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No fungi no future: Pilze für die Welt

Das Buch klärt über den bisher allgemein kaum bekannten Nutzen der sogenannten Großpilze auf. Es sind Pilze, die man sonst von Spaziergängen in Wald und Wiese kennt und die man im Handel kaufen kann.
Steinpilz

2.1 Biokonversion – eine Metamorphose der Materie

Ihre Ernährung betreffend werden Großpilze in drei Gruppen eingeteilt: die Parasiten, die Saprophyten und die Mykorrhizapilze. Die Parasiten – man nennt sie auch schmarotzende Schädlinge – befallen und schwächen oder töten lebende Organismen, insbesondere Bäume. Parasitisch lebende Großpilze sind z. B. der Zunderschwamm (Fomes fomentarius), der Hallimasch (Armillaria ostoyae) und der für seinen guten Geschmack geschätzte Schwefelporling (Laetiporus sulfureus). Die Mykorrhizapilze, die uns später noch intensiv beschäftigen werden, bilden eine Lebensgemeinschaft, die sogenannte Mykorrhiza (Pilzwurzel), mit Bäumen. Da sie auf ihren Baumpartner angewiesen sind, können die Fruchtkörper von Mykorrhizapilzen nicht vom Partner losgelöst kultiviert werden. Unter den Mykorrhizapilzen gibt es zahlreiche beliebte Speisepilze wie den Pfifferling (Cantharellus cibarius), den Steinpilz (Boletus edulis), aber auch solche, die man meiden sollte, wie z. B. den Fliegenpilz (Amanita muscaria).

Schließlich sind zahlreiche Großpilze Saprophyten (Saprobionten). In der Natur leben diese ausschließlich auf totem organischem Material, aus dem sie ihren eigenen Körper aufbauen und es auch für die eigene Energieversorgung verwenden. Der Pilzkörper mancher saprophytisch lebenden Großpilze stellt eine hochwertige, schmackhafte Nahrung dar. Aus Abfall wird also Nahrung – das nennen wir Biokonversion!

Saprophytisch lebende Großpilze sind, zusammen mit bestimmten Bakterien, die größten Entsorger und Abfallbeseitiger in der Natur, hauptsächlich in den Wäldern. Allein wegen dieser Leistung sind Pilze für uns eminent wichtig, ja unverzichtbar. Der meiste Abfall wird nämlich nicht von Menschen produziert, sondern alljährlich in Form von pflanzlicher Biomasse von der Natur selbst. Um diese Biomasse zu beseitigen, brauchen wir Pilze; ansonsten würde die Erde unter einer mächtigen Laubschicht ersticken. Die Bedeutung dieser Leistung kann kaum angemessen gewürdigt werden, wenn man bedenkt, dass die Menge der Biomasse, die von Bäumen, Gräsern und anderen Pflanzen weltweit Jahr für Jahr produziert wird, Schätzungen zufolge 200 Mrd. t ausmacht.

Die pflanzliche Biomasse besteht zum größten Teil aus Lignocellulose. Diese Bezeichnung steht für die drei wichtigsten in der Natur vorkommenden Polymere (aus Makromolekülen bestehende Substanzen) Cellulose, Hemicellulose und Lignin, die alljährlich abgebaut werden müssen. Bei diesem Abbauprozess spielen sogenannte Primärzersetzer eine entscheidende Rolle. Als Primärzersetzer bezeichnen wir saprophytisch lebende Großpilze, die pflanzliche Reststoffe in ihrem originären, unveränderten, unbehandelten Zustand besiedeln und abbauen können. Hier müssen insbesondere die Großpilze der Abteilung Basidiomycota, die sogenannten Weißfäulepilze, hervorgehoben werden, da sie als einzige auch das widerstandsfähigste der drei natürlichen Polymere, das Lignin, spalten können.

