Leseprobe »Relativer Quantenquark«: Materie in Auflösung – Die Grundlagen der Quantenmechanik
Als der große alte Mann der britischen Physik, Lord Kelvin, im Jahr 1900 auf die Erkenntnisse der Physik aus dem vergangenen Jahrhundert zurückblickte, sprach er von zwei Wolken, die über den wichtigsten Theorien der Physik lägen. Eine dieser Wolken, so Kelvin, sei die Frage der Bewegung der Erde durch den Äther, die schon wenige Jahre später zur Formulierung der Relativitätstheorie führen würde. Die zweite Wolke sah Kelvin bei der Frage, wie viel Energie nötig ist, um eine bestimmte Menge eines Gases um eine bestimmte Temperatur zu erwärmen [1]. Die Entwicklung der statistischen Mechanik hatte es ermöglicht, große Teile der Wärmelehre durch die Mechanik von Molekülen zu erklären, aber zur Wärmekapazität von Gasen und zur Abstrahlung von Energie durch warme Körper lieferte die Theorie regelmäßig falsche Ergebnisse. Hinter dieser zweiten Wolke sollten Erkenntnisse auftauchen, aus denen sich mit der Quantenmechanik die zweite zentrale Idee der modernen Physik entwickeln würde.
Wie die Relativitätstheorie war auch die Quantenmechanik kein Geistesblitz aus heiterem Himmel. Auch an ihrem Anfang standen Fragen, auf die die Physik keine Antworten mehr fand. Die Entstehung der Quantentheorien ist aber weniger geradlinig als die der Relativitätstheorie, mit weitaus mehr beteiligten Forschern, unterschiedlicheren Vorläufern, mehr Teilgebieten und resultierenden Einzeltheorien [1, 2]. Es gibt nicht eine kontinuierliche Entwicklung, die man verfolgen könnte, um die wichtigsten Inhalte der Quantentheorien im historischen Ablauf kennenzulernen. Dieses Kapitel wird daher eher schlaglichtartig auf die entscheidenden Durchbrüche eingehen, die für die Entstehung der grundlegenden Quantentheorie, der Quantenmechanik, wichtig waren. Dabei werden wir auch die wichtigsten Personen kennenlernen, die im Zusammenhang mit der Quantenmechanik bis heute am häufigsten zitiert und am meisten missverstanden werden. Besonders wichtig dafür sind die Besonderheiten, die die Erkenntnisse der Quantenmechanik von den Erfahrungen unseres Alltags unterscheiden.
3.1 Die Entstehung der Quantenmechanik und der Abschied vom festen Ort
Mit der von Kelvin angesprochenen Frage, wie viel Energie man braucht, um Materie zu erwärmen, ist natürlich auch die Überlegung verbunden, wie viel Energie ein so erwärmter Körper wieder abgibt und in welcher Form das geschieht. An dieser Stelle tauchte erstmals die Idee auf, dass sich in der Physik kleinster Teilchen der Materie einige Dinge ganz anders abspielen könnten, als wir das aus der Welt normal großer Objekte kennen.
Max Planck und das heiße Eisen der Strahlung
Wenn in einer Schmiede ein Stück Eisen erhitzt wird, beginnt es irgendwann, rötliches Licht abzustrahlen, und man bezeichnet es als rotglühend. Erhitzt man es weiter, wird es irgendwann weißglühend: Die Strahlung wird insgesamt intensiver, enthält aber auch mehr Licht kürzerer Wellenlängen, und zum roten Licht kommen gelbe und schließlich auch blaue Anteile hinzu. Zum noch wesentlich heißeren Draht einer Glühlampe hin verstärkt sich dieser Effekt immer mehr. Wenn sich das geschmiedete Eisen etwas abkühlt und nicht mehr glüht, gibt es immer noch Strahlung ab, was man leicht spüren kann, wenn man sich mit der Hand nähert. Diese Strahlung enthält aber kein sichtbares Licht mehr, sondern nur noch die langen Wellenlängen des Infrarotbereichs, die unsere Augen nicht sehen können. Je heißer ein Material, desto mehr Wärmestrahlung gibt es ab, und desto mehr kurze Wellenlängen kommen zu dieser Strahlung hinzu.
