Lexikon der Astronomie: Gravitations- rotverschiebung
Gravitationsrotverschiebung bezeichnet einen Rotverschiebungseffekt, der durch die Gravitation hervorgerufen wird: Die Lichtteilchen (Photonen) erleiden einen Verlust von Strahlungsenergie dadurch, dass sie einem anziehenden Gravitationsfeld zu entkommen versuchen.
Analogie
Wenn wir einen Ball in die Luft werfen, so erreicht er einen höchsten Punkt und die Schwerkraft zwingt ihn wieder zur Umkehr. Der Grund: die kinetische Energie des Balles bzw. seine Geschwindigkeit war zu gering, als dass er gegen die Schwerkraft ankommen würde, um das irdische Schwerkraftfeld zu verlassen. Diese Bewegung ist sehr gut mit der Newtonschen Gravitation zu beschreiben, um z.B. den höchsten Punkt auf der Bahn, die Auftreffgeschwindigkeit oder den Auftreffpunkt des Balles zu berechnen. Falls der geworfene Körper die Fluchtgeschwindigkeit der Erde überschreitet, so kann er tatsächlich die Erde verlassen. Diese Grenzgeschwindigkeit beträgt allerdings bei der Erde satte 11.2 km/s oder 40000 km/h so dass im Prinzip nur Raketen das Verlassen der Erde gelingt.
Bei Licht verhält es sich erstaunlicherweise genauso, denn auch Licht verliert Energie, wenn es den Bereich eines Schwerefeldes verlässt. Dies ist jedoch nur korrekt mit der Allgemeinen Relativitätstheorie zu verstehen und zu beschreiben. Das Schwerfeld wird dann ersetzt durch eine gekrümmte Raumzeit. Die Lichtteilchen bewegen sich auf Nullgeodäten. Es gibt eine Analogie zwischen Licht und geworfenem Ball: der Ball verliert kinetische Energie, während die Lichtteilchen Strahlungsenergie verlieren. Da ein Verlust an Strahlungsenergie eine Verschiebung zum roten Ende des Spektrums hin bedeutet, ist dies ein Rotverschiebungseffekt – weil weiterhin die Ursache die Gravitation ist, heißt dieses Phänomen Gravitationsrotverschiebung.
Extremfall Schwarzes Loch
Prinzipiell darf man sagen, dass jeder Emitter gravitationsrotverschiebend auf die Strahlung wirkt, die er ausstrahlt, weil er eine Masse hat. Bei den üblichen kleinen Massen ist der Effekt jedoch verschwindend gering. Aber der Effekt tritt besonders drastisch bei kompakten Massen wie Schwarzen Löchern in Erscheinung: Am Ereignishorizont schlucken sie jede Strahlung, weil die Gravitationsrotverschiebung unendlich groß ist: das verleiht Schwarzen Löchern gerade die charakteristische Schwärze.
gravitationsrotverschobene Linien in AGN
Der Effekt, wie sehr die gekrümmte Raumzeit eines Loches an der Umgebungsstrahlung zieht, kann mit hochpräzisen, astronomischen Messmethoden sogar noch in einiger Entfernung zum Loch nachgewiesen werden. So zeigen Spektrallinien, die in der Nähe des supermassereichen Schwarzen Loches des Aktiven Galaktischen Kerns Mrk 110 ausgesandt werden, messbar die Gravitationsrotverschiebung an: Das wurde mittels optischer Spektrallinien von Wasserstoff und Helium (Kollatschny 2003) und mittels Sauerstoff- Stickstoff- und Kohlenstofflinien im Bereich weicher Röntgenstrahlung nachgewiesen (Boller et al. 2006). Die Entstehungsregion der optischen Linien (die so genannte broad line region, BLR) ist einige wenige bis etwa hundert Lichttage vom Loch entfernt (entsprechend hundert bis einige tausend Gravitationsradien). Die Röntgenstrahlung entsteht deutlich näher am Loch, bei etwa ein Zehntel bis einem Lichttag (einige zehn bis hundert Gravitationsradien). Diese Beobachtungen sind konsistent mit Simulationsmodellen, bei denen die Linien von Keplersch rotierenden Ringen in der Äquatorebene des Loches abgegeben werden (Müller & Wold 2006). Diese Modelle legen nahe, dass mit modernen, hochauflösenden Teleskopen die Gravitationsrotverschiebung bis zu einer Entfernung von etwa 75000 Gravitationsradien nachweisbar sein könnte! Sie zeigen auch, dass die Lochrotation nur mit Spektrallinien getestet werden kann, die sehr nahe am Loch entstehen, z.B. relativistisch verbreiterte Eisenlinien (Fe Kα).
Die folgende Abbildung zeigt die Rotverschiebung als Funktion des Abstandes vom Schwarzen Loch. Es wurde dabei nicht nur die Gravitationsrotverschiebung berücksichtigt, sondern auch der (longitudinale und transversale) Doppler-Effekt. Im Modell kommt die Strahlung von einer Keplerscheibe aus der Äquatorebene. Wie man sieht nimmt die Rotverschiebung z (nicht zu verwechseln mit der kosmologischen Rotverschiebung!) beständig zu, wenn man dem Loch näher kommt. Abweichungen zwischen einem nicht-rotierenden Schwarzschild-Loch (rote Kurve) und einem schnell rotierenden Kerr-Loch (blaue Kurve) sind erst bei Radien kleiner als 4 Gravitationsradien erkennbar. Mit anderen Worten: so nahe muss der Emitter mindestens an das Loch kommen, um Lochrotation zu testen!
Von rot nach blau
Weitere Einzelheiten sind beim gegensätzlichen Effekt, der Blauverschiebung, nachzulesen.
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