Leseprobe »Leichte Bewegung - Gewinn für Herz und Hirn«: Wer lebt am längsten?
Bei Menschen, die gemessen am Durchschnitt der Bevölkerung gesünder und länger leben, spielt die Bewegung eine herausragende Rolle.
6.1 Im Durchschnitt 90 bis 100 Jahre
Wenn man jene Völker untersucht, die für ihr hohes Alter bekannt sind, stellt man fest, dass es bemerkenswerte Gemeinsamkeiten gibt. Menschen aus dem Volk der Hunzas (Hunzukuc) am Rande des Karakorums/Himalaja werden bis zu 120 Jahre alt.1 Die Menschen haben dort mit 80 Jahren noch ihre Originalzähne, spielen Polo und Volleyball, 100-jährige Männer sind noch zeugungsfähig.
Die Völker der Abchasen, Armenier, Aserbaidschaner, Georgier, Tadschiken werden im Durchschnitt 90 bis 100 Jahre alt, nehmen lebenslang am Arbeitsleben aktiv, aber altersgemäß langsamer teil und sind in den Räten der Volksgemeinschaften präsent.2 Dort kennt man den Status des Rentners nicht.3
Auch auf Sardinien gibt es einen Landstrich der Langlebigen, das Zentrum der europäischen Methusalems. Als der laut Guinnessbuch älteste Mensch der Welt Antonio Todde 113 Jahre wurde, berichte man, dass er es liebte, sich mit Bekannten und Besuchern im Armdrücken zu messen.4
6.2 Gründe
Als Gründe für ein langes Leben werden genannt:
- intakte Umwelt
- stressarmes Leben
- stabiler Familienverband
- körperliche Aktivität5
All diesen Völkern ist also gemein, dass sie sich viel bewegen, miteinander spielen und tanzen. Vom Volk der Okinawas, bei denen es viele Hundertjährige gibt, wissen wir, dass sie das Karate erfunden haben. Sie spielen »Torball«, eine Art Krocket, und sie tanzen zum »Sanshin«, der traditionellen Volksmusik.6
Bewegung, die Arznei für schlaue Leute!
Die japanische Insel Okinawa ist reich an über Hundertjährigen. Aber das bei uns so gefürchtete Rentenproblem gibt es nicht, denn man kennt dort keinen Ruhestand. Dazu gibt es kaum Herzkreislaufkranke, die Krebsrate zählt zu den niedrigsten auf der Welt. Alzheimer ist äußerst selten. Das Geheimnis des Altwerdens liegt dort in der Ernährung (8 × am Tag in kleinen Portionen Gemüse, Hülsenfrüchte, Sojabohnen, Fisch, ab und zu mal Schweinefleisch und ein Schlückchen Reiswein). Sie essen nur, bis der Magen zu 80 % voll ist (wir dagegen hören erst dann auf, wenn nichts mehr reingeht). Die Inselbewohner zeichnen sich aus durch geistige und körperliche Beweglichkeit und eine tiefe Spiritualität. Über die Okinawas sagt Dr. B. J. Willcox, Altersmediziner: »Ich habe noch nie eine Gegend gesehen, wo die Menschen so oft tanzen. Sie – die Okinawas – zeichnen sich durch geistige und körperliche Beweglichkeit und eine tiefe Spiritualität aus.«7
Eine Referenzgruppe von Auswanderern dieser Volksgruppe nach Brasilien ergab, dass sie im Durchschnitt wegen der dortigen bequemeren Lebensgewohnheiten überraschenderweise 17 Jahre früher starben.8 Es wird oft behauptet, dass das Altern von den Genen bestimmt wird. Hier zeigt sich, dass die Lebensgewohnheiten ausschlaggebend sind.9
6.3 Die Ältesten tanzen im kältesten Dorf
Und noch eine Gruppe ist interessant: Die ältesten Menschen Russlands leben im kältesten Dorf der Welt, Oimjakon/Kamtschatka, wo die Temperatur im Januar durchschnittlich minus 50° C beträgt und das nächste Krankenhaus 800 km entfernt ist, es keinen Arzt gibt und wo es wegen der nur zwei Monate langen Vegetationszeit kaum Gemüse gibt und nur Pferdefleisch zur Verfügung steht. Dort werden die Menschen nicht nur sehr selten krank, sondern sind zugleich die ältesten ganz Russlands.
