Direkt zum Inhalt

Leseprobe »Mit Bio und Chemie durchs Jahr«: Oktober – Weinlese und erste Nachtfröste

Der goldene Oktober beginnt mit der Weinlese. Dabei schauten die Winzer der Natur ab, wie sich der Zuckergehalt in Trauben besonders steigern lässt – jedoch mit dem Risiko, die Ernte zu verlieren. Was machen Edelfäule und Frost mit den Trauben?
Rotwein und Weißwein werden aus der Flasche ins Glas eingeschenkt.

Der sprichwörtliche goldene Oktober sorgt noch einmal für milde Tage. Morgens verschleiert Nebel die Felder und Wiesen, die Nächte rücken den Minusgraden näher. Der Altweibersommer verdankt seinen Namen den langen Spinnfäden, die an den letzten warmen Tagen Wiesen und Gehölze überziehen; er kann sich von September bis Ende Oktober erstrecken. Die Bäume tragen bereits weniger Laub, und so fallen die Flugfäden der jungen Spinnen mehr auf.

Noch heute ist das alte Wort »herbsten« für die Weinlese in der Pfalz und in Baden im Sprachgebrauch. Je nach Sommer beginnt das Herbsten im September und geht in den Oktober hinein – und es gab dieser Jahreszeit den Namen (Abb. 10.1, in dieser Leseprobe nicht enthalten). Doch wieso werden die Trauben so süß? Warum bestimmt die Farbe der Früchte nicht bereits, ob es sich beim vergorenen Saft um Rot- oder Weißwein handeln wird?

Andere Pflanzen lagern den Zucker in ihren Blättern ein und wachsen noch bei kühlen Temperaturen weiter. Wie schützen sie sich vor hungrigen Tieren, die nicht mehr so viel zu fressen finden? Wie schützen sich Insekten davor, beim Überwintern von spitzen Eiskristallen in den eigenen Zellen zerstochen zu werden?

Weinbau – die Anfänge

Der Weinanbau begann schon vor Tausenden von Jahren und zeigt, welchen Einfluss Weltgeschichte und Religionen auf die Agrargeschichte haben. In der Türkei und im Kaukasus wurden Kelteranlagen gefunden, die über 8000 Jahre alt sind. Während sich das Römische Reich immer weiter in den Norden ausdehnte, verbreitete sich auch der Weinbau. Wein war schon früh im Christentum als symbolisches Getränk verankert, und die Christianisierung sorgte dafür, dass sich der Anbau der Reben stark ausweitete. Trauben wurden nicht nur vergoren, sondern auch getrocknet, und diese haltbaren Rosinen verwendete man in Speisen und Gebäcken. Die Zucht von Tafeltrauben ist jünger, da anfangs das Keltern im Vordergrund stand. Der Islam verbot den Weingenuss, sodass Trauben für den Frischverzehr beliebt wurden.

Die Frage danach, wie Wein vergoren wird und ob er zusätzlich gesüßt wurde, würde den Rahmen dieses Kapitels sprengen. Von den vielen Sorten und Ausbauarten, die es heute gibt, lernen wir im Folgenden einige Raritäten kennen.

Winzer-Wissen

Die Urform des Weins ist die Wilde Weinrebe (Vitis vinifera subsp. sylvestris), die als rankende, verholzende Kletterpflanze in den Wäldern einst bis hoch in den Norden vorkam. Die daraus gezüchteten Edlen Weinreben (Vitis vinifera subsp. vinifera) mit größeren und süßeren Trauben wachsen überall dort, wo die Winterfröste nicht zu streng sind. Die Trauben reifen aber nur dort aus, wo sie viel Sonne bekommen. Im Jahresmittel sollte die Temperatur nicht unter 8,5 °C sinken. Die Reifezeit hängt vom Standort und der Rebsorte ab; frühe Sorten reifen bereits in August und September, mittlere von September bis Oktober und späte bis Anfang November. Für den Weinbau sind nur die Sorten interessant, die von September bis November reifen, da ihr Ertrag sicher ist – bei den frühen Sorten schaden beim Austrieb vorkommende Spätfröste der Blüte. Außerdem enthalten die späteren Sorten mehr Fruchtsäuren, was den Geschmack der Beeren fruchtiger macht.

Sind die Trauben für die Weinherstellung bestimmt, wird von Keltertrauben gesprochen. Das Keltern des Weins geht auf das Zerstampfen der Beeren mit den Füßen zurück (lateinisch calcare, mit den Füßen treten). Aus der Maische kann der Saft leichter gewonnen und dann entweder erhitzt und abgefüllt oder vergoren und zu Wein weiterverarbeitet werden. Bei der alkoholischen Gärung wandeln Hefen unter Luftabschluss vorhandenen Zucker in Alkohol und Kohlendioxid um. Wesentlich ist also neben den schon erwähnten Fruchtsäuren für den Geschmack der Zuckergehalt, von dem der spätere Alkoholgehalt abhängt. Die Weinhefen können bis zu 18 % Alkohol herstellen, dann sterben sie.

