Modifizierte Photosynthese: Neue Algen
4.1 Photosynthese modifizieren – Warum und Wie?
Aus einem anthropozentrischen Blickwinkel heraus existieren unerwünschte Einschränkungen und Leistungsgrenzen der biologischen Photosynthese, zumindest wenn es um die Gewinnung von Brenn- und industriellen Wertstoffen geht. Zum einen ist hier die geringe durchschnittliche Effizienz der Solarenergienutzung zu nennen (hoher Flächenbedarf), deren Ursachen im vorhergehendem Abschnitt erörtert sind. Zum anderen ist die photosynthetische Produktion von primären (Glukose) oder sekundären Photosyntheseprodukten (z. B. Zellulose der Zellwände oder das Lignin des Holzes) zu nennen, die meist nicht unmittelbar als technische Brennstoffe oder chemische Wertstoffe eingesetzt werden können.
Sind diese Einschränkungen unumstößlich, oder können sie durch Wissenschaft und Biotechnologie überwunden werden? Diese Frage beschäftigt zahlreiche Forschungsgruppen. Hierbei gab es zunächst den Ansatz, mit konventioneller Züchtung (d. h. Spontanmutationen gefolgt von Selektion durch die ZüchterInnen) oder durch Expeditionen zur Suche nach »neuen« photosynthetischen Mikroorganismen (Algen oder Cyanobakterien) voranzugehen. Zwar werden diese Richtungen auch weiterhin verfolgt, aber die Möglichkeiten für einen Durchbruch mit diesen klassischen Ansätzen erscheint heute den meisten ForscherInnen als zu gering bzw. ein zu langfristiges Unterfangen angesichts der drängenden Herausforderungen der globalen Klimaveränderungen. Der heute meist verfolgte Ansatz ist die gezielte, wissensbasierte Modifikation mit den Methoden der Molekularbiologie bzw. der modernen molekularen Genetik [1, 2]. Hierbei können verschiedene Methoden eingesetzt und unterschiedliche Richtungen verfolgt werden, inklusive der (noch lange nicht erreichten) Vision, einen photosynthetischen Organismus mit den Methoden der Synthetischen Biologie von Grund auf neu zu gestalten. Unabhängig davon, welche speziellen Methoden dabei zum Einsatz kommen, handelt es sich hierbei um Ansätze, die allgemein als Gentechnik diskutiert werden.
4.2 Kleine Algen und Cyanobakterien verwenden
Die Forschungen zu weitreichenden Modifikationen der Photosynthese beziehen sich praktisch ausschließlich auf photosynthetische Mikroorganismen, also kleine Algen oder Cyanobakterien, die sich schnell vermehren können (mit z. B. einer Generation je Tag). Ein wesentlicher Grund für diese Fokussierung liegt darin, dass die molekular-genetische Veränderung für viele Mikroorganismen sehr gut etabliert ist und mit einem angemessenen Aufwand realisiert werden kann. In höheren Pflanzen und Bäumen stehen nicht nur Schwierigkeiten der molekularen Genetik in Verbindung mit langen Generationszyklen einer zielgerichteten Modifikation entgegen. Es ist auch deren hoch entwickelte, komplexe Physiologie mit einer Vielzahl spezialisierter Zellen. Diese gewährleisten nicht nur Stabilität und kontrolliertes makroskopisches Wachstum, sondern auch den regulierten Transport der Ausgangsmaterialien der Photosynthese (Wasser, CO2) sowie der Photosyntheseprodukte wie zum Beispiel Glukose. Hier würden größere molekulargenetische Eingriffe in die komplexen Interaktionsnetzwerke, die mit dem Ziel erfolgen, anstelle von Glukose auch andere Produktstoffe in größerem Umfang zu bilden, kaum zu dem gewünschten Ergebnis führen können. Baumstämme und Pflanzenstängel wären zudem schlicht Ballast im Sinne einer effizienten modifizierten Photosynthese.
Bei kleinen, meist einzelligen Algen und Cyanobakterien in Wasser (mit ausreichender Gaszufuhr und den notwendigen Spurenelementen) ist die Versorgung der einzelnen photosynthetischen Zellen mit Wasser und CO2 vergleichsweise unkritisch – im Gegensatz etwa zur Situation bei größeren Landpflanzen. Gleichermaßen wichtig ist, dass auch einfache Techniken zum effektiven Sammeln kontinuierlich produzierter Produktstoffe denkbar sind. Gase können vergleichsweise einfach gesammelt werden. Nicht-gasförmige Stoffe können über ihr spezifisches Gewicht von der Suspension von Algen- bzw. Cyanobakterien getrennt werden: »Fett schwimmt oben.«
Der Einsatz von Algen und Cyanobakterien erfordert im Normalfall die Anzucht und Haltung der Mikroorganismen in sogenannten Photobioreaktoren (Abb. 4.1, in dieser Leseprobe nicht enthalten). Damit ist gemeint, dass die Zellen in einer wässrigen Lösung innerhalb eines Behälters leben, der entweder vollständig transparent ist oder über geeignete Fensteröffnungen verfügt. Neben der kontrollierten Zufuhr von CO2 und anderen Nährstoffen sind im allgemeinem technische Maßnahmen erforderlich, um die unerwünschte Sedimentation der Mikroorganismen zu vermeiden, sowie technische Lösungen für die Ernte bzw. das »Einsammeln« der Produktstoffe. Das Design kostengünstiger Photobioreakoren stellt ein noch ungelöstes Problem dar. Die Anzucht in lichtdurchlässigen, im Meer schwimmenden Kunststoffsäcken ist im Prinzip denkbar, aber sicher nicht ohne spezifische Probleme. Die photovoltaische Umwandlung von Solarenergie zum Betrieb von Belichtungsanlagen mit für diesen Zweck optimierte LEDs erscheint auf dem ersten Blick energetisch unsinnig, könnte aber bei zukünftigen LED-Wirkungsgraden von 50 % und optimaler Lichtwellenlänge (ca. 680 nm) dennoch zu einer vernünftigen Gesamteffizienz führen. In jedem Fall sind Aufwand und Kosten für den Photobioreaktor ein Aspekt von zentraler Wichtigkeit, wenn es um die Nutzung von Algen oder Cyanobakterien für die Gewinnung von Produkten einer modifizierten Photosynthese geht.
