Leseprobe »Vernetzte Verführungen«: Vernetzte Verführungen verstehen lernen
Stellen wir uns eine Kleinfamilie vor – Vater, Mutter und zwei Kinder. Sie gehört der Bürgerlichen Mitte an und hat kürzlich Saisonkarten für den Zoo erworben, den sie im Schnitt alle drei Wochen jeweils sonntags besucht. Bei dieser Gelegenheit schaut sie auch immer bei Ronny, dem jungen Schimpansen, vorbei, für den sie eine Tierpatenschaft übernommen hat. Zum Abschluss ihres Zoobesuchs gönnt sich die Familie stets ein leckeres Essen im Zoo-Restaurant. Nach einiger Zeit werden den Eltern regelmäßig Coupons des Zoo-Restaurants zugesendet. Schätzungen, basierend auf den historischen Daten, haben ergeben, dass die Eltern, nennen wir sie Jens und Simone, gleichbleibend im Zoo- Restaurant weitaus mehr ausgeben werden als die Coupons wert sind. Zusätzliche Auswertungen von Daten aus dem Web und den sozialen Medien haben aufgedeckt, dass die Familie einen Hund hat und anscheinend sehr tierlieb ist. Diese Datenlage führt auf einmal zu einer Flut an Botschaften und Angeboten von Unternehmen, Marketing-Dienstleistern, Organisationen, Verlagen und Plattformbetreibern, die die Eigenschaft der Tierhaltung und Tierliebe für sich nutzen wollen. Simone erhält ein Angebot für ein kostenloses dreimonatiges Probeabo einer Tierzeitschrift. Auch wird ihr ein neues Hundefutter zu einem vergünstigten Einführungspreis angeboten. Auf dem Reiseportal im World Wide Web, das sie regelmäßig besucht, findet sie plötzlich vermehrt Artikel über Ferien auf dem Bauernhof und Familien-Safaris in Afrika. Dazu passend erscheinen auch Anzeigen von Plattformen, die auf die Vermittlung derartiger Reisen spezialisiert sind, sowie konkrete Reiseangebote zu Vorzugspreisen. Sie hat das Gefühl, dass sobald sie auf eine solche Anzeige geklickt hat, ihr plötzlich überall im Web ähnliche Anzeigen entgegenspringen. Wenn Jens online ist, fallen ihm die vielen Spendenaufrufe von Tierheimen auf. Auch wird er mit der Bitte um Unterstützung von einer wohltätigen Organisation zum Schutz der Menschenaffen kontaktiert. Bei seiner Suche nach einem neuen Familienauto, wird ihm auf den Seiten der Hersteller direkt eine passende Hundetransportbox mit angeboten. Die Tochter findet im News Feed des sozialen Mediums das sie täglich nutzt, immer häufiger von Tiernahrungsunternehmen gesponserte Vermittlungsaufrufe von Tierheimen und eine Einladung zum Besuch eines neu eröffneten Zoogeschäfts in der Stadt. Dem 14-jährigen Sohn, der den sonntäglichen Zoobesuchen nichts abgewinnen kann und viel lieber andere Dinge tun würde, wird zu seinem Verdruss in seinem Lieblings-Social-Media-Account ein Geofilter des Zoos und von einem Hundefutterhersteller gesponserte Linsen zur Nutzung angeboten.
Dieses Szenario an datenbasiertem Marketing ist heute unser Alltag. Ich bin sicher, dass Sie bereits schon ähnliche Erfahrungen selbst gemacht haben. Denn der Status quo ist: Wir alle werden beobachtet, gestalkt und kontrolliert. Kein Klick im Netz bleibt folgenlos. Grelle Werbebanner poppen auf, stören uns, drängen sich uns auf. Ein Modehaus bietet uns einen Schuh an, den wir uns doch letzte Woche schon gekauft haben. Werbevideos laufen automatisch ab. Sie zwingen uns – wenn wir Glück haben –, mindestens fünf Sekunden zu warten, bis wir sie überspringen können. Sobald wir auf eine neue Seite kommen, werden wir aufgefordert, irgendwelche Cookies zu akzeptieren. Wenn wir uns die Mühe machen wollen, uns durch die Datenschutzerklärung einer Website zu kämpfen, müssen wir in der Regel rund fünf Minuten einkalkulieren. Wertvolle Zeit, die uns gestohlen wird. Dabei wollen wir uns doch nur schnell informieren. Wir haben keinen blassen Schimmer, was mit unseren Daten passiert. Alle Spuren, die wir im Netz hinterlassen, alle Kommentare, die wir machen, alle Likes, die wir in den sozialen Medien setzen, alle unsere in Server-Protokollen gespeicherten Daten, alle sonstigen erhältlichen Marktforschungs- und Verhaltensdaten (Zoobesuche!) über uns – alles wird irgendwie im Dunkeln weiterverarbeitet.