Sie halten die Familie hoch, sind gesellig. Ihre liebste Freizeitbeschäftigung ist das Tanzen.10
Welchen Wert das Tanzen hat, beschreibt der Heilige Augustinus von Hippo schon um das Jahr 400 n. Chr.:
von der Schwere der Dinge
zur Gemeinschaft. Ich lobe den Tanz, der alles fordert und fördert,
Gesundheit und den klaren Geist
und eine beschwingte Seele. Der Tanz fordert den befreiten,
den beschwingten Menschen
im Gleichgewicht aller Kräfte.
Ich lobe den Tanz. Oh Mensch, lerne tanzen, sonst wissen die Engel
im Himmel mit Dir
nichts anzufangen.
Er erkannte schon früh den ganzheitlichen Anspruch, der sich aus tänzerischer Bewegung ergibt. Das Gemüt erhellt sich, die Gelenke profitieren, der Geist wird erfrischt. Am Beispiel der russischen Volksgruppe ist eindeutig widerlegt, dass es in erster Linie auf eine gute Ernährung ankommt, um gesund alt zu werden.
Im Gegenteil scheint es besser zu sein, sich schlecht zu ernähren, aber sich gut zu bewegen, als sich gut zu ernähren und dabei wenig zu bewegen …11.
Zusammengefasst kann man also sagen, dass der entscheidende Faktor Bewegung der alles entscheidende für ein gesundes und leistungsfähiges Altern ist. Kurzum, wir lernen aus der Anthropologie: Dezidiert feinmotorische Bewegungen haben lebenslang den wichtigsten Einfluss auf die menschliche Intelligenz.
Ein leuchtendes Beispiel gab der Mitte 2008 gestorbene Franz Künstler in dieser Hinsicht. Er war mit 108 Jahren bis zuletzt als ältester Museumsführer der Welt in Niederstetten, Baden-Württemberg aktiv und faszinierte nachfragende Besucher durch seine geistreichen Antworten.12
Fußnoten
- Day P, Der Kampf um die Gesundheit, Credence Publications, Tonbridge, England, S. 15–26.
- Täglich Butter trinken – und 168 Jahre alt werden, Die Welt v. 30.11.2012.
- Alt werden … Dr. phil. Lutz Anhalt, in Heilpraxis, 13.10.2019: »Die Bergregionen Chinas, Aserbaidschan und andere Regionen des Kaukasus sind seit Jahrhunderten für ihre hohe Anzahl an extrem Alten berühmt, und auch Abchasien ist für seine Greise und uralten Frauen bekannt.«
- WELT am SONNTAG, Insel der Hundertjährigen, 01.04.2001.
- Dr. Luca Deiana, Universität Sassari, Sardinien in Der Spiegel Special 4/2006, S. 109.
- Norbert F. Pötzl, Der Spiegel Special, Bewegung ist alles, 4/2006, S. 113.
- Ärztliche Praxis – Gesundheitszeitung, Ausg. 3, März 2004, S. 2.
- Prof. Kazuhiko Taira, Ryukyu Universität Okinawa, in Ärztliche Praxis – Gesundheitszeitung Ausg. 3, März 2004, S. 2.
- Dr. Phil Lutz Anhalt, Alt werden durch Gene oder gesundes Leben? in Heilpraxisnet, 13.10.2019.
- Marius Born in Die Welt vom 20.01.2007, S. R1.
- Einer der führenden Ökotrophologen Deutschlands, der Hamburger Prof. Dr. Michael Hamm, bestätigt meine These, dass es besser ist, sich schlecht zu ernähren, aber dabei gut zu bewegen, als umgekehrt sich gut zu ernähren, aber wenig zu bewegen.
- Die Welt vom 29.05.2008, S. 32.
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