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Zwangsstörungen: Wenn Zwänge das Leben einengen

Zwangsgedanken und Zwangshandlungen können das Leben völlig lähmen oder ersticken. Von Angst- oder Ekelgefühlen getrieben, sieht sich der Betroffene gezwungen, die schrecklichsten Gedanken zu denken oder die unsinnigsten Handlungen auszuführen. So kommt es zu endlosen oder zeitraubenden Kontrollen, etwa ob die elektrischen Geräte ausgeschaltet sind. Oder der Betroffene verbringt sehr viel Zeit damit, seine Hände von vermeintlich gefährlichen Bakterien zu befreien. In diesem Buch für Betroffene wird Hilfe greifbar.
Mann mit Kapuze

2. Selbsthilfe und Psychotherapie bei Zwangsstörungen

2.1 Grenzen der Selbsthilfe

Einige unserer Leser werden ein eher theoretisches Interesse an Zwängen haben, andere leben mit einem Kranken zusammen, und schließlich wird es solche geben, die selbst betroffen sind. An sie möchten wir uns jetzt wenden.

Selbsthilfe ist eine wirksame Form der Hilfe bei seelischen Problemen oder Krankheiten. Sie kann individuell oder in Gruppen erfolgen. Wenn die Motivation zu einer Veränderung groß genug ist, lohnt sich der Versuch, systematisch an sich zu arbeiten, um Verbesserungen zu erreichen.

Doch bei der Selbsthilfe müssen Sie als Betroffene oder Betroffener weitgehend alles selbst in die Hand nehmen. Auch wenn Sie über eine brauchbare Anleitung verfügen, ist niemand anwesend, der Sie führt, Sie ermutigt, Sie zur Ausdauer anhält, Rückschläge mit Ihnen bespricht oder Ihnen bestätigt, dass Sie auf dem richtigen Weg sind.

Möglichkeiten der Selbsthilfe

Bei Zwängen schätzen wir die Möglichkeiten und Grenzen der Selbsthilfe folgendermaßen ein:

Bei Menschen, die an »Kontrollzwängen« leiden, legen wir von Anfang an sehr viel Wert darauf, dass sie die therapeutischen Schritte möglichst selbstständig durchführen – auch dann, wenn sie unsere Patienten sind. Die Prinzipien der Hilfe sind einfach und überschaubar, und die eigene Motivation ist entscheidend. Bei genügend Ausdauer und Konsequenz sollten sich deutliche Erleichterungen einstellen. Sollte Ihre Unsicherheit jedoch auch nach zwei bis drei Monaten kaum zurückgegangen sein, empfehlen wir Ihnen, einen Therapeuten hinzuzuziehen.

Bei »Waschzwängen« plädieren wir von vornherein für Vorsicht. Was erreicht werden kann, ist sozusagen ein lebensfreundlicher Kompromiss mit dem Zwang. Die Stimmung ist oft gedrückt, und die Angst, möglicherweise überwältigt zu werden, kann sehr groß sein, wenn auf die alten Regeln verzichtet wird. In einem solchen Fall halten wir die Hilfe eines Psychotherapeuten für nötig.

Wenn Sie überwiegend an »Zwangsgedanken« leiden, die Ihnen immer wieder Angst machen, so werden die Grenzen der Selbsthilfe durch die Schwere des Problems bestimmt. Lästige, quälende Gedanken, denen Sie einigermaßen distanziert gegenüberstehen, können auf die von uns geschilderte Weise gut bearbeitet werden. Wenn es aber für Sie unmöglich ist, sich Ihren Gedanken absichtlich zu stellen, oder wenn Ihre Angst, sich selbst oder anderen dabei zu schaden, zu groß ist, sollten Sie auf einen Alleingang verzichten und auf jeden Fall einen Therapeuten aufsuchen.

Bei anderen Formen von Zwängen wie »zwanghaftes Grübeln«, »magisches Denken«, »zwanghafte Langsamkeit« und »skrupelhaftes Gewissen« können konsequent durchgeführte Selbsthilfemaßnahmen eine große Hilfe sein. Aber auch hier gilt: Wenn Sie glauben, allein nicht mehr zurechtzukommen, dann holen Sie sich Hilfe.

Grenzen der Selbsthilfe

Überhaupt gilt für alle praktischen Übungen dieses Buches: Sie sind nicht für alle Menschen gleich nützlich – dem einen helfen sie sehr gut, anderen weniger. Sie müssen ein Minimum an Ausdauer haben, wenn Sie sie durchführen wollen. Ist Ihnen eine Übung von vorneherein unsympathisch oder erscheint sie Ihnen gar gefährlich, so verzichten Sie darauf. Wenn Sie den Eindruck haben, dass Sie auch mit Ausdauer nicht vorankommen oder Ihre Probleme sogar größer werden (was wir nicht erwarten!), so holen Sie sich auf jeden Fall Hilfe.

Sehen Sie das nicht als eigenes Versagen oder als Anzeichen dafür, dass Sie ein hoffnungsloser Fall sind. Sie brauchen lediglich mehr Hilfe, als Ihnen Anleitungen zur Selbsthilfe geben können.