Algorithmen sammeln und verknüpfen alles, was sie über uns finden können, um Erkenntnisse über unsere Vorlieben, Wünsche, Bedürfnisse und Absichten zu gewinnen. Kurz: Wir leben in einer höchst raffiniert vorgehenden Konsumindustrie, die uns täglich verführen will – mit passgenauen, perfekt auf unsere Person abgestimmten Angeboten, die wir nicht ausschlagen können. Wir sind naive Fliegen im Netz der kaum sichtbaren Algorithmen, verfangen uns in Angeboten, die wir meistens eigentlich gar nicht wollen. Sind wir also schutzlos ausgeliefert? Nein. Unsere Souveränität als Verbraucher ist nicht in Gefahr, wenn wir durchblicken, wie die moderne vernetzte Verführung funktioniert!
Es geht um die Verlinkung von Konsum und Leben
Wenn ich in diesem Buch von der Konsumindustrie spreche, klingt das sehr nach Kulturindustrie. Die Kulturkritiker Max Horkheimer und Theodor W. Adorno prägten in den 1940er Jahren letzteren Begriff. Unter der Kulturindustrie verstanden die beiden Philosophen den Massenbetrug, der von der Werbung und modernen Unterhaltung ausgeht, also auch vom Fernsehen und Kino. Was die Kritik sollte? Die Kulturindustrie liefere Horkheimer und Adorno zufolge nichts Schönes mehr. Es ginge ihr nicht darum, die Menschen ästhetisch zu erbauen. Die Kulturindustrie ruiniere die Idee der Kunst und degradiere das Schöne zur Ware. Die Ökonomie sei der Tod der Kunst.
Diese Kritik an moderner Werbung und Unterhaltung bildete neben vielen anderen Thesen den Boden für die Kritische Theorie der Frankfurter Schule und die Studentenproteste der 1960er Jahre. Aber müssen wir ebenfalls so negativ über die zeitgenössische Verführungskultur denken? Nein, mitnichten. Dies würde im Zeitalter der Digitalisierung vollkommen an der Sache vorbeizielen. Die Digitalisierung hat nämlich dazu geführt, dass sich der Konsum in unser Leben eingewoben hat, sich mit unserem Leben fest verlinkt hat. Die Konsequenz? Die Konsumindustrie versucht uns zum richtigen Zeitpunkt darauf hinzuweisen, was für unser Leben relevant ist. Sie passt ihre Botschaften so natürlich, nahtlos und integriert wie nur möglich in unseren jeweiligen aktuellen Lebenskontext ein und lässt dabei selbst das persönlich wie gesellschaftlich hoch zentrale Thema der Corona-Pandemie nicht außen vor. Aus diesem Grund spreche ich nicht von der Kulturindustrie. Wenn ich Sie einlade, sich mit der Konsumindustrie zu beschäftigen, geht es mir darum, wertfrei und nicht anklagend zu beschreiben, wie die digitale Konsumwelt, in der wir unvermeidlich leben, uns heute verführen will. Solche Erkenntnisse helfen uns, ein kritisches Verhältnis zu unseren Verführern einzunehmen. So können wir Einflüsterungen und Übergriffe auf uns besser nachvollziehen – ohne die gesamte Branche pauschal an den Pranger zu stellen und aufgeregt Alarm zu schlagen. Denn wir haben durchaus die Macht und die Möglichkeiten, nicht alles mitzumachen, was uns angeboten wird. Aber wir sollten unsere Konsumwelt nicht pauschal verteufeln. Dann würden wir ja auch uns selbst und unser digitales Leben verteufeln. Wir sind Teil des Spiels, das es ohne uns nicht geben würde. Und als Mitspieler ist es unsere Aufgabe, das Spiel mitzugestalten und gewinnen zu wollen. Dazu müssen wir uns aber unsere Autonomie, unsere Selbstbestimmtheit und Souveränität bewahren, um nicht der Ball zu sein, der auf dem digitalen Spielfeld des Konsums hin und her gekickt wird. Dies erfordert, dass wir durchschauen, wie uns die Verführer in Versuchung bringen, anstatt ihnen den Krieg zu erklären. Wenn wir sie verstehen und ihre Taktiken kennen, können wir besser dem Spiel unseren Stempel aufdrücken.
