Genmanipulierte Menschheit: Menschliches Klonen
Ein Student und der erste Klon
Als jugendlicher Schüler hatte [der spätere Nobelpreisträger, Anm. d. Ü.] John Gurdon seine liebe Mühe mit den Naturwissenschaften. In Tests bekam er miserable Noten und schnitt mindestens einmal als Schlechtester seiner Klasse ab. Ein Lehrer vermerkte in seinem Zeugnis: »Ich glaube, er träumt davon, Naturwissenschaftler zu werden; angesichts seiner derzeitigen Leistungen ist das ausgesprochen lächerlich« (Collins 2012). Doch er ließ sich nicht beirren. Nur zehn Jahre später wurde Gurdon, inzwischen Doktorand, von Michael Fischberg, seinem Doktorvater in Oxford, mit einem schwierigen, aber aufregenden Projekt betraut. Er sollte Tiere, insbesondere Frösche, klonen, um herauszufinden, was im Laufe der Entwicklung mit Genen passiert. Die konkrete Aufgabe bestand darin, Zellkerne einer normalen, differenzierten Zelle in eine Eizelle zu übertragen, deren Zellkern zuvor entfernt worden war. Würde sich die neue hybride Eizelle ganz normal zu einem Klon entwickeln? Frühere Arbeiten von renommierten Professoren waren in dieser Hinsicht nicht sehr ermutigend gewesen. Die Forscher, die sich darin versucht hatten, hatten zwar den flüchtigen Eindruck gewonnen, dass es funktionieren könnte, waren aber letztlich gescheitert. Als es Gurdon schließlich gelang, zeigte er sich von der gelungenen Demonstration, Tiere klonen zu können, selbst überrascht (Gurdon 1962; Cambridge University 2012). Die Welt sollte nie wieder ganz dieselbe sein.
Klonkultur
Die Vorstellung, Lebewesen zu klonen, hat eine starke Wirkung auf uns. Wir finden sie entweder spannend oder beängstigend. Sie erscheint uns als Teufelswerk oder gottgleicher Akt.
Möchten Sie, im tiefsten Grunde Ihres Herzens, nicht auch geklont werden?
Richard Dawkins, Autor von Das egoistische Gen
Dieses Spektrum komplizierter und oft gegenteiliger Empfindungen geht vielleicht zum Teil auf das Motiv des Doppelgängers zurück. Einmal sagte jemand zu mir: »Paul, ich hab beim Einkaufen jemanden gesehen, der genauso aussah wie du, und das war irgendwie gruselig!«
Die Mythologie des Doppelgängers ist schon Tausende Jahre alt und wurde allgemein mit schlimmen Ereignissen oder Unheil in Verbindung gebracht. Manchmal sah man im Doppelgänger eines Menschen seinen bösen Zwilling. Es gibt auch die beunruhigende Idee, dass ein Doppelgänger unseren Platz einnehmen könnte, indem er uns den Garaus macht und unser Leben weiterlebt. Dieses Motiv greift etwa Dostojewski in seiner Erzählung Der Doppelgänger auf. Selbst in der heutigen Kunst und Literatur begegnen wir ihm oder dem Konzept des Klonens häufig.
Die positivere oder verlockende Seite des menschlichen Klonens beruht auf dem Traum von Unsterblichkeit. Manchen Leuten gefällt der Gedanke ausnehmend gut, man könne von ihnen eine genetisch identische Version erstellen, die auch nach ihrem Tod noch existiert.
In der wirklichen Welt entstehen – sogar menschliche – Klone auf natürlichem Wege in Gestalt eineiiger Zwillinge. Dazu kommt es, wenn sich der Embryo in einem sehr frühen Stadium teilt und beide genetisch identischen Teile sich jeweils zu einem eigenständigen Embryo und letztlich Kind entwickeln.
Können Sie bitte mein verstorbenes Kind klonen?