4.3 Verbesserung der Effizienz
Die maximale Effizienz der Solarenergienutzung typischer photosynthetischer Organismen ist auf ca. 10 % begrenzt (Abschn. 3.4). Können auch Werte über 10 % erreicht werden? Ohne eine vollständige Reorganisation ist hier eine Verbreiterung des Spektralbereichs des Sonnenlichts, der für die Photosynthese genutzt werden kann, der einzige Weg. Von den »normalen« Pflanzen werden vor allem das grüne (daher ihre Farbe) aber auch der langwellige Teil des roten Lichts kaum genutzt (Abb. 4.2, in dieser Leseprobe nicht enthalten). Überraschende neue Ergebnisse der Photosyntheseforschung könnten den Weg weisen, wie diese Lichtausbeute gesteigert werden könnte. Denn tatsächlich gibt es in der Natur Cyanobakterien, die in speziellen, ungewöhnlichen Umgebungen leben und neben dem blauen, grünen, gelben und roten Licht auch Licht mit Wellenlängen von 700–760 nm nutzen können [3]. Dieses Infrarotlicht ist nicht nur für das menschliche Auge praktisch unsichtbar, sondern es kann auch von den »Standardorganismen« der Photosynthese nicht genutzt werden. Diese speziellen Cyanobakterien bilden durch kleine chemische Variationen alternative Chlorophyllvarianten, das Chlorophyll d (Chl-d) und das Chlorophyll f (Chl-f). Bei beiden sind die Absorptionsspektren zu längeren Wellenlängen verschoben, so dass sie auch im nahen Infrarotbereich Licht absorbieren können. Diese Chlorophylle werden in die Proteinkomplexe der Photosysteme eingebaut.
Langwelligeres Licht entspricht einer geringeren Energie der Photonen. Dass diese Energie dennoch ausreicht, um den photosynthetischen Elektronentransport vom Wasser zum NADP anzutreiben, war eine Überraschung für die Photosynthese-ForscherInnen und ist bis heute nur teilweise verstanden. Unter anderem ist unklar, warum nicht alle photosynthetischen Organismen den Spektralbereich bis ca. 760 nm nutzen. Die Chl-d/f-haltigen Cyanobakterien leben und gedeihen nur bei ungewöhnlich niedrigen Lichtintensitäten bei einem vergleichsweise hohen Anteil an Infrarotlicht. So wurden z. B. die Chl-d-haltigen Cyanobakterien an der Unterseite von Seescheiden, also einfachen tierischen Meeresorganismen gefunden. Dieses Beispiel zeigt, dass das molekulargenetischen Einbringen der Enzyme zur Chl-d/f-Bildung auf eine erstaunlich einfache Art und Weise das nutzbare Spektrum der Photosynthese erweitern könnte. Allerdings wird dieser Ansatz die maximale Effizienz der Photosynthese nicht dramatisch nach oben verschieben können. Eine Erhöhung von ca. 10 % auf 11–12 % erscheint jedoch möglich.
Eine deutlichere Effizienzerhöhung erfordert eine radikale Reorganisation der photosynthetischen Lichtreaktionen [4]. Dies könnte gelingen, in dem die Antennenpigmente und chemischen Reaktionen der beiden Photosysteme, PSII und PSI, derart modifiziert werden, dass das PSII alleine den blau-grünen Anteil des Lichtspektrums nutzt und das PSI alleine den langwelligeren Anteil (gelb, rot und Teile des Infrarotbereichs). Dann wäre – theoretisch – auch eine Maximaleffizienz oberhalb von 20 % realisierbar. Chlorophyll wäre dann nicht mehr das Molekül der Wahl, da Chlorophylle immer sowohl im blauen als auch im roten Spektralbereich Licht absorbieren. Die Umgestaltung des nativen Photosyntheseapparats wäre derart drastisch, dass die schrittweise Veränderung ausgehend von den heutigen photosynthetischen Organismen kaum zum Erfolg führen könnte. Die Synthetische Biologie hat sich unter anderem die »Konstruktion« ganz neuer, quasi-biologischer Zellen, die keinen evolutionären Vorläufer in den existierenden biologischen Zellen haben, als Ziel gesetzt. Ob auf diesem Wege jemals überlebens- und vermehrungsfähige photosynthetische Zelle mit einer erhöhten Maximaleffizienz der Photosynthese erreicht werden können, ist dabei allerdings eine noch offene Frage.
Literatur
1. Banerjee, C., Dubey, K., Shukla, P.: Metabolic engineering of microalgal based biofuel production: Prospects and challenges. Front. Microbiol. 7, 432 (2016)
2. Larkum, A., et al.: Selection, breeding and engineering of microalgae for bioenergy and biofuel production. Trends Biotechnol. 30, 198 (2012)
3. Nürnberg, D.J., et al.: Photochemistry beyond the red limit in chlorophyll f-containing photosystems. Science. 360, 1210 (2018)
4. Blankenship, R.E., et al.: Comparing photosynthetic and photovoltaic efficiencies and recognizing the potential for improvement. Science. 332, 805 (2011)
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