Lassen Sie uns daher gemeinsam herausfinden, wie wir uns unsere Souveränität und Konsumautonomie erhalten können. Gerade in diesen Zeiten, in denen die Verführer aggressiver und gleichzeitig subtiler vorzugehen scheinen, ist das ein hohes Ziel. Es wäre also nicht richtig, hier eine Anklage gegen die Verführer aus der Konsumindustrie – die Unternehmen und die von ihnen beauftragten Agenturen, Marktforschungsinstitute und Datenmanagement-Dienstleister – zu erheben. So gerne wir dies manchmal auch tun würden, weil es einfach und bequem ist. Aber damit würden wir uns eben nur ins eigene Fleisch schneiden und uns selbst mit anklagen. Ändern würde es nichts. Sinnvoller ist es, beispielsweise mit der Installation von Adblockern auf unseren Rechnern und der Verweigerung von Cookies, die uns im Netz verfolgbar machen, unsere Abneigung gegenüber den heutigen Verführungsbemühungen der Unternehmen zu signalisieren. Vielen Verführern ist so bereits klargeworden, dass sie die Verbraucher mit ihren undurchsichtigen Machenschaften, die zu allem Überfluss auch noch in größtenteils penetranten Reklamebotschaften münden, nicht unbegrenzt belästigen können. Und sie wissen auch, dass der Gesetzgeber mittlerweile ein sehr genaues Auge auf die neuen datenbasierten Verführungstechniken der Unternehmen wirft.
Die Konsumindustrie einschließlich wir, die Verbraucher, brauchen die Kunst kommerzieller Verführungen. Nur so kann es den Kreislauf der Wirtschaft geben. Auch ist uns klar, dass ohne die Werbegelder der Konsumindustrie es die heutige Medienvielfalt nicht geben würde: keine privatwirtschaftlichen TV- und Radio-Sender, keine Printmedien, keine kostenlosen, journalistisch betriebenen Websites, keine sozialen Medien. Ebenso dürfen wir nicht vergessen, dass die Digitalisierung das Verführungshandwerk revolutioniert und damit für alle Beteiligten neue Herausforderungen produziert hat, vor allem die der Sicherung der persönlichen Privatsphäre. Die Verführer einfach nur anzuklagen wäre daher populistisch und moralisierend und würde zuallererst der Maxime der Aufmerksamkeitsgewinnung folgen – aber nicht der der Schaffung einer Verführungskultur, die wir nicht nur akzeptieren, sondern in der wir uns sogar wohlfühlen könnten. Ich werde daher keine Dystopie entwerfen, wie es jüngst Jeff Orlowski mit seiner Netflix-Dokumentation »Das Dilemma mit den Sozialen Medien« tat. Dort werden Google, Facebook etc. als eine »existentielle Bedrohung« für uns ausgemacht, da sie die Fähigkeit haben, »das Schlechteste aus der Gesellschaft herauszuholen«, wie der frühere Google-Manager Tristan Harris meint. Ich möchte in diesem Buch vielmehr unaufgeregt und gut begründet für ein Miteinander plädieren – für ein Miteinander von Verführern und Verbrauchern, nicht für ein Gegeneinander.
Der Schlüssel zu unserer Souveränität als Verbraucher liegt im Verstehen und Begreifen
Das Buch wird Ihnen helfen, im Netzwerk der Konsumindustrie Ihre Selbstbestimmung, ihre Autonomie und Souveränität als Verbraucher zurückzugewinnen oder zu bewahren. Es entwickelt den Gedanken der Konsumentensouveränität5 weiter und passt ihn an die heutigen kommunikativen Verhältnisse kommerzieller Verführung an. Sie sollen auf Augenhöhe mit den Verführern sein. Das Buch will daher Licht in das Dunkel der heutigen Verführungszustände bringen. Es will dazu beitragen, dass wir besser verstehen, warum das wichtigste Merkmal heutiger Verführungen Vernetzung ist und warum zur Beschreibung der Techniken des heutigen Verführungshandwerks sich die Redeweise von den Dark Arts anbietet. Natürlich könnte ich Ihnen einfach empfehlen, einen Privacy-Browser wie beispielsweise Epic, The Onion Router (Tor) oder Brave zu nutzen, eine Adblocker-Software wie beispielsweise AdBlock Plus zu installieren oder sich im Netz eine Fake-Identität zuzulegen, weil in Anbetracht des Aussterbens der Third-Party-Marketing-Cookies die Verführer unter anderem auf ID-basierte Targetingstrategien umstellen werden – die übrigens entgegen der Intention des Gesetzgebers die Privatsphäre weiter aushöhlen können! Das wäre aber nicht wirklich hilfreich. Denn alle diese Informationen sind im Internet bereits verfügbar.