Reif für die Weinlese? Der Zuckergehalt und seine Maße

Für Tafeltrauben reicht eine Naschprobe, ob sie für den Verzehr süß genug sind. Diese einfache Probe ist für die Weinbereitung aber zu ungenau, da der Zuckergehalt, ausgedrückt durch das Mostgewicht, für die spätere Qualität wichtig ist. Physikalische Methoden helfen weiter, wie die bereits im Jahr 1836 von Ferdinand Oechsle aus Pforzheim entwickelte Senkspindel. Sie wurde nach ihm benannt und ist als Oechsle-Waage bekannt (Abb. 10.2, in dieser Leseprobe nicht enthalten).

Die Spindel besteht aus Gewichten, die dem Auftrieb in Wasser bei 20 °C entsprechen, und einem langen Glashals, der skaliert ist. Diese Skala gibt an, wie viel schwerer als Wasser der Most ist, da der gelöste Zucker sowie weitere vorhandene Stoffe das Gewicht von einem Liter Most im Vergleich zu einem Liter Wasser ansteigen lassen. Angegeben werden diese Werte als Oechsle- Grad. Ist die Dichte des Mostes 1080 g/l, hat er also 80 Grad Oechsle.

Praktisch sieht das so aus, dass die Spindel in den Saft gesetzt unterschiedlich tief einsinkt. Der abgelesene Skalenwert wird dann anhand einer Tabelle in den Zuckergehalt umgerechnet – je nach Rebsorte sind unterschiedliche Mischungen aus Zucker und anderen Stoffen wie Säuren, Glycerin, Phenol, Pektinen und Mineralien erfasst. Hat ein durchschnittlicher Most etwa 80 Grad Oechsle, ist nach dem Vergären ein Alkoholgehalt von 10,6 % oder 84 g reinem Ethanol je Liter Wein zu erwarten.

Eine deutlich jüngere Methode ist es, die Lichtbrechung mit einem Refraktometer zu messen und daraus den Zuckergehalt zu berechnen. Je stärker die Brechung ist, desto höher der Wert auf der Oechsle-Skala (angegeben in Grad oder °Oechsle).

Wieso werden nun aber Weine nicht schon geerntet, sobald die Reifung einsetzt? Wie im März-Kapitel (Kap. 3) schon erwähnt wurde, findet auch bei niedrigeren Temperaturen noch Photosynthese statt. Die dabei hergestellten Zucker werden im Herbst nicht mehr für das Wachstum der Pflanze oder den Aufbau neuer Blätter benötigt und daher in den Beeren eingelagert. Je länger die Trauben also am Rebstock bleiben, desto höher wird ihr Zuckergehalt. Winzer wissen nur allzu gut, wie beliebt die süßen Früchte bei Vögeln sind, die ja eigentlich die Kerne ein Stück weit transportieren und wieder ausscheiden sollen – im Sinne der Pflanze.

Zuckersüße Weine

Die Qualität eines Weines wird in Deutschland mit Bezeichnungen wie Prädikatswein angegeben. Zwei besondere Rubriken stellen die Beerenauslese und der Eiswein dar. Beide werden erst spät geerntet und haben die Gemeinsamkeit, dass auf natürliche Weise der Wassergehalt im Most reduziert wird.

Für die Beerenauslese werden nach besonders lichtreichen und heißen Sommern die Beeren von Hand verlesen, also gepflückt. Erst ab 80°Oechsle wächst der Schimmelpilz Botrytis cinerea auf den Beeren und überzieht sie wie Reif. Für diese Edelfäule braucht es warmes, aber auch feuchtes Herbstwetter. Da diese Faktoren nur selten zusammen kommen, ist die Beerenauslese rar.

Der Schimmelpilz gibt Enzyme ab, um die Zellwände der Beerenhaut zu durchlöchern. Bei trockenem Wetter tritt nun der zuckerhaltige Zellsaft aus, das Wasser verdunstet und der Pilz kann Zucker und andere Inhaltsstoffe verwerten. Im Gegenzug gibt er Glycerin ab, das ein dreifacher Zuckeralkohol ist – der einfachste Alkohol mit drei OH-Gruppen, die ja für Alkohole charakteristisch sind. Glycerin ist manchen auch als Frostschutzmittel bekannt und wird in einigen Ländern auch Weinen zugesetzt, um sie zu süßen. Bei der Beerenauslese geschieht dies rein biologisch, und der Zuckergehalt der Trauben steigt extrem an, viel höher als ohne Schimmelpilz möglich. Außerdem greift der Pilz mit weiteren Stoffen in den Stoffwechsel ein, sodass sich die Farbe ändert. Ein Riesling wird so zur honigfarbenen Beerenauslese. Die Hefen können beim Gären den Zucker nicht mehr zur Gänze umsetzen, sodass ein sehr süßer Wein entsteht. Oechslegrade von 300 sind üblich für den Most, nach dem »Supersommer« im Jahr 2003 wurde mit 331°Oechsle ein Rekord aufgestellt.