Die Fähigkeit der Weißfäulepilze Lignin abzubauen, ist von großer wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Bedeutung. Solche Pilze werden in erster Linie dafür verwendet, um in Entwicklungsländern, aus den dort verfügbaren verschiedenen pflanzlichen Reststoffen, einfach und preiswert hochwertige Nahrung zu erzeugen.

Das schwer abbaubare Lignin ist ein amorphes Mischpolymerisat aus Phenylpropankörpern und kommt stets in Verbindung mit Cellulose und Hemicellulose vor. Cellulose ist verhältnismäßig leicht abbaubar; falls sie aber mit Ligninmolekülen inkrustiert (durchsetzt) ist, widersteht der gesamte Komplex dem Zugriff der meisten mikrobiologischen Abbauprozesse.

Der Mechanismus des Ligninabbaus ist bis heute nur lückenhaft bekannt. Man weiß, dass Enzyme, die zum Ligninabbau fähig sind, oxidativ und unspezifisch sein müssen; bei Weißfäulepilzen sind diese Enzyme etwa extrazelluläre Peroxidasen und Laccasen (bei Letzteren sind es speziell die Lignin-, Mangan- und versatile Peroxidase). Von den Laccasen, die im Grunde Kupfer enthaltende Oxidasen sind, wurden aus Pilzen mehr als 100 isoliert. Man weiß, dass auch sie beim Ligninabbau eine wichtige Rolle spielen, aber ihr Abbaumechanismus ist noch ungeklärt.

Der Ligninabbau erfolgt, je nach Pilzart, entweder Zug um Zug synchron mit dem Celluloseabbau oder selektiv – das heißt, es wird mehr Lignin als Cellulose zersetzt. Selektive Ligninabbauer sind zum Beispiel die Austernpilze (Pleurotus spp.). Aus Untersuchungen mit verschiedenen Weißfäulepilzen wissen wir, dass die Intensität des Ligninabbaus von der Stickstoffkonzentration im Medium abhängig ist. Je kleiner der Stickstoffgehalt, desto größer ist die lignolytische Aktivität. Sehr anschaulich kann man dieses Phänomen an verschiedenen Holzarten in den Regenwäldern von Südchile beobachten, die Weißfäulepilzen zum Opfer fielen und im Volksmund »palo podrido« (verfaultes Holz) genannt werden. Diese Hölzer enthalten extrem wenig Stickstoff: nur 0,03 bis 0,07 % bezogen auf die Trockenmasse. Das Lignin der befallenen Hölzer, die zu einer weißen, amorphen Masse umgewandelt wurden, ist nahezu komplett abgebaut.

Die Wissenschaftlerinnen Ingrid Dill und Gunda Kraepelin am Institut für Biochemie und Molekulare Biologie der Technischen Universität in Berlin haben mit Pappelholz experimentiert, das extrem wenig, lediglich rund 0,04 %, Stickstoff enthält. Sie haben in der Pappel mithilfe des Flachen Lackporlings (Ganoderma applanatum) einen drastischen Ligninabbau erreicht. Die Ursache dieses Phänomens liegt darin, dass Weißfäulepilze einen erheblichen Teil ihres Stickstoffbedarfes durch die Mobilisierung des im Lignin gebundenen Stickstoffs, des sogenannten Lignoproteins, decken. Mit anderen Worten: Lignin gilt für Weißfäulepilze als wichtige Stickstoffquelle.

Während aber der Stickstoffmangel den Ligninabbau fördert, hemmt er den Celluloseabbau. Aus den Untersuchungen von Dill und Kraepelin wissen wir, dass der bevorzugte Ligninabbau mancher Weißfäulepilze gerade darin begründet ist, dass im Nährboden Stickstoffmangel herrscht. Nachdem die Wissenschaftlerinnen ihren Holzproben, in denen das Lignin nahezu vollständig abgebaut war, eine Stickstoffquelle zugegeben haben, setzte rasch auch der Celluloseabbau ein. Neben Lignin gelten auch Cellulose und Hemicellulose als wichtige Kohlenstoffquellen für Weißfäulepilze; Lignin alleine reicht dafür nicht aus. Wie wir aus zahlreichen Untersuchungen wissen, wird der vollständige Abbau aller drei Polymere am besten erreicht, wenn den Weißfäulepilzen ein komplexes Kohlenstoffangebot gemacht wird.