Erst wenn wir verstehen und wissen, warum die Verführer und wir, die Verbraucher, was tun und wie die Zusammenhänge in unserer heutigen Konsumindustrie sind, können wir uns mit den Entwicklungen auseinandersetzen und sie befürworten oder uns bewusst und gut begründet den Verführungsbemühungen entziehen. Denn sich über etwas bewusst zu sein, ist die Voraussetzung dafür, dass wir nicht vor einem Dark-Arts-Verdacht kapitulieren, dass wir unseren inneren Dämon im Zaum halten oder nicht mit biometrischen Verfahren gehackt werden können. Im sich Bewusstmachen, dem Verstehen und Wissen, liegt der Schlüssel zu Willensfreiheit und zielführendem Handeln, wie Sie im zweiten Kapitel erfahren werden.
Wir brauchen entsprechend Klarheit über die vielseitigen Wechselwirkungen und Verstrickungen, die im Netz der großen Vier, wie es Verführer, Vermittler, Verbraucher und Kommentatoren gewebt haben, vor sich gehen. Diese Kenntnis über die untereinander vernetzten Zustände und Entwicklungen legt den Grundstein für unser Reflexionsvermögen, dem Begreifen, was in der Konsumindustrie gerade vor sich geht, in welche Richtung es weiterlaufen könnte, was unser Beitrag dazu ist und wie wir damit umgehen können, um unsere Souveränität als Verbraucher zu sichern.
Spätestens jetzt werden Sie das heutige Dilemma der zentralen Idee vernetzter Verführungen, nämlich persönlich relevante Verführungsangebote zu unterbreiten, erkennen: Je persönlicher die Angebote werden, desto stärker ist unser Gefühl, dass die Verführungstechniken der Konsumindustrie immer intransparenter und geheimnisvoller werden. Aber wie düster sind die Dark Arts der Konsumindustrie eigentlich? Ständig haben wir das Gefühl, dass im Verborgenen mit Daten und Informationen von uns hantiert wird. Das befremdet uns. Wir haben Angst, dass Unternehmen Wissen über uns haben, das sie eigentlich gar nicht haben sollen. Mehr noch, dass sie eventuell sogar mehr über mich wissen als ich selbst und sie dieses Wissen ausnutzen können. Müssen wir uns fürchten, weil die Konsumindustrie einen neuen Werkzeugkoffer hat, deren Instrumente und Methoden wir nicht durchblicken und erkennen können? Gleichzeitig ist uns aber klar, dass dieser Koffer anscheinend notwendig ist, um uns passgenaue Angebote unterbreiten zu können. Genau diese Paradoxie ist unser zentrales Problem, das wir mit der vernetzten Verführung haben. Gute persönliche Verführung und böse Dark Arts sind die beiden Seiten derselben Medaille der vernetzten Verführung.
Wir müssen uns aber darüber im Klaren sein, dass nicht nur das individuelle, persönliche Leben des einzelnen Verbrauchers mit den Angeboten der Konsumindustrie vernetzt wird. Vernetze Verführungen gehen über die Ebene der Bedürfnisse, Interessen und Wünsche des Einzelnen hinaus. Es handelt sich um die grundlegende, umfassende Strategie heutiger kommerzieller Verführung, mit der die kommerziellen Absichten der Konsumindustrie verdunkelt werden. Der Verführung soll die Offensichtlichkeit ihrer Beeinflussungsabsicht genommen werden. Sie soll nicht als plumpe Anmache wahrgenommen werden. Daher verlinkt sich die Konsumindustrie nicht nur mit dem Leben des einzelnen Verbrauchers, sondern darüber hinaus auch mit den Medien, den Vermittlern der Verführungsangebote, sowie der Gesellschaft als Ganzes. Dies geschieht mittels der kommerziellen Ausnutzung unserer Nutzungsmotive von Medien und von unseren allseits akzeptierten gesellschaftlichen Werten. Die Konsumindustrie geht so mit unserem Erleben der Welt auf individueller, medialer und gesellschaftlicher Ebene eine Symbiose ein. Folglich geht es heute in der Konsumindustrie ganz allgemein um die Vernetzung der Ziele und Interessen der Unternehmen mit Menschen, Gesellschaften und ihren Medien. Auch die Konzepte zur Realisation vernetzter Verführungen auf der medialen und gesellschaftlichen Ebene müssen wir erkennen können, wenn wir unsere Selbstbestimmtheit als souveräner Verbraucher bewahren wollen. Zahlreiche Beispiele werden Ihnen dabei helfen.