2.2 Durchführung von Selbsthilfemaßnahmen

Bei der Durchführung aller Selbsthilfemaßnahmen sollten Sie auf Folgendes achten:

Durchführungsmodalitäten

  • Wählen Sie jeweils einen inhaltlichen Schwerpunkt aus. Ein wichtiges Kriterium dafür sind Ihre aktuellen Probleme. Ein anderes Kriterium ist der Schwierigkeitsgrad aus Ihrer Sicht. Fangen Sie mit dem an, was Ihnen leichter fällt. Lesen Sie den dazugehörigen Text im Buch.
  • Wählen Sie einen günstigen Zeitpunkt für die Ausführungen der Übungen. Ein ungünstiger Zeitpunkt ist dann gegeben, wenn Sie zu müde sind oder wegen großer Sorgen keinen »freien Kopf« haben.
  • Vor einer Übung können Sie sich auch bewusst ausruhen, um mehr Energie zur Verfügung zu haben.
  • Fragen Sie sich vor jeder Übung, worum es dabei geht und was Sie dabei lernen wollen.
  • Ihre Übung sollte nicht zu lange dauern. Es hat keinen Sinn, sie so auszudehnen, dass Sie sich dadurch in eine Erschöpfung treiben.
  • Zögern Sie nicht, eine Übung auch einmal abzubrechen, falls Sie das Gefühl haben, dadurch überfordert zu sein.
  • Fragen Sie sich nach jeder Übung, welche Erfahrungen Sie gemacht haben, was Sie gelernt haben, welche Schwierigkeiten aufgetreten sind und wie Sie weitermachen wollen.
  • Ärgern Sie sich nicht über sich selbst, wenn etwas nicht ganz gelungen ist. Das kostet nur Energie und bringt Sie nicht weiter. Gehen Sie verständnisvoll und freundschaftlich mit sich um.
  • Würdigen Sie auch kleine Fortschritte. Denken Sie daran, dass sich daraus nach und nach große positive Veränderungen ergeben können.

2.3 Psychotherapie bei Zwängen

Zwänge, die eine gewisse Stärke erreicht haben und die Betroffenen in ihrem Leben behindern, gelten als Krankheit. Psychotherapie wird in diesen Fällen von allen Krankenkassen voll bezahlt.

Übernahme der Therapiekosten

In der Krankenversorgung gibt es drei Psychotherapierichtungen, die zugelassen sind: die Psychoanalyse, die tiefenpsychologisch fundierten Verfahren und die Verhaltenstherapie. Die Kosten für Angebote anderer Therapierichtungen werden von den Kassen nicht übernommen.

Den oben genannten Verfahren liegen unterschiedliche Theorien zugrunde. Jedes Verfahren hat eigene Erklärungsmodelle für die Entstehung von Zwängen und eigene Methoden, um sie zu heilen. Alle drei Richtungen können relativ gute Erfolge bei der Therapie von Zwängen vorweisen. (Der Ansatz, den wir vertreten, ist die Verhaltenstherapie. In dieses Buch haben wir keine Gesichtspunkte eingebracht, die etwa der Psychoanalyse entstammen.) Bei Ihrer Krankenkasse können Sie Verzeichnisse aller zugelassenen Therapeuten der genannten Richtungen einsehen. Wenn Sie einen Facharzt für Neurologie und Psychiatrie oder einen Arzt mit der Zusatzbezeichnung »Psychotherapie« aufsuchen, kann er Sie beraten. Sie können aber auch direkt einen niedergelassenen Therapeuten auswählen und sich an ihn wenden.

Lassen Sie sich von ihm erklären, welche Therapieform er durchführt, wie seine Vorgehensweise konkret aussieht und welche Erfahrung er mit Zwängen hat. Gerade bei Zwängen ist die praktische Erfahrung des Therapeuten von großer Bedeutung.

Wenn Sie den Eindruck haben, wegen Ihrer Zwänge nicht mehr arbeitsfähig zu sein, so reden Sie mit Ihrem Arzt über eine eventuelle Krankschreibung.

Stationäre Behandlung

Wenn die Angst und der Zwang so stark sind, dass Sie im täglichen Leben gar nicht mehr zurechtkommen, gibt es noch die Möglichkeit der stationären Therapie in einer spezialisierten Klinik. Eine stationäre Behandlung hat den Vorteil, dass Sie aus der Umgebung, in der Ihre Probleme bislang auftraten, erst einmal heraus sind. Die Therapie kann schrittweise erfolgen, ohne Sie zu stark zu belasten. Aber sie hat auch Nachteile: Sie können den Bezug zu Ihrem täglichen Leben teilweise verlieren. Auch sind Sie in der Klinik wie in einem Schonraum. Was Sie dort lernen, müssen Sie in Ihre angestammte Umgebung übertragen, und das kann sehr schwer sein. Eine Therapie in der Klinik sollten Sie also nur im Extremfall ins Auge fassen oder dann, wenn Ihr Therapeut Ihnen ausdrücklich dazu rät.

Ihr Arzt kann Sie über die Möglichkeit beraten, sich zusätzlich durch Medikamente helfen zu lassen. Medikamente allein, d.h. ohne Psychotherapie, reichen nicht aus, um Zwänge zu heilen.

2.4 Deutsche Gesellschaft Zwangserkrankungen e.V.

Die im Jahre 1995 gegründete Gesellschaft ist ein wichtiger Ansprechpartner für Betroffene und Angehörige. Sie ist aber auch bestrebt, die Krankheit »Zwangsstörung« einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen und dadurch für ein besseres Verständnis zu sorgen. Sie organisiert regionale Selbsthilfegruppen sowie Gruppen für Angehörige. Über sie können auch die Anschriften von auf Zwangsstörungen spezialisierten Therapeuten erfragt werden. Das Besondere ist, dass Betroffene, Angehörige und Experten zusammenarbeiten. Im Internet stehen Informations- und Diskussionsforen zur Verfügung. Vierteljährlich erscheint die Zeitschrift »Z-aktuell«.

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