Aus einem halben Dutzend E-Mails, die mich erreicht haben
Als Biologen mit Experimenten zum Klonen von Tieren begannen, überraschte es nicht allzu sehr, dass einige andere Wissenschaftler oder die Öffentlichkeit dies – zuweilen aus dem Bauch heraus – als aufregend wie auch furchteinflößend empfanden.
Denken Sie daran, dass mit Klonen auch die Herstellung von Zelllinien gemeint sein kann, die mit Menschen genetisch identisch sind. (Darauf kommen wir im Verlauf des Kapitels noch zurück.) Beim Klonen handelt es sich also nicht immer um die Erschaffung eines vollständigen Organismus. So bezeichnet man das Klonen von ES-Zellen als »therapeutisches Klonen«, während es sich beim Klonen ganzer Tiere um »reproduktives Klonen« handelt.
Die Geburt des Klonens
In der Welt der Botanik und Landwirtschaft kann asexuelles Klonen auf eine lange Geschichte der Beobachtung und Praxis zurückblicken. Pflanzen können sich auf natürlichem Wege klonen, indem sie knospen oder über unterirdische Sprosse geklonte individuelle Kopien von sich hervorbringen. So erzeugen Erdbeeren über Ausläufer identische Klone von sich – sogenannte Rosetten (BBC Bitesize o. J.).
Auch einige Tiere praktizieren eine Art natürliches Klonen über den Prozess der Parthenogenese (Jungfernzeugung), bei der ein weibliches Individuum ohne ein Männchen Nachkommen erzeugen kann. Eine Eizelle beginnt sich zu teilen, ohne befruchtet worden zu sein, und kann in manchen Fällen dann gesunden weiblichen Nachwuchs ohne Beteiligung einer Samenzelle hervorbringen.
Eine natürlich auftretende Parthenogenese ist beim Menschen nicht bekannt, lässt sich aber im Labor durch einen künstlichen Reiz, etwa einen Elektroschock an der Eizelle, auslösen. Mittels Parthenogenese hat man gelegentlich schon unabhängig von der IVF menschliche Embryos im Frühstadium und dann wiederum menschliche ES-Zellen erzeugt. Natürlich vorkommende Parthenogenese ist jedoch auf wenige Arten beschränkt, darunter einige Eidechsen, Insekten und Fische.
Bei der Untersuchung von Zellen hatten Forscher zudem beobachtet, dass sich individuelle Zellen jedes Mal zwangsläufig selbst klonen, wenn sie sich in zwei identische oder fast identische Zellen teilen. Es kommt jedoch auch vor, dass bei der Zellteilung zwei sogenannte Tochterzellen entstehen, die sehr verschieden sind. Bei einigen Stammzellen spricht man dann von »asymmetrischer Teilung«.
Wir alle besitzen zwei Arten von Zellen: somatische Zellen (normale, gewöhnliche Körperzellen) und Zellen zur Fortpflanzung (die man verwirrenderweise auch als »Keimzellen« bezeichnet). Keimzellen können mittels Befruchtung oder Parthenogenese, wie oben für Eizellen beschrieben, neue Organismen hervorbringen. Das können somatische Zellen normalerweise nicht.
Um ein Tier zu klonen, braucht ein Forscher eine somatische Zelle, zum Beispiel eine Haut- oder Blutzelle, von dem betreffenden Tier und eine Eizelle von einem Spender. Er entfernt den Zellkern der Eizelle und implantiert ihr den Kern der somatischen Zelle oder gelegentlich auch die gesamte somatische Zelle. Angeregt durch einen leichten Elektroschock, schlägt die Reinkarnation der Eizelle, nun mit einem somatischen Kern statt dem eigenen, unter Umständen einen ähnlichen Weg wie bei der Parthenogenese ein und beginnt sich zu einem Embryo zu entwickeln. Implantiert man den Embryo, kann es sein, dass er die vollständige Entwicklung zu einem geklonten Tier durchläuft.
