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Lexikon der Astronomie: Membran-Paradigma

Das Membran-Paradigma (engl. membrane paradigm) ist ein Modell, das auf den EreignishorizontSchwarzer Löcher angewendet werden kann. Insbesondere bei der Elektrodynamik und Magnetohydrodynamik Schwarzer Löcher ist diese Sichtweise erfolgreich.

Väter des Membran-Paradigmas

Das Membran-Paradigma geht in seinen Anfängen auf Richard Hanni und Remo Ruffini zurück (1971). Sie erkannten, dass der äußere Horizont eines Schwarzen Loches (r+) wie eine elektrisch leitende Kugelschale aufgefasst werden kann.

Wie geht das?

Man kann sich das so veranschaulichen: In einer Versuchsanordnung der klassischen Elektrostatik nähert man elektrisch positive Ladung einer ruhenden, neutralen Metallkugel. Dabei werden die beweglichen Ladungsträger in der Kugel, die Elektronen, in denjenigen Bereich der Kugelschale gezogen werden, der der äußeren positiven Ladung am nächsten ist, weil sich ungleichnamige Ladungen anziehen. Es findet also in der Metallkugel eine Ladungsumverteilung statt, anders gesagt: Die Metallkugel wird polarisiert.
Berechnet man nun die elektrischen Feldlinien einer elektrischen Punktladung im starken Gravitationsfeld eines Schwarzen Loches, so wird die Feldkonfiguration durch die gekrümmte Raumzeit stark deformiert. Die Feldtopologie hat eine starke Ähnlichkeit zum gerade besprochenen Beispiel einer Metallkugel, wie Hanni und Ruffini feststellten. Dem Membran-Paradigma zufolge darf man nun den kugelsymmetrischen Ereignishorizont als dünne Kugelschale (engl. stretched horizon) auffassen. In dieser Membran (engl. membrane) befinden sich gleich viele elektrisch positive und negative Ladungsträger. Nähert sich nun eine elektrische Ladung dem Horizont, so wird die Membran analog zur Metallkugel polarisiert.

Anwendungsgebiete des Paradigmas

Das Membran-Paradigma Schwarzer Löcher kann beim Blandford-Znajek-Mechanismus angewendet werden. Bei diesem Prozess wird dem rotierenden Schwarzen Loch (Kerr-Geometrie) Rotationsenergie entzogen. Die so extrahierte Energie kann benutzt werden, um über Magnetfelder ergosphärische Plasmaausflüsse zu treiben. Blandford und Znajek fanden 1977, dass bei dieser Energieextraktion elektrische Ströme an den Polen des rotierenden Horizonts eintreten und nahe am Äquator des Horizonts wieder austreten. Der Eintritt wird durch den Einfall elektrisch positiver Ladungsträger (Ionenrümpfe) repräsentiert. Der Austritt hingegen wird durch den Einfall negativer Ladungsträger (Elektronen) bewerkstelligt. Das rotierende Kerr-Loch kann dabei wie ein Spannungsgenerator aufgefasst werden, der elektrische Ströme aus der Äquatorebene treibt. Der elektrische Stromkreis folgt poloidalen Feldlinien und wird beim Wiedereintritt in die Polregion wieder geschlossen. Dies generiert die charakteristische Magnetosphäre rotierender Schwarzer Löcher. Das Plasma in der Umgebung Schwarzer Löcher wird durch die elektrischen Ströme getrieben und erzeugt die Jets. Diese großskaligen Plasmaströmungen können mühelos relativistische Geschwindigkeiten erreichen und den Bereich des Schwarzen Loches verlassen. Man beobachtet sie in vielen Typen Aktiver Galaktischer Kerne (AGN) in Form von Radioemission von der Synchrotronstrahlung der Elektronen, vor allem in Radiogalaxien und radiolauten Quasaren. Die gleiche Physik kommt auch beim anisotropen Feuerball-Modell der Gamma Ray Bursts zum Einsatz – hier sind die Lorentz-Faktoren sogar um ein bis zwei Zehnerpotenzen größer!

noch mehr Papas

Znajek und Damour erkannten 1977/78, dass man die elektrischen Ströme in das Bild des Membran-Paradigmas von Hanni und Ruffini einbetten kann, indem man sich vorstellt, dass die Ströme an die Ladungen im Horizont, in der Membran, koppeln. Die Ströme knüpfen an die Ladungsträger im Horizont an und führen von der Polregion zu äquatorialen Gebieten. Es stellte sich heraus, dass man mathematisch Verallgemeinerungen der klassischen Gesetze der Elektrodynamik erhält, die analog sind zum Ampèreschen Gesetz, Gauß'schen Gesetz, Ohmschen Gesetz und zur Ladungserhaltung.

Analoga zur klassischen Elektrodynamik

  • Ampèresches Gesetz: Der Oberflächenstrom des Ereignishorizonts ist gerade so groß, so dass sämtliche parallelen magnetischen Feldlinien eliminiert werden und ihr Anteil im Innern hinter dem Horizont verschwindet.
  • Gauß'sches Gesetz: Die Oberflächenladung des Ereignishorizonts ist gerade so groß, so dass sämtliche elektrische Feldlinien an ihm enden und nicht ins Innere hinter dem Horizont eindringen.
  • Ohmschen Gesetz: Der Oberflächenstrom des Ereignishorizonts ist proportional zu den elektrischen Feldern, die tangential zum Horizont orientiert sind. Der Proportionalitätsfaktor entspricht einem endlichen Widerstand von 377 Ohm.
  • Ladungserhaltung: Die Ladungsbilanz ist null. Der Anteil elektrisch positiver Ladung, der an den Polen am Horizont eindringt, ist gerade so groß wie der Anteil negativer Ladungen, die ihn am Äquator verlassen.

Das Membran-Paradigma ist ein mächtiger Formalismus in der Elektro- und Magnetohydrodynamik Schwarzer Löcher.

Aber Vorsicht...

Eines muss jedoch klar gestellt werden: Innerhalb des Ereignishorizonts verliert das Membran-Paradigma seine Vorhersagekraft. Insbesondere 'spürt' ein Beobachter, der in ein Schwarzes Loch fallen würde, nicht irgendwelche Ladungen, die am Horizont lokalisiert sind!

Quellen

  • Buch von Kip Thorne: Black Holes and Time Warps, 1994
  • Papier von S.S. Komissarov 2002, astro-ph/0211141
  • Buch von Thorne, Price & Macdonald: The Membrane Paradigm, Yale University Press, 1986
  • Die Autoren
- Dr. Andreas Müller, München

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