Lexikon der Astronomie: hydrostatisches Gleichgewicht
Das hydrostatische Gleichgewicht kennzeichnet einen stationären Gleichgewichtszustand von Sternen, wie er auch bei der Sonne vorherrscht.
Es drückt und zieht am Sternplasma
Sterne sind 'Gasbälle', die einer Vielzahl von Kräften unterliegen. Eine Kraft auf eine Fläche bezeichnet in der Physik gerade einen Druck. Deshalb kann man diese Bilanz auch als Gleichung mit Drücken schreiben. Sämtliche Drücke sind in der Abbildung oben illustriert und darunter als Druckbilanz zusammengefasst worden:
- Ein Stern hat eine bestimmte Masse. Unter seinem Eigengewicht gibt es daher den Gravitationsdruck auf das Sternengas, der auf das Zentrum (den Schwerpunkt) radial nach innen gerichtet ist.
- Sterne rotieren. Deshalb gibt es die von der Drehachse aus immer nach außen gerichtete Zentrifugalkraft. Sie ist besonders stark am Äquator des Sterns und schwach an den Polen. Wie bei der Erde führt diese Kraft zur Abplattung des rotierenden Sterns, zu einer oblaten Form.
- Das Sternplasma hat eine bestimmte Temperatur und weist entsprechend der Zustandsgleichung des Gases einen bestimmten Gasdruck auf. Eine gute Beschreibung des Sterninnern gelingt mit der Zustandsgleichung idealer Gase, deren Konstituenten kaum wechselwirken.
- Sterne sind charakterisiert durch Brennprozesse, die in ihrem Innern ablaufen. Diese thermonukleare Fusion setzt Strahlung in Form von Photonen frei, die sich durch das Innere des Sterns bewegen und dabei Energie auf- und abgeben (Strahlungstransport). Photonen erzeugen beim Auftreffen auf Flächen oder andere Objekte einen Druck, den so genannten Strahlungsdruck oder radiativen Druck. Dies ist die letzte wesentliche Komponente, die zur Formulierung des hydrostatischen Gleichgewichts beiträgt. Die Druckbilanz steht dann in der Abbildung ganz unten. In Berechnungen werden die Größen meist differentiell ausgedrückt. Die Zustandsgleichungen eines Sterns folgen dann durch Integration über geeignete Sternschalen.
Sterne zappeln immer
Ein Stern unterliegt immer dem hydrostatischen Gleichgewicht. In der Regel variieren die einzelnen Druckkomponenten, so dass der Stern als Ganzes ständigen Zustandsänderungen unterliegt, um das Gleichgewicht wiederherzustellen. Streng genommen sind alle Sterne Veränderliche. Doch nur bei großen Zustandsänderungen der Leuchtkraft ist dieser Terminus gebräuchlich.
Sterne regulieren sich selbst
Das hydrostatische Gleichgewicht ist ein schönes, anschauliches Beispiel, wie die Natur nur durch physikalische Gesetze die Stabilität von Gebilden steuert. Das hydrostatische Gleichgewicht kann als Autoregulativum von Sternen aufgefasst werden, bei dem die Masse des Sterns die wichtigste kontrollierende Zustandsgröße ist.
Gravitationskollaps: ein Stern fällt in sich zusammen
Was passiert zum Beispiel mit dem Stern, wenn eine Fusionskette unterbrochen wird, dadurch dass der Brennvorrat an leichten Elementen erschöpft ist? – Wie die Druckbilanz zeigt, muss dann der Strahlungsdruck rapide absinken; weil der Gasdruck an den Strahlungsdruck gekoppelt ist, dadurch dass die Photonen das Gas durch Streuprozesse aufheizen, sinkt auch der Gasdruck. Es resultiert demnach ein Ungleichgewicht, in dem der Gravitationsdruck dominiert. Als Folge dessen kontrahiert der Stern oder auch nur eine Sternschale oder nur der Sternkern, je nachdem welche Brennschale zur Neige geht. Mit der Kontraktion ist aber eine Aufheizung verbunden, so dass nun neue Brennzyklen zünden können, die erst bei höheren Zündtemperaturen beginnen (siehe Daten unter thermonukleare Fusion). Auf diese Weise fusioniert der Stern immer schwerere Elemente, die immer höhere Brenntemperaturen erfordern. Das könnte bei sehr schweren Sternen ad infinitum so weiter gehen, wenn da nicht die Problematik wäre, dass ab einer bestimmten Grenze keine Nettoenergie im Brennzyklus mehr frei wird. Sehr leichte Sterne können nur ein bestimmtes Maximum an Gravitationsdruck aufbauen, das durch ihre Masse limitiert ist. So enden die Brennzyklen im maximalen Fall beim Siliziumbrennen. In dieser Fusionsreaktion werden die Elemente Nickel, Eisen und Kobalt erzeugt, die nicht mehr unter Energiegewinn fusioniert werden können.