Nehmen wir an, ich möchte mich selbst klonen. Das könnte ich mit einer meiner ganz normalen Haut- oder Blutzellen versuchen. Zusätzlich bräuchte ich eine menschliche Eizelle. Ich würde den Zellkern der Eizelle entfernen (der die gesamte DNA der Spenderin enthält). Dann würde ich den Zellkern meiner Haut- oder Blutzelle oder auch die gesamte Zelle in diese sogenannte »entkernte« Eizelle übertragen. Das nennt man »Kernübertragung« oder auch »somatischen Zellkerntransfer« bzw. SCNT (von somatic cell nuclear transfer).
Nun würde ich darauf hoffen, dass diese neue hybride Eizelle, die nur meine Kern-DNA enthält, durch einen leichten Elektroschock angeregt zu wachsen beginnt, um sich zu einem Menschen entwickeln zu können, der mein Klon wäre. Dazu müsste ich eine Leihmutter finden, die das Kind austrägt, und sie für ihre Dienste bezahlen. Natürlich würde ich all das niemals tun – es geht mir hier nur darum, Ihnen einmal den gesamten Vorgang zu verdeutlichen.
Beim SCNT bleiben die Mitochondrien der gespendeten Eizelle mit ihrem eigenen kleinen Genom erhalten. Demzufolge sind Klone auch genetisch modifiziert, weil sie die Kern-DNA eines Tieres enthalten, das geklont werden soll, und die mitochondriale DNA eines anderen Tieres, des Eizellenspenders. Somit sind Klone nicht hundertprozentig mit dem ursprünglichen Tier identisch – wenn auch beinahe.
Die frühen Entwicklungsbiologen, die die tierische Entwicklung in der Embryogenese und bei ausgewachsenen Tieren erforschten, hatten natürlich keine Ahnung von den oben beschriebenen heutigen Erkenntnissen über das Klonen von Tieren. Dennoch gelangen ihnen einige verblüffende Entdeckungen, die dem Klonen den Weg bereiteten. So konnten sie den Kern einer Eizelle entfernen, ohne ihren Rest zu zerstören, was bereits in die Richtung des SCNT wies. Hilfreich war dabei die Tatsache, dass die Eizellen vieler Arten im Vergleich zu den meisten somatischen Zellen relativ voluminös sind. So sind die Eizellen von Fröschen etwa einen Millimeter groß und mit bloßem Auge zu erkennen. Entsprechend riesig ist ihr Zellkern, der auf diese Weise ein leichtes Ziel bietet und gut zu entfernen ist. Menschliche Eizellen und ihre Kerne sind nicht so überdimensioniert, haben aber verglichen mit einer durchschnittlichen somatischen Zelle immer noch eine beachtliche Größe.
Auch die relativ kleinen Zellkerne somatischer Zellen ließen sich entfernen – manchmal sogar, ohne sie zu beschädigen, selbst wenn der Rest der Zelle dabei in ihre Einzelteile zerlegt wurde. Anders gesagt, konnten Wissenschaftler Zellen auseinandernehmen, ohne dass dabei jedes Mal alle Bestandteile zerstört wurden. Aber waren sie auch in der Lage, Teile aus verschiedenen Zellen zu vermischen und zusammenzufügen?
An irgendeinem Punkt muss ein Forscher erstmals eine Idee gehabt haben wie »Wenn ich den Kern einer Eizelle entfernen kann, ohne die restliche Zelle zu zerstören, und wenn ich einer somatischen Zelle den Zellkern unbeschädigt entnehmen kann, dann könnte ich vielleicht den Zellkern der Eizelle durch den der somatischen Zelle ersetzen und eine neue, hybride Eizelle erzeugen, die sich möglicherweise zu einem vollständigen neuen Organismus entwickeln würde«.
