Leseprobe »Was Hunde wissen«: Was wissen Hunde über ihre Umwelt?
In diesem Kapitel wollen wir uns die Frage stellen, was der Hund über seine unbelebte Umwelt versteht. Kann er einfache physikalische Zusammenhänge nachvollziehen? Weiß er z. B., dass Gegenstände, die man fallen lässt, immer auf der Erde landen? »Wundert« er sich, wenn etwas Unerklärbares passiert? Wie findet er sich in seiner Umgebung zurecht? Kann er Mengen unterscheiden? Wir werden feststellen: Hunde zeigen bemerkenswerte Fähigkeiten, wenn es darum geht. etwas zu erschnüffeln. Bei den meisten anderen Studien über die unbelebte Umwelt nutzen Hunde zur Problemlösung bestimmte Strategien. Oft »verstehen sie« aber die damit zusammenhängenden Vorgänge nicht, weil sie es gar nicht brauchen. Die Strategien, die sie entwickelt haben, sind erfolgreich genug.
Eine Szene im Foyer des Instituts: Wir sind gerade von einem Spaziergang zurückgekehrt. Nun möchte sich meine Kollegin in der Cafeteria einen Kaffee holen. Ihr Schäferhundrüde Benny strebt seiner Besitzerin hinterher. Doch in der Cafeteria sind Hunde nicht erlaubt. Ich werde ihn schon einmal mit ins Büro nehmen und führe ihn in Richtung Fahrstuhl. Der befindet sich in der Mitte des Foyers. Von dort aus kann man durch die großen Glasscheiben in die Cafeteria schauen. Benny kommt zwar gehorsam mit in den Fahrstuhl. Doch kaum ist er drin, dreht er sich herum. Er zieht an der Leine – in Richtung seiner Besitzerin, die er noch immer sehen kann. Die Fahrstuhltür schließt sich, und geht Sekunden später im ersten Stock wieder auf. Keine Besitzerin mehr zu sehen. Benny wundert sich offensichtlich – nicht. Er zieht nicht mehr an der Leine und lässt sich ohne Probleme ins Büro führen. Natürlich, werden Sie sagen. Er weiß, dass er mit dem Fahrstuhl einen Stock höher gefahren ist. Aber hat er das wirklich verstanden?
In den voran gegangen Kapitel dieses Buches ging es darum, was der Hund über den Menschen versteht. Wir haben darüber gesprochen, ob er vom Menschen lernt und wie er auf Worte und Gesten reagiert. Aber all die geschilderten Situationen waren sozial. Das heißt immer spielte der Mensch oder zumindest ein Artgenosse eine Rolle.
Jetzt wollen wir uns die Frage stellen, was der Hund von seiner Umwelt versteht. Kann er einfache physikalische Zusammenhänge nachvollziehen? Weiß er z. B., dass Gegenstände, die man fallen lässt, immer auf der Erde landen? »Wundert« er sich, wenn etwas Unerklärbares passiert? Wie findet er sich in seiner Umgebung zurecht? Kann er Mengen unterscheiden?
Was uns aber am meisten interessiert, ist, wie flexibel diese Fähigkeiten sind. Die Frage dabei ist, ob sich Hunde auf neue Situationen einstellen können. Im Zusammenleben mit dem Menschen zeigen sich unsere Zöglinge ja sehr flexibel. Z. B. haben wir gesehen, dass Hunde nicht nur sensibel für die Aufmerksamkeit des Menschen sind, wenn sie von betteln. Sondern auch, wenn sie nach verbotenem Futter schnappen oder ihm ein Spielzeug bringen. Sind Hunde genau so flexibel, wenn es um ihre unbelebte Umwelt geht?
Die Objekt-Permanenz
Kommen wir erst einmal zum Schäferhundrüden Benny zurück. Vielleicht weiß er genau, wie ein Fahrstuhl funktioniert. Aber das ist relativ unwahrscheinlich. Wenn er es nicht weiß, ist es seltsam, dass er sich nicht »gewundert« hat, als die Fahrstuhltür aufging. Denn seine Besitzerin war plötzlich nicht mehr zu sehen. Warum wunderte sich Benny nicht? Hat er etwa in so kurzer Zeit vergessen, dass sie eben noch da stand, als die Fahrstuhltür zu ging? Weiß er nicht, dass jemand oder etwas weiter existiert, auch wenn man es nicht sieht? Aus den Augen, aus dem Sinn?
Natürlich nicht, werden sie sagen, sonst wäre es kein lustiges Spiel, das Lieblingsspielzeug Ihres Zöglings zu verstecken. Denn der sucht den Ball, wenn sie ihn haben verschwinden lassen. Manche Hunde holen sogar heute den Stock vom gestrigen Spaziergang wieder aus dem Gebüsch. Und meine Hündin Mora vergisst anscheinend nie die Existenz eines Komposthaufens, von dem sie sich einmal erfolgreich einen Knochen geholt hat.
