Lexikon der Astronomie: Fernparallelismus
Der Fernparallelismus ist eine Gravitationstheorie, die Albert Einstein 1928 eingeführt hat. Er legt mit dieser Theorie eine vollkommen andere Sicht auf die Schwerkraft vor, als in seiner 1916 publizierten Allgemeinen Relativitätstheorie (ART). Nicht die Krümmung einer Raumzeit ist verantwortlich für die Gravitation, sondern deren Torsion. Im Fernparallelismus verschwindet der Torsions-Tensornicht – in der ART hingegen schon.
Einsteins Motivation
Einstein zielte mit diesem völlig neuen Ansatz auf eine Unifikation von Gravitation und Elektromagnetismus. Er wählte jedoch dabei eine gänzlich andere Konzeption, als in der etwa zeitgleich entwickelten Kaluza-Klein-Theorie. Randbemerkung: Auch der deutsche Mathematiker Herman Weyl hatte eine solche Vereinheitlichung ab 1918 versucht, jedoch mit einem anderen Ansatz: er führte ein neues Kovektorfeld ein, das er mit dem elektromagnetischen Potential A identifizierte. Dieser Ansatz modifiziert auch den Levi-Civita-Zusammenhang der ART um einen neuen Term zum so genannten Weyl-Zusammenhang in der Weylschen Theorie.
Ursprung der Bezeichnung 'Fernparallelismus'
Fernparallelismus (engl. teleparallelism, distance parallelism) oder fernparallele Gravitation (engl. teleparallel gravity, TP gravity) ist eine Name, den Einstein selbst einführte, um seine neue Theorie zu bezeichnen. Die Schwerkraft steckt nun vollends in der Torsion, und die Raumzeit ist flach, weist also keinerlei Krümmung auf. Einstein konnte zeigen, dass unter diesen Voraussetzungen zwei beliebige Vektoren absolut parallel zueinander sind. Das gab dieser Theorie den Namen.
Grundidee im Fernparallelismus
Die Grundzüge des Fernparallelismus lassen sich am besten in der Gegenüberstellung zu Einsteins ART begreifen: In der ART ist ein Tensorfeld, der metrische Tensor, die zentrale Grundgröße, der durch ein Linienelement charakterisiert wird. Diese Metrik ist im Allgemeinen bestimmt durch 10 unabhängige Komponenten. Im metrischen Tensor steckt die gesamte Struktur und Dynamik der Raumzeit. Durch Berechnung der Christoffel-Symbole und des Riemannschen Krümmungstensors kommt man zu den Feldgleichungen in Einsteins ART.
Die zentrale Grundgröße im Fernparallelismus ist hingegen ein Tetradenfeld, das sich im Allgemeinen aus 16 unabhängigen Komponenten zusammensetzt. Die Torsion übernimmt die Rolle einer Gravitationskraft.
zwei Formulierungen der Gravitation
Trotz dieser Unterschiede im Ansatz kann gezeigt werden, dass ART und Fernparallelismus im Grunde äquivalente Formulierungen der Einsteinschen Gravitation sind – sozusagen zwei Seiten derselben Medaille (Gronwald & Hehl 1996, ePrint unter gr-qc/9602013). Der Energie-Impuls-Tensor ist in der ART die Quelle der Krümmung und in der fernparallelen Gravitation die Quelle für Torsion.
Dementsprechend ist es möglich Analoga zur Schwarzschild-Lösung, Kerr-Lösung und FLRW-Lösung der ART in der Theorie des Fernparallelismus zu finden (Pereira, Vergas & Zhang, CQG 2001; Nashed Gamal 2002; Sharif & Amir, Gen. Rel. Grav. 2006).
Zusammenhang
Dadurch dass nun die Torsion endlich ist, wird der Levi-Civita-Zusammenhang ersetzt durch den Weitzenböck-Zusammenhang. Dieser neue Zusammenhang im Fernparallelismus setzt sich zusammen aus dem gewohnten Levi-Civita-Zusammenhang der ART und dem Verdrehungstensor (engl. contortion tensor; nicht zu verwechseln mit der Spannungs- oder Verzerrungstensor in der Kontinuums- und Elastomechanik).
Aktuelle Entwicklungen
Der Fernparallelismus kann als Feldtheorie mit einem Wirkungsfunktional assoziiert werden. Mittlerweile ist bekannt, dass nur ein spezielles Wirkungsfunktional den Fernparallelismus in die ART überführen lässt. Gravitationstheoretiker erforschen derzeit viele Varianten des Fernparallelismus, die nicht in Einsteins Theorie überführt werden können. Sie hoffen dadurch neue Einsichten in die Natur der Gravitation zu bekommen.
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