Leseprobe »Mindset: Hoffnungsvoll«: Die Hoffnung steht vor der Tür
Als meine Ehe nach dreißig gemeinsamen Lebensjahren scheiterte, musste ich lernen, zuversichtlich zu sein. Da Sie dieses Buch in die Hand genommen haben, ist vielleicht auch in Ihrem Leben etwas ohne Vorwarnung eingetreten. Wie ein Schiff, das mit einem ungesehenen Eisberg kollidiert, ist Ihr Boot gesunken, und Sie kämpfen um Ihr Leben. Wenn so etwas geschieht, fühlen wir uns verunsichert und wissen nicht mehr, wie wir unser Leben fortsetzen sollen. Ich neige normalerweise nicht zu Depressionen. Ich bin gewöhnlich gut gelaunt, energiegeladen und lasse mich durch Rückschläge nicht entmutigen. Daher wurde ich, als meine Frau und ich uns trennten und dann scheiden ließen, von meiner trüben Stimmung, geringen Energie und dem Verlust jeglicher Begeisterung völlig aus der Bahn geworfen. Am schwierigsten war die Arbeit. Es gibt nichts Schlimmeres als einen depressiven Psychologen. Ich arbeitete weiter in der Klinik, aber es fiel mir schwer, Leuten zuzuhören, die über ihre Depressionen sprachen, während ich meine eigene kaum verkraften konnte. Sie glauben, das ist schlimm? Dann lassen Sie sich erzählen, wie es mir ergangen ist …
Ich kam in Kontakt mit der Positiven Psychologie. Mein bester Freund machte eine Fortbildung zum positiven Psychologen, und er riet mir, deren Techniken auszuprobieren – zum Beispiel jeden Morgen den vorigen Tag durch die Linse der Dankbarkeit zu betrachten – oder jemand anderem etwas Gutes zu tun. Zunächst schien es, als würde ich mit Erbsen auf einen Panzerkreuzer schießen. Wie sollten diese kleinen Änderungen etwas gegen den riesigen Schmerz in meinem Innern ausrichten? Aber nichts anderes half. Ich brauchte Hilfe, um mein Leben und meine Zukunft wieder wertzuschätzen. Das war früher nie ein Problem gewesen, aber nun kam es mir unmöglich vor.
Alles, wofür ich gearbeitet, worauf ich gehoff und woran ich geglaubt hatte, lag scheinbar in Trümmern. Meine Vision für die Zukunft beschränkte sich aufs bloße Überleben. Dankbar zu sein und anderen Gutes zu tun, entsprach nicht meinen Vorstellungen von Genesung. Es kam mir zu schlicht, zu einfach, zu uneffektiv vor, um mir aus meiner Niedergeschlagenheit zu helfen. Ich musste mich mit äußerst schmerzhaften finanziellen, sozialen und emotionalen Problemen herumschlagen. Wie sollte sich das verändern, wenn ich meinen elenden Tag durch die Linse der Dankbarkeit betrachtete?
Hoffnung ist nie weiter entfernt als der nächste Gedanke
Mein Freund blieb dennoch beharrlich und schleifte mich mit auf den ersten Kongress der »International Positive Psychology Association«, wo ich zum ersten Mal von der tiefgreifenden Forschung erfuhr, die auf diesem Gebiet stattfindet. Wenn das, was hier vorgestellt wurde, auch nur ansatzweise stimmte, dann stand die Psychologie vor einer neuen Morgenröte. Ich erfuhr, dass die Positive Psychologie sich mit den Stärken befasst, die Menschen und Gemeinschaften befähigen, aufzublühen und zu gedeihen, denn sie basiert auf der Überzeugung, dass alle Menschen nach einem erfüllten, bedeutungsvollen Leben streben, und sie richtet ihr Augenmerk darauf, wie man die inneren Stärken am besten fördern kann. Die Forschung hat das Ziel, dass man sich öfter glücklicher fühlt, indem man Liebe, Arbeit und Spiel intensiver erlebt. Diese Herangehensweise bot mir einen Vorgeschmack auf echte Zuversicht.
Auf einfachste Weise vermittelte mir diese Forschung, dass es möglich war, etwas an meinen Gefühlen zu ändern, dass ich meine Gefühle aktiv verwandeln konnte. Nach meiner ganzen Ausbildung, meiner Berufserfahrung und bei aller Supervision kam ich hier zum ersten Mal zu der Überzeugung, dass düstere Gefühle tatsächlich verändert und nicht nur ertragen werden können. Dieser Gedanke führte dazu, dass ich mir die Erkenntnisse und die Praktiken der Positiven Psychologie zu eigen machte, die mich lehrten, wieder Hoffnung zu schöpfen.