Das klingt einfach, aber dem ging eine Menge Arbeit voraus. Eigentlich entstand das Klonen zumindest teilweise infolge der Beantwortung einer anderen, wenn auch verwandten und ebenso wichtigen Frage: Wie verwandelt sich eine Keimzelle und ihr Zellkern letztlich zu den vielen Milliarden unterschiedlicher, spezialisierter somatischer Zelltypen eines voll entwickelten Organismus? Was ermöglicht eine solch komplette Umstellung der Genfunktion? Verändert sich die DNA oder nur die Art und Weise, wie sie funktioniert?
In den 1930er-Jahren, zwei Jahrzehnte vor Gurdons Arbeiten, stellte auch der deutsche Embryologe Hans Spemann (Abb. 3.1) diese Überlegungen an und zerbrach sich den Kopf über die genannten Fragen. Was würde wohl geschehen, wenn er einen differenzierten Zellkern nähme und ihn in eine Keimzelle steckte? Was käme dabei heraus? Und würde dies erhellen, wie sich Keimzellen und ihr Genom während der Entwicklung im Hinblick auf ihre Funktion zu differenzierten Zellen wandeln, bei denen völlig andere Gene aktiviert werden (oder »exprimiert«, wie wir Biologen sagen)? In einem historischen Artikel über Klonen schrieb die Zeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences über diese Forschungsarbeiten (Brownlee o. J.):
Ein in einer Zelle befindlicher totipotenter Zellkern ist in der Lage, seine Zelle so zu steuern, dass sie jede beliebige Zellart eines Organismus bildet, unter anderem etwa auch die extraembryonischen Gewebe der Plazenta und der Nabelschnur. Bei einigen Experimenten, die schon in Richtung Klonen wiesen, stellte Spemann fest, dass die Zellkerne eines Embryos, bei dem man nach einigen Zellteilungen einen SCNT durchgeführt hatte, noch die Fähigkeit zur Differenzierung besaßen. Es gelang Spemann, mithilfe eines solchen Kerntransfers einen Salamander zu klonen; dazu transplantierte er den Zellkern einer Zelle, die vier embryonale Zellteilungen durchlaufen hatte, in eine entkernte befruchtete Eizelle. Damit war er dem Durchbruch schon ganz nahe.
Das große Aber bestand darin, dass frühe embryonale Zellen, auch wenn es sich nicht um Keimzellen handelt, noch weit davon entfernt sind, differenziert zu sein. Sie haben noch keine spezialisierte Genexpression oder Zellfunktionen erworben wie etwa die Aufgaben, die Haut-, Blut- und Hirnzellen und andere voll entwickelte Zellen erfüllen. Daher blieb das Problem des Klonens in gewisser Weise ungelöst, obwohl Spemanns Ergebnisse die Idee bekräftigten, dass ein somatischer Zellkern nach dem Transfer in eine Eizelle totipotent wurde. Zudem erbrachten seine Experimente wichtige Hinweise darauf, dass sich die DNA während der Entwicklung nicht verändert (d. h. es wurden keine alten Gene gelöscht oder neue hinzugefügt). Vielmehr änderten sich nur die Funktionsweisen der DNA. Handfeste Beweise hierfür lieferte seine Arbeit jedoch nicht.
Auf der anderen Seite des Atlantiks, in Philadelphia, wollte der Wissenschaftler Robert Briggs einige Jahre später Versuche zum Kerntransfer durchführen. Seine Arbeiten sollten sich für den Bereich des Klonens als überaus bedeutsam erweisen und verstehen helfen, was im Lauf der Entwicklung mit dem Genom passiert. Wie die Forscher von heute bestätigen werden, hängen viele Details der Forschung und ihr Zeitablauf von der finanziellen Unterstützung ab. Briggs bewarb sich beim National Cancer Institute um ein Stipendium für den Zellkerntransfer, das ihm rundheraus verwehrt wurde. Die Gutachter bezeichneten den Antrag als »verrücktes Vorhaben« (Di Berardino und McKinnell 2001).
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