Im Falle des Eisweins werden gefrorene Beeren verwendet. Die Ernte erfolgt also noch deutlich später. Ab −7 °C gefriert das in den Beeren enthaltene Wasser. Werden derart kalte Trauben gepresst, ist im Saft nur das Wasser enthalten, das an die Zuckermoleküle im Zellsaft gebunden war. Das übrige Zellwasser bleibt als Eis in der Hülle der Beeren zurück. Entsprechend enthält der Most extrem viel Zucker. Das Ergebnis sind natursüße Weine und je nach Sorte – etwa beim Riesling – auch sehr helle.

Bereits für das Jahr 1830 ist der erste Eiswein dokumentiert. Nach einem schlechten Weinjahr blieben an einigen Stöcken die Trauben ungeerntet, weil sich die Mühe nicht lohnte. Nach starken Frösten sollte im Februar 1830 damit das Vieh gefüttert werden – wodurch der süße Geschmack entdeckt wurde.

Eiswein ist unter anderem deswegen so rar, weil die Trauben ganz durchfrieren müssen und dann noch gefroren gepresst werden. Entsprechende Pressen lohnen sich meist nicht, da auch immer ein Totalausfall der Eisweinernte möglich ist. Denn nur unbeschadete Beeren können noch gefroren geerntet werden. Befallen Pilze die Trauben, verdampft das Zellwasser und sie trocknen ein – nicht jeder Schimmelpilz lässt den Wein sanft süßer werden wie bei der Edelfäule. Je später strenge Fröste einsetzen, desto länger besteht die Gefahr, dass die feuchte und warme Witterung zu Fäulnis führt.

Rotwein oder Weißwein?

Von den Farbstoffen des Rotweins ist ein Anthocyan, das Oenin, besonders charakteristisch. Wann immer Farben von blau über violett bis rot in Blüten, Blättern und Früchten zu sehen sind, sind meist Anthocyane der Grund. Diese pflanzlichen Farbstoffe locken Tiere an, was die Verbreitung der Samen fördert. Zugleich absorbieren sie das Sonnenlicht, insbesondere dessen UV-Anteil – und da sie meist, wie beim Wein, vor allem in der Fruchthaut vorkommen, ist das eigentliche Fruchtfleisch vor zu starker Strahlung geschützt. Da sie auch Radikale (Glossar) gut binden, schützen sie doppelt vor dem Stress, den das Sonnenlicht auslösen kann.

Nach dem Keltern werden die Beeren des Weins zerkleinert und die gut wasserlöslichen Anthocyane aus der Haut der Beeren treffen auf den Fruchtsaft. Aus den Zellvakuolen, von Membranen umhüllten Speichern, treten Zucker und Fruchtsäuren aus.

Der Inhalt der Vakuolen macht 90 % des Traubensaftes aus. Die hohe Zuckerkonzentration kommt durch einen Protonenaustausch-Prozess zustande. Während des Wachstums der Trauben pumpt die Pflanze unter Energieverbrauch Protonen (H+) in die Vakuolen. Diese Protonen streben danach, wieder ein Ladungs- und Konzentrationsgleichgewicht mit dem umgebenden Zellsaft herzustellen. Indem die Protonen aus den Vakuolen strömen, betreiben sie in deren Membran Pumpen, die im Austausch zu ihrem Austritt Zucker in die Vakuole hinein verfrachten. So gelingt es der Pflanze, den für Tiere attraktiven Zucker in den Trauben anzusammeln.

Der Saft ist an und für sich farblos. Wie ändert sich das Blau der Traubenhaut zum Rot des Weins? Was geschieht, wenn sich der Farbstoff Oenin mit dem Inhalt der Vakuolen durchmischt? Die Farbe des Weins basiert darauf, dass ein Lichtfänger, das Chromophor, einen Teil des eintreffenden Lichts absorbiert und einen anderen Teil reflektiert. Dieses Chromophor entsteht durch die Spaltung des Anthocyans Oenin, das chemisch zu den Glykosiden zählt. Bei diesen ist ein Zuckerbaustein mit einem weiteren Molekülteil verbunden, dem sogenannten Aglykon. Für die Farbe ist das Aglykon verantwortlich – im jungen Rotwein ist dies der Farbstoff Malvidin.

Anfangs ist dessen Konzentration hoch; sie sinkt jedoch beim Reifen des Weines, wobei stabilere Farbstoffe entstehen, die charakteristisch für die jeweilige Rebsorte sind. Rotweine nehmen also mit der Reifung eine dunklere Farbe an. Dabei beschleunigen die Gerbstoffe aus Eichenholz diesen Prozess, und die Frage, welche Stoffe der Wein aus dem Eichenholz löst, können Weinkenner natürlich beantworten: Es sind Tannine. Diese adstringierenden Gerbstoffe können beim Verkosten von Wein das Gefühl erzeugen, dass sich etwas im Mund zusammenzieht. Vor allem wirken diese Polyphenole als Radikalfänger und damit antioxidativ. Die gelösten Tannine lagern sich im Wein mit Malvidin zu stabileren Farbstoffen zusammen, wobei sich der rote Farbton zu einem dunklen Violett ändert.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.