Vom Überleben zum Wohlbefinden
Das Feld der klinischen Psychologie konzentriert sich herkömmlicherweise darauf, die Probleme, die emotionalen Schmerz und Geisteskrankheiten verursachen, zu identifizieren und dann daran zu arbeiten, die Symptome zu mildern. Funktionieren unsere Methoden – verschiedene Arten der Gesprächstherapie, manchmal Medikation? Ja. Funktionieren sie gut und nachhaltig? In allzu vielen Fällen muss man das leider verneinen. Es lässt sich nicht verhehlen, dass 80 Prozent derer, die von einer Depression geheilt werden, einen Rückfall erleiden. Wenn Sie dieses Buch lesen, gehören Sie vielleicht zu diesen 80 Prozent.
Vielleicht haben Sie etwas gefunden, das Ihnen geholfen hat – Therapie, Medikamente, Ernährungsumstellung, Sport, besserer Schlaf, mehr Sonnenlicht –, aber vielleicht hat es nur ein bisschen geholfen oder nur für eine begrenzte Zeit. Die Bemühungen hatten Erfolg, waren aber nicht nachhaltig. Warum? Weil die traditionelle Psychologie und die Medikamente eo ipso nur die halbe Arbeit leisten: Sie holen uns aus dem Loch, aber sie halten uns nicht wirklich davon fern. Der Teufelskreis geht weiter.
Was aber ist mit den 20 Prozent, die gesund werden und keinen Rückfall erleiden? In einer Reihe von Studien, die darauf abzielten, Depressionssymptome zu vermindern, fanden die Forscher heraus, dass die Teilnehmenden durch ganz einfache Methoden, mit denen sie ihre inneren Stärken zu fördern lernten, nicht nur keinen Rückfall erlitten, sondern auch über ein Jahr lang imstande waren, ihr Wohlbefinden aufrechtzuerhalten. Sie lernten nicht nur, der Depression auszuweichen, sie lernten ebenso oft, daran zu wachsen. Sie lernten Zuversicht.
Wie wir auf diesen Seiten sehen werden, ist Zuversicht – oder Hoffnung, wie ich sie auch nenne – nicht so sehr ein Gemütszustand als vielmehr eine angewöhnte Haltung des Bewusstseins und des Herzens. Und Gewohnheiten kann man ändern.
Hoffnungsfähigkeiten können keine der Behandlungen ersetzen, um eine Depression in den Griff zu bekommen. Wenn Sie eine Depression haben und Medikamente nehmen müssen, dann fahren Sie unbedingt damit fort. Wenn Sie eine körperliche Routine haben, die Ihnen hilft, machen Sie damit weiter. Wenn Sie gesunde Gewohnheiten entwickelt haben wie Sport, guten Schlaf, gesunde Ernährung – dann bleiben Sie dabei! Sie fördern Ihre seelische genauso wie Ihre körperliche Gesundheit. Wenn es auf diesen Gebieten noch Verbesserungsmöglichkeiten gibt, dann wird Ihnen das, was Sie in diesem Buch lesen, helfen, diese Verbesserungen anzugehen.
Gewohnheiten des Herzens, des Bewusstseins und Körpers wirken sich positiv oder negativ auf unsere Stimmung aus, je nachdem. In diesem Buch will ich eine Reihe von Gewohnheiten von Herz und Bewusstsein vorstellen, die dazu dienen, unser Wohlbefinden zu fördern. Wenn wir der Wissenschaft der Positiven Psychologie folgen, die sich mit dem emotionalen Wohlbefinden beschäftigt, können wir den Einfluss, den gesunde Strategien auf unser Leben haben, maximieren. Und Sie werden zusätzliche Werkzeuge kennenlernen, mit denen Sie Ihre bisherigen Lebensroutinen erweitern können.
»Hoffnung ist nicht so etwas wie ein Garantieschein, sondern Ausdruck von Energie, und häufig ist diese Energie besonders stark unter den finstersten Umständen.«
John Berger
Die Praktiken der Positiven Psychologie werden Ihren Werkzeugkasten bereichern, mit dem Sie nicht nur Niedergeschlagenheit, negative Gedanken und Trauer bekämpfen, sondern auch Ihre positiven Eigenschaften formen und fördern. Genuss, Achtsamkeit, Vertrauen, Hoffnung, Wohlbefinden und Optimismus sind nur einige der seelischen Bereiche, die Sie für sich stärken werden. Wenn Sie Instrumente an die Hand bekommen, die sowohl Ihr Leid lindern als auch Ihr Wohlfühlen steigern, dann lernen Sie, sich aus einem negativen Bereich herauszuarbeiten, auch draußen zu bleiben und ein glücklicheres Leben zu führen.
