rechter Nachrichtenseiten sind bereits an einer Position im politischen Spektrum angekommen, an der die »FAZ« als »linksextremes Hetzblatt« und »neue Prawda« erscheint. Dass es sich bei ihr um eine »TAZ für Besserverdienende« und eine »Nutte von linkem Abschaum« handelt, ist eine allseits akzeptierte Meinung. Manch einer tituliert sie schlicht als »Fo-Arsch-Zeitung«, wobei der taktvolle Autor auf das Ausschreiben des vulgärsprachlichen Ausdrucks für Vulva vornehm verzichtet. Auch die »Süddeutsche Zeitung« darf sich mit dem zweifelhaften Titel der »Alpenprawda« und nach ihrem ehemaligen Chefredakteur Heribert Prantl »Prantlstifter-Prawda« schmücken. Mit Schmähnamen wie »Süddeutscher Beobachter« und »Vielvölkischer Beobachter aus München« wird die Zeitung einerseits mit dem ebenfalls in München erschienenen Kampfblatt der NS-Zeit »Völkischer Beobachter« gleichgesetzt, mit der Charakterisierung als »verknöcherte linksreaktionäre Zeitung« jedoch am anderen Ende des politischen Spektrums verortet. Zwar bemühen sich einige, das Blatt als »SÜDDEUTSCHE-ZEITverschwendUNG« abzutun, die Inbrunst, mit der die Zeitung geschmäht wird, lässt freilich darauf schließen, dass dies mehr schlecht als recht gelingt.
So einseitig die Medienkritik auf neurechten Plattformen auch ausfallen mag, so vielfältig sind ihre Ziele – denn auch Regionalzeitungen werden noch mit Schmähausdrücken bedacht. Die »Hannoversche Allgemeine Zeitung« wird zur »VolksverHAZung«, der »General-Anzeiger« zum »General-Verschweiger-Bonn«, die »Mainpost« zur »Mainpest«, die »Hamburger Morgenpost« nach dem gleichen Muster zur »Morgenpest« und das »linksfaschistisch-pädophile Schreibtischmörder Lügen-Drecksblatt«» Tagesspiegel« zum »Tageslügel«. Gewürdigt werden müssen auch die neuen Namen für das »FOCUS Magazin«, das als »Lügen-Propaganda-« und »Vertuschungs-Focus« geschmäht, und als »FAKTEN-FAKTEN-FAKTEN-Locus« verhöhnt wird. Überhaupt erfreuen sich fäkalienkontaminierte Bezeichnungen für Presseerzeugnisse großer Beliebtheit in neurechten Kreisen. Neben dem »Lügen-« und »NWO-Locus« gilt der »Cicero« als »angepasste Merkel-Scheißhaus-Postille« und die »Huffington Post« (auch »Huffington-Pest«) trug den Namen »HuffPUPS«. Auch das Nachrichtenportal »T-Online« erfüllt nicht die hohen Ansprüche rechter Nachrichtenkundschaft und wird als »T-Onleid«, »T-OnLIE« oder »T-On-Lüg« tituliert. Und selbst die »Junge Freiheit« lässt als »junge Feigheit« die stramme Haltung vermissen, die sich Neurechte von einer patriotischen Presse wünschen.
Antiliberale Pressekritik
Die Kritik Neurechter an dem, was sie als »BRD-Mainstreammedien«, »Flussmittemedien«, »Gleichstrom-Medien« oder »Einheitsbreimedien« bezeichnen, ist weder differenziert noch argumentativ begründet. Alle Medien werden über einen Kamm geschoren und stereotyp als »Lügen-«, »Vertuscher-«, »Regierungspropaganda-«, »Links-«, »Manipulations-«, »Moralapostel-«, »Hetz-« und »Volksverrätermedien« abgeurteilt. Neurechte kritisieren die Orientierungsmedien nicht im Namen von mehr Meinungsvielfalt oder einer gerechteren Repräsentation aller Perspektiven oder Bevölkerungsgruppen in den Redaktionen. Ihnen ist allein daran gelegen, ihre eigene Meinung in Radio, Fernsehen, Zeitung und auf Nachrichtenportalen wiederzufinden. Alles, was dieser Meinung nicht entspricht, wird zum Ausfluss linksliberaler oder gar linksextremer Hegemonie erklärt, die es zu brechen, ja zu bekämpfen gilt. Wenn Neurechte einseitiges Framing beklagen oder sich zu Opfern linker Meinungsmacht stilisieren, dann geschieht dies nicht im Namen von mehr Partizipation oder einer Liberalisierung öffentlicher Debatten. Im Gegenteil. Der Zweck ist die Entkopplung von diesen öffentlichen Debatten und damit auch die Entbindung von den Ansprüchen, die man an Journalismus stellen muss.
Indem Neurechte die Orientierungsmedien als einen Teil der Öffentlichkeit darstellen, in dem nicht recherchiert, argumentiert und abgewogen wird, sondern nur Falschheiten verbreitet und Meinungen manipuliert werden, legitimieren sie nämlich ihre eigene Strategie im Kampf um Hegemonie. Und die besteht darin, die regulative Idee der Wahrheit dadurch zu ersetzen, dass jedes veröffentlichte Wort parteiisch, jeder Bericht interessengeleitet ist. Und so genügen sich neurechte Onlinemedien darin, genau das zu tun, was sie den Orientierungsmedien vorwerfen: Meinungen zu verbreiten und die Haltungen ihrer Leserschaft zu bestärken. Und das, obgleich »Haltungsjournalismus« eines der beliebtesten Schimpfwörter für die Orientierungsmedien ist. Investigative Recherche und redaktionelle Sorgfalt jedenfalls sucht man in den sogenannten alternativen Medien der neuen Rechten umsonst, von den im Pressekodex formulierten Geboten zur Achtung von Wahrheit und Menschenwürde, zum Ehrschutz und zur Vermeidung von Diskriminierung ganz zu schweigen. Wer »Vollzeit-Haltungsjournalisten« und »Aktivistenjournalisten« sucht, der wird hier am ehesten fündig. Dies hindert neurechte Medien freilich nicht daran, sich im Spannungsfeld von Wahrheit und Lüge am Pol der Wahrheit zu verorten. Denn was Neurechte Wahrheit nennen, fließt aus einer spezifischen Sicht der Dinge, man könnte auch sagen: aus Haltung.
Doch es geht um mehr als die Qualität des Journalismus. Für die neue Rechte sind Medien Politik. Für sie ist die von den Medien mitkonstituierte Öffentlichkeit das Ergebnis staatlicher Einflussnahme und Lenkung ganz so wie in diktatorischen und totalitären Regimen. Man glaubt sich im Kampf gegen »Front-Medien« und »Feindpresse«. Wenn aber die Presse ein Herrschaftsinstrument politischer Eliten ist, dann muss es Ziel all jener sein, die nach politischer Macht streben, Kontrolle über sie zu gewinnen. Kontrolle aber bedeutet weniger Meinungsvielfalt, weniger Diversität und weniger Freiheit. In einer Welt, in der alles als parteiisch gewertet wird, kann nur gelten, was von der herrschenden Partei als wahr beglaubigt wird. Und exakt dies ist das Bild von Öffentlichkeit, Medien und Politik, das unter den neuen Rechten vorherrscht. Es ist das Gegenteil vom Ideal einer liberalen Öffentlichkeit, in der öffentliche Meinung das Ergebnis von Debatten unter Bürgern ist und als Korrektiv gegenüber politischer Herrschaft wirkt. Neurechte Medienkritik ist daher letztlich Ausdruck einer autoritären Ideologie.
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