Die wichtigsten Weißfäulepilze, die auch problemlos kultiviert werden können und deshalb eine überragende wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung erlangt haben, sind die Austernpilze (Pleurotus spp.). Weitere prominente Arten sind der Shii-take (Lentinula edodes), das Judasohr (Auricularia auricula), der Samtfußrübling (Flammulina velutipes), der Gemeine Spaltblättling (Schizopyllum commune), das Silberohr (Tremella fuciformis) und einige andere.

Eine weitere Gruppe von saprophytisch lebenden Großpilzen, deren Vertreter im Abbau von organischem Material eine wichtige Rolle spielen, sind die Sekundär- oder Folgezersetzer, die auch »Kompostbewohner« genannt werden. Diese Pilze wachsen dann optimal, wenn der Nährboden biochemisch und mikrobiologisch vorbehandelt, ihnen sozusagen mundgerecht gemacht wurde. Dies geschieht in der Natur hauptsächlich durch Bakterien. Diese besiedeln die Hinterlassenschaften der Primärzersetzer und zersetzen sie bis zu Kompost, Humus und Gartenerde.

Der weltweit wichtigste Vertreter dieser Gruppe in wirtschaftlicher Hinsicht ist der Kulturchampignon (Agaricus bisporus). Bedeutsam und ebenfalls kultiviert ist darüber hinaus der Strohpilz, auch Dunkelstreifiger Scheidling (Volvariella volvacea) genannt, der Schopftintling (Coprinus comatus) und der Brasil Egerling, auch Mandelpilz (Agaricus brasiliensis) genannt.

Der Nährboden der kultivierten Folgezersetzer wird mittels eines ziemlich aufwendigen biotechnologischen Verfahrens vorbereitet, das man in der Fachsprache Fermentation nennt. In diesem Nährboden, der in ausreichenden Mengen Stickstoff, Kohlenstoff und Wasser enthalten muss, laufen mikrobiologische Vorgänge und chemische Reaktionen ab, welche die Zusammensetzung des Nährbodens merklich verändern. Dabei findet der Abbau vieler mehr oder weniger komplexer Stoffe pflanzlichen Ursprungs statt; aber gleichzeitig entstehen durch Mikroorganismen und bestimmte chemische Reaktionen auch neue Komponenten. Beide Prozesse, der Ab- und Aufbau, gehen Hand in Hand. Dabei geht infolge des Stoffwechsels der beteiligten Mikroorganismen ein erheblicher Teil, etwa 30 %, der Trockenmasse des Nährbodens verloren. Aber der verbleibende Teil enthält bevorzugte Nährstoffe für die Kulturpilze und einen Besatz von Mikroorganismen, die den Nährboden vor dem unerwünschten Befall durch Schimmelpilze schützen und zugleich als Nahrung für die Kulturpilze dienen. Durch die Fermentation entsteht ein sogenannter selektiver Nährboden, der das Wachstum der Kulturpilze begünstigt und diese in gewissem Umfang vor Schadorganismen schützt.

Die Aufbereitung des Nährbodens durch Fermentation erlaubt die Kultivierung von Pilzen, die, ähnlich wie Weißfäulepilze, wichtige Entsorger organischer Reststoffe und Abfälle sind und dies lediglich auf einem etwas umständlicheren, komplizierteren Weg tun. Aber das Ergebnis ist auch bei den Folgezersetzern das gleiche: Aus organischem Rest und Abfall sowie Humus entsteht hochwertige Nahrung in Form von Pilzbiomasse.

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