Ende des 19. Jahrhunderts gelang es vor allem Wilhelm Wien an der PhysikalischTechnischen Reichsanstalt, diese Temperaturen und die dazugehörenden Spektren mit hoher Genauigkeit zu messen. Farbige oder spiegelnde Oberflächen verändern die Spektren etwas. Um diese Effekte auszuschließen, verwendet man für ein ungestörtes Ergebnis die Strahlung aus gleichmäßig heißen Hohlräumen, weshalb man von Hohlraumstrahlung oder Schwarzkörperstrahlung spricht.
Schwierig wurde es, als man versuchte, die Wärmestrahlung wie andere Wärmeeffekte durch statistische Mechanik zu erklären. Stellt man sich die elektromagnetischen Wellen wie die Schwingungen einer Gitarrensaite vor, dann passen rein geometrisch auf eine gleich lange Saite mehr Wellen, je kürzer die Wellenlänge ist. Versetzt man also eine große Zahl von Saiten zufällig in irgendwelche Schwingungen, müsste man insgesamt mehr kurze als lange Wellen erhalten. Das Gleiche beobachtet man zunächst auch bei der Wärmestrahlung: Bei kurzen Wellenlängen wird mehr Energie abgegeben als bei langen. Ab einem gewissen Punkt steigt die abgestrahlte Energie aber nicht immer weiter an, sondern fällt ab einer gewissen Wellenlänge wieder ab. Je niedriger die Temperatur, desto größer die Wellenlänge, bei der die Strahlung abfällt, sodass das glühende Eisen zwar noch rotes, aber kein blaues Licht ausstrahlt (siehe Abb. 3.1, in dieser Leseprobe nicht enthalten). Für diese experimentelle Beobachtung liefert die einfache Vorstellung von Wellen auf einer Saite keine Erklärung – und die bis dahin üblichen Vorstellungen der statistischen Mechanik auch nicht.
Letztlich war es der Berliner Physikprofessor Max Planck, dem es 1900 gelang, die Wärmestrahlung in einer einheitlichen Formel zu beschreiben, aus der sich die Spektren, wie in Abb. 3.1 dargestellt, berechnen lassen. Plancks Strahlungsgesetz basiert nicht wie die Relativitätstheorie auf gewagten Annahmen, sondern beschreibt zunächst einmal präzise die Ergebnisse der damals bekannten Messungen. Spannend wurde es aber bei der Interpretation, was Plancks Berechnung eigentlich bedeutet. Sein Strahlungsgesetz ist nämlich tatsächlich aus der statistischen Betrachtung von Wellen abzuleiten. Der revolutionäre Gedanke dabei ist, dass die ausgesandte Strahlung sozusagen aus kleinen Päckchen besteht, deren Energie von der Wellenlänge abhängt. Je kürzer die Wellenlänge, desto mehr Energie hat eines der entstehenden Wellenpäckchen. Für Päckchen mit langen Wellenlängen ist in der Regel immer genügend Energie vorhanden. Je nach Temperatur des strahlenden Körpers reicht aber ab einer gewissen Wellenlänge die abgegebene Energie nicht mehr aus, um weitere Wellenpäckchen zu bilden, sodass die Spektren zu kürzeren Wellenlängen hin steil abfallen, wie es die Messungen ergeben hatten. Für Planck und seine Zeitgenossen in der Physik war das ein höchst befremdliches Ergebnis. Sollte das Licht Energie tatsächlich in Paketen transportieren, die durch die Wellenlänge genau festgelegt sind? Das klang bedenklich nach der alten Vorstellung von Lichtteilchen, die uns schon in Abschn. 2.1 begegnet ist und die Thomas Young 80 Jahre zuvor zu Grabe getragen hatte. Für diese Wellenpakete, also die teilchenartigen Eigenschaften von Licht, etablierte sich später der Begriff »Quanten«.