Es sieht also so aus, als ob Hunde ein Verständnis von Objekt-Permanenz haben. Das heißt, sie verstehen, dass jemand oder etwas weiter existiert, auch wenn man es gerade nicht wahrnehmen kann. Versuche von verschiedenen Forschergruppen haben das bestätigt. Wie testet man Objekt-Permanenz? Wie immer geht es um Spielzeug oder Futter. Außerdem sind mehrere Barrieren nebeneinander in einer Reihe aufgestellt. Der Hund sitzt ihnen gegenüber, sodass er nicht dahinter sehen kann. Nun wird ein Ball vor den Augen des Testtieres hinter einer Barriere versteckt. Die Frage ist ganz einfach: Wo wird der Hund suchen? Die Übung fällt ihm nicht schwer, er geht zur richtigen Barriere, um seinen Ball wieder zu finden. Damit verhält er sich wie ein 8 Monate altes Baby. Wenn es sieht, wie man ein Spielzeug unter einer Decke versteckt, wird es diese anheben, um sich das Spielzeug wieder zu holen. Hunde wie Kinder in diesem Alter vergessen also das Spielzeug nicht, sondern suchen zielgerichtet danach.
Vielleicht gibt es für das Verhalten der Hunde aber noch eine andere Erklärung. Vielleicht sind sie nur deshalb so zielstrebig zur richtigen Barriere gegangen, weil sie ihren Ball gerochen haben? Wissenschaftler aus Quebec, Kanada wollten dies mit Sicherheit ausschließen und griffen dabei zu einer etwas eigenartigen Methode. Sie benutzen vier identische Spielzeuge aus Gummi. Alle vier Barrieren wurden genauso wie die Spielzeuge mit stark duftendem Rosenwasser eingesprüht. Außerdem legten sie drei der vier Spielzeuge schon hinter die Barrieren, bevor der Test begann. Nun wurde wie vorher ein Spielzeug vor den Augen des Hundes versteckt. Das heißt, jetzt rochen alle vier Barrieren gleich: nach Gummispielzeug und nach Rosenwasser. Die Hunde liefen auch jetzt zur richtigen Stelle. Sie bewiesen also, dass sie das Problem nicht mithilfe ihrer Nase, sondern mithilfe ihres Kopfes lösen konnten.
Der Ball im Behälter
Was aber passiert, wenn die Aufgabe etwas schwieriger wird? Wenn die Hunde nicht direkt beobachten können, wie das Spielzeug versteckt wird? In diesen Versuchen spielt außer dem Ball und den Barrieren auch noch ein kleiner Behälter eine Rolle (Abb. 8.1, in dieser Leseprobe nicht enthalten. Wuff!). Nun ist der Vorgang, den die Hunde sehen, etwas komplizierter: Der Ball wird in den Behälter getan. Dann verschwindet dieser hinter einer der Barrieren. Wenn der Behälter danach wieder hervor kommt, wird den Hunden gezeigt: er ist leer. Da sich der Ball schwerlich in Luft aufgelöst haben kann, muss er also nun hinter jener Barriere liegen. Um diesen Vorgang zu verstehen, muss man im Kopf nachvollziehen, was man nicht sehen kann. Man muss sich nicht nur vorstellen, wie der Ball aus dem Behälter hinter die Barriere getan wird. Sondern man muss sich auch merken, wo es war. Sind die Hunde dazu in der Lage? Verschiedene Forschergruppen haben diese Versuche durchgeführt. Meist laufen die Hunde zur richtigen Barriere – hinter der der Behälter mit dem Ball vorher verschwunden war.
In Quebec wurden Hunde so wohl vor die leichtere als auch vor die schwerere Aufgabe gestellt. Das Spielzeug wurde also entweder direkt vor den Augen der Testtiere versteckt. Oder es wanderte erst in den Behälter und dann hinter die Barriere. Es überrascht sicher nicht besonders, dass die Hunde das schwierige Problem mit dem Behälter zwar lösten, aber schlechter abschnitten als bei dem leichten. Zudem stellten die Forscher fest, dass die Hunde dann mehr ihre Nase zur Hilfe nahmen. Sie schnüffelten auf dem Boden, an den Barrieren und am Behälter. Auch wenn ihnen das nicht nützte, versuchten sie offensichtlich zusätzliche Informationen zu bekommen, wenn sie die Aufgabe nicht so einfach lösen konnten.
Was aber machte die Aufgabe für die Hunde schwieriger? Lag es vielleicht am Gedächtnis? Können sich die Hunde nicht »merken«, wo das Spielzeug ist, wenn sie nicht direkt sehen, wo es versteckt wird? Die Wissenschaftler fanden eine einfache Methode, diese Frage zu beantworten. In der einen Bedingung ließen sie die Hunde gleich nach dem Versteckvorgang los. Im anderen Fall mussten die Testtiere 10 bzw. 20 s warten, ehe sie ihr Spielzeug suchen durften. Die Ergebnisse waren eindeutig, die Hunde schnitten immer gleich gut ab, egal ob sie warten mussten oder nicht. Sie konnten sich also sehr wohl merken, wo der Behälter bzw. der Ball hingewandert war.