Was folgt aus unserem Verstehen und Begreifen der vernetzten Verführungen in der Konsumindustrie? Wie geht es nun weiter? Antworten auf diese Fragen gibt das letzte Kapitel. Sie erfahren, was wir konkret tun müssen, um eine Verführungskultur zu schaffen, die wir nicht nur gezwungenermaßen akzeptieren, sondern die wir begrüßen und in der wir uns als souveräne und autonome Verbraucher wiederfinden.
Eine Brücke schlagen
Der Wunsch, ein Buch über vernetzte Verführungen zu schreiben, reifte lange in mir. Bislang hatte ich fast ausschließlich für ein wissenschaftliches Fachpublikum im Bereich der Marketingkommunikation meine theoretischen Ansätze und Forschungsergebnisse veröffentlicht. Dass nun aus meinem Vorhaben ein Sachbuch und kein Fachbuch geworden ist, verdankt sich dem Wunsch, Neuland zu betreten – nämlich eine Brücke zu schlagen zwischen Wissenschaft und Alltag. Dieser Wunsch ist das Resultat von zwei Erlebnissen gewesen. Eines Tages kam ein Student in meine Sprechstunde. Er wollte mir das Thema seiner Bachelor-Arbeit vorstellen das er sich überlegt hatte. Und zwar wollte er sich mit der Verwässerung der Grenze von Content und Kommerz aus Sicht der Generation Z befassen. Der Student, selbst Angehöriger der Generation Z und entsprechend Digital Native, verstehe gar nicht, wieso die Medien klar zwischen werblichen und nicht-werblichen Inhalten unterscheiden müssten. Das gesetzlich vorgeschriebene Trennungsgebot sei doch in Anbetracht von Content Marketing und Influencer Marketing in seiner Sinnhaftigkeit längst überholt. Alles, was in den Medien ist, sei doch irgendwie miteinander vernetzt. Die jungen Menschen interessiere doch nur, ob eine Information nützlich ist, ein Spot unterhaltsam oder eine Plattform gute Vernetzungsfeatures hat – egal ob der Absender oder Betreiber journalistische oder kommerzielle Absichten hat. Für mich war dies ein wichtiger Beleg dafür, dass das Thema der vernetzten Verführung gerade auch für die jungen und nachfolgenden Generationen hoch relevant ist und dringend näher untersucht werden muss. Neben diesem Erlebnis aus der Wissenschaftswelt war ein Ereignis aus meinem Alltag der Auslöser dafür, mit diesem Buch die Brücke zwischen eben diesen beiden Welten schlagen zu wollen.
Die ersten Wörter, die ein junger Mensch nach circa seinem ersten Lebensjahr bewusst spricht, sind gewöhnlich »Mama«, »Papa«, »Ham-Ham« und so ähnlich. Wörter aus der vertrauten, noch sehr kleinen, unmittelbaren Erfahrungswelt des Kinds. Umso hellhöriger werden Eltern, wenn dieser Wortschatz plötzlich um Wörter erweitert wird, die so gar nicht in dieses Schema passen wollen. So geschehen, als mein kleiner Sohn Elias im Alter von 20 Monaten plötzlich deutlich »BMW« sagte und dabei auf ein Auto dieser Marke zeigte. Er hatte also ganz zu Beginn seiner sprachlichen Entwicklung bewusst einen Gegenstand mit einem Markennamen korrekt bezeichnet. Bis heute weiß ich nicht, was dazu geführt hat. Fakt ist jedenfalls, dass sich die Konsumwelt bereits sehr früh mit der Lebenswelt eines Menschen kognitiv vernetzt. Und auch das verdient definitiv eine genauere Betrachtung.
Brücken verbinden Ufer miteinander. Daher habe ich mich darum bemüht, dass dieses Buch einerseits das Interesse von denjenigen findet, die es vor dem Hintergrund ihrer ganz persönlichen Alltags- und Erfahrungswelt lesen. Andererseits wäre es schön, wenn es auch das Interesse von Menschen findet, die sich eher aus fachlichen, professionellen Interessen mit den vernetzen Verführungen der Konsumindustrie befassen. Vielleicht finden ja auch sie den einen oder anderen Impuls, der zu weiterführenden Überlegungen oder gar Forschungen dient. Über ein gelegentliches Feedback würde ich mich sehr freuen – egal von welchem Ufer!
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