Quarkstückchen
Die Lichtpakete oder Quanten, die sich aus Plancks Strahlungsgesetz ergeben, sind weder elektrisch positiv noch negativ geladen, sondern neutral – es handelt sich einfach um elektromagnetische Wellen, wie zum Beispiel Licht, Mikrowellen oder Röntgenstrahlung. Ein Esoterikanbieter aus dem Rheinland behauptet jedoch, sogenannter Elektrosmog bestehe aus positiv geladenen Planck’schen Quantenteilchen, die die Gesundheit zerstörten. Zum Schutz dagegen verkauft der Anbieter Quantenkraftsteine, knapp handtellergroße, bunte Objekte, die laut Produktbeschreibung aus gepresstem Holz bestehen und vom Nutzer am Körper getragen werden sollen. Der Preis eines solchen Quantenkraftsteins, der negativ geladene Quantenteilchen enthalten soll, liegt bei 800 EUR [3].
Zu den ersten Wissenschaftlern, die die Vorstellung von Lichtquanten nicht nur als Rechenmodell in Erwägung zogen, gehörte Albert Einstein. Schon als unbekannter Patentamtsmitarbeiter hatte er mehrere Veröffentlichungen zum Strahlungsgesetz und seiner Interpretation geschrieben. 1905, im gleichen Jahr wie die spezielle Relativitätstheorie, erschien seine Theorie zum sogenannten Fotoeffekt, für die er viele Jahre später den Nobelpreis bekommen würde. Beim Fotoeffekt geht es darum, dass Licht Elektronen aus der Oberfläche von Metallen herauslösen kann, vor allem wenn es sich um sehr kurzwelliges UVLicht handelt. Einstein erklärte den Zusammenhang mit der Wellenlänge dadurch, dass jedes Elektron immer nur die Energie eines einzelnen Lichtquants aufnehmen kann und somit nur kurzwellige Lichtquanten mit ihrer höheren Energie in der Lage sind, Elektronen aus der Bindung an das Metall herauszureißen. Die Messungen, die Einsteins Theorie zum Fotoeffekt möglich machten, stammten übrigens ausgerechnet vom späteren EinsteinHasser und »deutschen Physiker« Philipp Lenard [1].
Bis zu diesem Punkt beschränkte sich die Vorstellung von Quanten darauf, dass die Energie elektromagnetischer Wellen aus irgendeiner Form von Paketen besteht. Für das Alltagsleben und die meisten physikalischen Berechnungen jener Zeit spielte das keine Rolle, weil die einzelnen Energiepakete winzig klein sind. Für Energien des Alltags von typischerweise einigen Joule (ein Joule ist etwa die Fallenergie eines Päckchens Butter, das aus 40 cm Höhe auf den Boden klatscht) ist es unerheblich, dass das der Energie von zehntausend Milliarden von Milliarden Lichtquanten des sichtbaren Lichts entspricht. Die Energien einzelner Quanten sind so klein, dass wir sie ebenso wenig wahrnehmen können wie die einzelnen Atome, aus denen wir und alle unsere Alltagsobjekte bestehen.
Nach dem Planck’schen Strahlungsgesetz und dem Fotoeffekt konnte man die Quanteneffekte noch als rein rechnerische Eigenschaften des Lichts ansehen. Der entscheidende Schritt zur Quantenmechanik als einer eigenen Theorie mit umfassenderem Erklärungsanspruch war die Beschreibung des Atoms, und die zentrale Rolle dabei spielte Niels Bohr.
Zum Mitnehmen
»Quanten« sind keine besonderen Teilchen und keine andere Form von Materie. Als Quanten wurden einfach nur die kleinsten Energiemengen oder Wellenpakete bezeichnet, aus denen eine elektromagnetische Welle, zum Beispiel Licht, aufgebaut ist. Später zeigte sich, dass auch andere Wellen in Form von Quanten beschrieben werden können.
Literatur
1. Mehra J, Rechenberg H (1982) The historical development of quantum theory, Bd 1. Springer, New York
2. Hund F (1975) Geschichte der Quantentheorie. Bibliographisches Institut, Mannheim
3. Edinger E (2015) Enki Quantenkraftstein Energiespender und Beschützer. http://enkiinstitut.eu/enkiquantenkraftstein.html. Zugegriffen: 23. Mai 2016
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