Die Hunde sind in der Lage, das Problem zu lösen und zur richtigen Barriere zu gehen. Ob sie den Vorgang aber wirklich »verstehen« – darüber streiten sich die Wissenschaftler noch. Einige nehmen an, dass sich die Hunde nach einfachen Regeln richten. Z. B. suchen sie den Ball nach der Regel: »Geh zu der Barriere, wo der Behälter als letztes war.« Oder: »Geh zu der Barriere, wo der Behälter daneben steht.« Für den Behälter, in dem der Ball verschwunden ist, interessieren sich die Hunde jedenfalls sehr.
Es gibt noch etwas, was die Hunde bei diesem Versuch beeinflusst haben könnte. Das ist der Mensch selbst. Wir haben in Kap. 6 gesehen, wie gut Hunde menschliche Gesten als Hinweis auf verstecktes Futter deuten können. Wir wissen auch, dass Gegenstände für die Hunde allein dadurch interessant werden, dass sich ein Mensch damit beschäftigt hat. In unserem Versuch muss der Ball ja irgendwie in den Behälter gelangen, und dieser dann hinter die Barriere. Die Wissenschaftler haben zwar immer versucht darauf zu achten, dass der Mensch dabei keine große Rolle spielte. Z. B. war oben an dem Behälter ein Holzstiel angebracht. Der Mensch berührte den Behälter also nie direkt, sondern bewegte ihn mithilfe des Stiels. Auch die Spielzeuge waren meist an einer Schnur befestigt, sodass sie nicht angefasst werden mussten. Trotzdem kann man nicht ganz ausschließen, dass das Verhalten des Menschen die Hunde bei ihrer Suche beeinflusst hat.
Wir wissen also immer noch nicht genau, was in den Köpfen der Hunde vor sich geht, wenn sie mit diesem Problem konfrontiert sind. Hier kann uns wiederum ein Vergleich mit Kindern weiter helfen. In Budapest wurden dazu 4 bis 6jährige Kinder getestet. Der Versuch lief hier etwas anders ab. Das Spielzeug wurde wieder in einen Behälter getan. Diesmal verschwand der Behälter jedoch nach einander hinter allen drei Barrieren, um dann leer wieder zu erscheinen. Die Kinder konnten nur raten, »wo« das Spielzeug versteckt war. Sie konnten aber schlussfolgern, dass es hinter einer der Barrieren versteckt war. Denn wo anders konnte er ja nicht sein. Nun wurden die Kinder aufgefordert, das Spielzeug wieder zu finden. Manchmal errieten sie sofort die richtige Stelle. Uns interessieren aber die Durchgänge, in denen sie falsch lagen. Wenn sie das Spielzeug hinter der ersten Barriere nicht fanden, liefen sie schnell zur zweiten, und noch schneller zur dritten. Offensichtlich verstanden die Kinder die Logik des Spiels ganz genau: Wenn das Spielzeug hinter der ersten und der zweiten Barriere nicht zu finden war – dann waren sie sich ganz sicher: es »musste« hinter der dritten liegen! Wenn man sie nach dem vergeblichen Besuch der zweiten Barriere gefragt hätte, wo sie das Spielzeug finden würden, dann hätten sie sicher geantwortet: »Dort, hinter der dritten Barriere muss es sein.«
Hunde vermögen auf solche Fragen leider nicht zu antworten. Aber man kann sie in dem selben Aufbau testen. Das taten die Wissenschaftler in Budapest. Auch die Hunde suchten nach dem Ball. Fanden sie ihn hinter der ersten Barriere nicht, liefen sie zur zweiten und zur dritten. Der entscheidende Unterschied zu den Kindern war, dass sie dabei nicht »schneller« wurden, sondern »langsamer«. Jede negative Erfahrung – nämlich, dass der Ball hinter einer Barriere nicht zu finden war, senkte offensichtlich ihren Anreiz, weiter zu suchen. Es ist nicht anzunehmen, dass sie so schnell das Interesse an dem Spielzeug verloren. Meine Hündin Nana würde stundenlang nach einem Ball suchen, der ins Gebüsch gerollt ist, wenn man sie ließe. Auch die Hunde in dem Versuch wollten sicher den Ball finden. Denn wenn sie ihn dann hinter der dritten Barriere fanden, spielten sie damit. Der Grund warum sie beim Suchen immer langsamer wurden war offensichtlich ein anderer. Sie waren davon entmutigt, dass sie den Ball nicht fanden. Und sie konnten – im Gegensatz zu den Kindern – nicht schlussfolgern, er »muss« hinter der dritten Barriere liegen. In anderen Worten, sie hatten die Logik des Spieles nicht ganz begriffen.
Was heißt das nun alles? Hunde verstehen zwar, dass ihr Spielzeug weiter existiert, wenn sie es nicht mehr sehen. Sie schauen dort nach, wo es verschwunden ist. Wenn das Spielzeug erst in einen Behälter getan wird, und dann hinter einer Barriere verschwindet, suchen sie auch meist an der richtigen Stelle. Aber sie können sich offensichtlich nicht »vorstellen«, wie der Ball aus dem Behälter hinter die Barriere getan wird.
Leider endet die Leseprobe an dieser Stelle. Das Buch bietet den Rest des Kapitels und mehr über Hunde.
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