Das hydrostatische Gleichgewicht ist deshalb in diesem Sternstadium dauerhaft gestört. Die Gravitation gewinnt die Oberhand, und die Sternhüllen kollabieren im Gravitationskollaps. Hier bestimmt auch wieder die Ausgangsmasse des Sterns, wie dieser Gravitationskollaps endet:
Weißer Zwerg
Bei kleinen, kollabierenden Massen, die unterhalb der Chandrasekhar-Grenze von etwa 1.46 Sonnenmassen liegen, kann der Kollaps aufgehalten werden. Die Elektronen stellen aufgrund des Pauli-Prinzips der Quantentheorie (genauer: der relativistischen Quantenmechanik) eine neue Druckkomponente, den Entartungsdruck, zur Verfügung, der dem Gravitationsdruck von Massen unterhalb des Chandrasekhar-Limits Paroli bieten kann. Das so stabilisierte kompakte Objekt heißt Weißer Zwerg.
Neutronenstern & Quarkstern
Für Massen darüber finden aufgrund der enorm hohen Materiedichten weitere kernphysikalische Umwandlungsprozesse der Sternmaterie in Neutronenmaterie (Neutronisierung) statt. Dann kann der Entartungsdruck der ebenfalls fermionischen Neutronen den Gravitationsdruck ausgleichen, wenn die Masse nicht einen Wert von etwa 1.45 bis 1.65 Sonnenmassen überschreitet. Die daraus stabil gehaltenen noch kompakteren Objekte heißen Neutronensterne (in ihren Ausprägungen als Magnetar oder Pulsar).
Eine weitere Form kompakter Sterne stellen die Quarksterne und Strange Stars dar. Es ist nicht ganz klar, ob sie einen Nebenzweig in der stellaren Entwicklung zu den Neutronensternen repräsentieren oder sich erst bei Massen darüber anschließen. Die Modellrechnungen der hier anzuwendenden Quantenchromodynamik sind nicht eindeutig und unterschieden sich in ihrem perturbativen bzw. nicht-perturbativen Regime. Man nimmt jedoch an, dass tief im Innern von Neutronensternen ein Quarkkern aus Quark-Gluonen-Plasma existiert. Die Quarksterne kann man also vermutlich als 'nackte Kerne' von Neutronensternen auffassen.
stellares Schwarzes Loch
Wenn der Vorläuferstern besonders massereich war und wenig Materie durch das Abblasen von Sternenwinden verloren hat, so sind auch Neutronensterne und Quarksterne nicht mehr stabil. Dann kann der Gravitationskollaps durch nichts aufgehalten werden, und es bildet sich ein stellares Schwarzes Loch. Der sterbende Stern kollabiert gewissermaßen zu einer Punktmasse, einer Singularität in der Raumzeit. Diese Formulierung ist etwas unpräzise. Da Sterne rotieren und Drehimpuls auch durch Gravitationswellen (die im Kollaps frei werden) kaum 'abgestrahlt' werden kann, sammelt sich die Restmasse in der Ringsingularität der Kerr-Lösung: das Schwarze Loch muss rotieren. Wie im Detail der Übergang von normaler baryonischer Materie bzw. Quarkmaterie in diesen singulären Zustand abläuft ist von theoretischer Seite nicht klar. Es handelt sich um eine Domäne, wo sowohl Gesetzmäßigkeiten der Allgemeinen Relativitätstheorie, als auch der Quantentheorie berücksichtigt werden müssen. Die Fortschritte auf dem Gebiet der Quantengravitation (Loop-Quantengravitation oder Stringtheorien) sind noch nicht so weit gediehen, als dass man diesen Übergang beschreiben könnte. Es ist sogar möglich, dass sich ein Paradigmawechsel einstellt und Singularitäten in dieser Form nicht mehr in einer neuen, adäquaten Theorie auftreten.
Sternexplosionen
Der Gravitationskollaps ist zwar eine Implosion, doch ist diese auch immer verbunden mit einer Explosion, weil einlaufende Schockwellen am massiven Kern des Sterns (hard core) reflektiert werden und wieder nach außen laufen. Die Schockwellen treffen dabei auf das interstellare Medium (ISM) und heizen es auf. Bei der Bildung von Weißen Zwergen ist das Ereignis vergleichsweise unspektakulär: die äußeren Schalen des Sterns strömen nach außen und bilden planetarische Nebel. Deutlich heftiger sind da die Sternexplosionen, die man als Supernovae bezeichnet. Sie sind in der Regel mit der Bildung eines Neutronensterns oder Schwarzen Loches verbunden. Sie werden nur noch von den Hypernovae übertroffen, die bei den massereichsten Sternen, z.B. Wolf-Rayet Sternen oder anderen sehr massereichen Sternen (engl. very massive stars, VMS), geschehen. Hypernovae sind in einem favorisierten Modell assoziiert mit den langzeitigen Gamma Ray Bursts, also Strahlungsausbrüchen im höchsten Energiebereich elektromagnetischer Strahlung.
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