Es ist nämlich einfach so: Nicht deprimiert zu sein ist nicht dasselbe, wie glücklich zu sein. Ob Sie nun mit einer milderen oder einer schlimmeren Form der Depression kämpfen, Sie werden lernen, die Hoffnung zu stärken und glücklicher zu sein. Die Werkzeuge der herkömmlichen Psychologie dienen dazu, Leid zu lindern. Die Werkzeuge der Positiven Psychologie fördern das Wohlbefinden. Die Verbindung aus beidem führt zu einer echten und nachhaltigen Veränderung. Diese Fähigkeiten haben die Kraft, Ihr Welterleben zu verändern.
Ihr Weg durch dieses Buch
Wenn wir keine Fortschritte machen, so liegt das daran, dass wir die Hindernisse nicht sehen, die wir uns selbst in den Weg legen, einschließlich unserer eigenen Entscheidungen und Gedankenschleifen. Immerfort kreisende Gedanken rauben uns Energie und blockieren unsere Positivität. Die Abwärtsspirale negativer Gedanken ist wie ein Zug ohne Bremse – sie führt dazu, dass wir unsere Situation als fest und unveränderbar wahrnehmen. Wenn Sie jemals zu erschöpft waren, um auch nur zu versuchen, aus Ihrer Niedergeschlagenheit herauszufinden – so sind Sie nicht allein.
Was uns vertraut ist, zieht uns an, und wenn das Vertraute eben aus negativem Denken besteht, dann wird es uns schwerfallen, Positives überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Das ist ein circulus vitiosus, und dieses Buch wird Sie lehren, diesen Teufelskreis zu unterbrechen und seine Richtung umzukehren – von heute an. Einige Werkzeuge, die Sie in diesem Buch erlernen werden, helfen Ihnen, sich aus der Vergangenheit zu befreien, andere werden Ihnen helfen, die Gegenwart wirklich zu erleben und Ihre Zukunft neu zu gestalten. Die besten Praktiken können all dies gleichzeitig erreichen.
Das Buch ist so strukturiert, wie ich auch meinen Klientinnen und Klienten diese Prinzipien nahebringe. Das erste Kapitel gibt Ihnen Grundkenntnisse über die Prinzipien der Positiven Psychologie und der Forschung, die sich mit der effektiven Unterbrechung depressiver Abwärtsspiralen beschäftigt. Es wird Sie auch mit einigen Übungen vertraut machen, die Ihnen einen Eindruck vermitteln, wie wirkungsvoll diese Instrumente sein können. Jedes der dann folgenden sieben Kapitel handelt von einer Entscheidung, die Sie treffen können, um Zuversicht zu erlernen, sowie von den Werkzeugen, die dabei helfen, diese neuen Gewohnheiten zu entwickeln. Wenn sie zur Gewohnheit werden, wird es zunehmend leichter, diese Werkzeuge anzuwenden.
Entscheidung | Werkzeuge, um: |
---|---|
Möglichkeiten sehen | die eigenen Überzeugungen über unsere Einschränkungen anzufechten |
Die Wahrnehmung verändern | negative Überzeugungen in zuversichtliche zu verwandeln |
Gefühle formen | positive Emotionen zu üben |
Eigene Stärken erforschen | die besten Charaktereigenschaften herauszufinden, um das Leben zu verbessern |
Mikroziele setzen | Ziele zu setzen, die so angepasst sind, dass sie motivierend wirken |
Einen Lebenssinn finden | Lebensprioritäten zu entwickeln und herauszufinden, was einem wichtig ist |
Beziehungen wertschätzen | Zu anderen eine Verbindung aufzubauen und zu lernen, wie man gibt und empfängt |
Jedes der folgenden Kapitel wird die Grundideen vorstellen, die wir durcharbeiten wollen, in die Forschung einführen und Ihnen durch Explorationsübungen zu neuen Fähigkeiten und praxisbezogenen Werkzeugen verhelfen. All dies wird Ihre Zuversicht, Resilienz und Ihr Wohlbefinden stärken. Außerdem werde ich von beispielhaften Fallstudien berichten. Alle Namen und Details sind gemäß den Richtlinien der »American Psychological Association« zur Verwendung von Fallstudien durch Fremdnamen etc. ersetzt worden.
Damit Sie Ihre Fortschritte verfolgen können, schlage ich vor, dass Sie ein Tagebuch führen, in handschriftlicher oder digitaler Form. Es ist mir wichtig, dass Sie spüren, was geschieht, wenn wir diese Explorationen unternehmen, damit Sie ihre Wirkung abschätzen können. Am effektivsten ist es, wenn Sie die Übungen immer gleich durchführen. Ich weiß, dass die Versuchung groß ist, weiterzulesen und die Aufgaben auf später zu verschieben, aber wenn Sie sie machen, sobald sie im Buch auftauchen, nehmen Sie deutlicher wahr, wie es sich anfühlt, wenn wir unseren Blickwinkel und die Art, wie unser Gehirn Informationen verarbeitet, verändern. Das wird Ihnen immer wieder vor Augen führen, was wie funktioniert hat.
Fangen wir an – die Hoffnung steht vor der Tür.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.